14 Kilometer - Auf der Suche nach dem Glück

Drama | Spanien 2008 | 95 Minuten

Regie: Gerardo Olivares

Zwei Brüder aus dem Niger und eine junge Frau aus Mali wollen ihr Glück in Europa suchen und setzen sich einer mörderischen Gewalttour quer durch die Sahara aus. Halbdokumentarisches Flüchtlingsdrama, dessen episodenhafte Struktur mehr an exemplarischen Situationen als an einer physisch-psychisch entfalteten Handlung interessiert ist. Mit Humor und selbstironischen Anklängen entfaltet sich ein "afrikanischer" Blickwinkel auf die Völkerwanderung in den Norden, der im Spiegel einer extremen Natur von unmenschlicher Erschöpfung handelt. (O.m.d.U.) - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
14 KILÓMETROS
Produktionsland
Spanien
Produktionsjahr
2008
Produktionsfirma
Explora Films/Wanda Visión
Regie
Gerardo Olivares
Buch
Gerardo Olivares
Kamera
Alberto Moro · Gerardo Olivares
Musik
Santi Vega · Youssou N'Dour
Schnitt
Raquel Torres
Darsteller
Illiassou Mahamadou Alzouma (Mukela) · Aminata Kanta (Violeta) · Adoum Moussa (Buba)
Länge
95 Minuten
Kinostart
24.06.2010
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama

Diskussion
Es ist ein klarer, kalter Morgen in Tanger; beim Blick aus dem Fenster kann man am Horizont die spanische Küstenlinie erkennen. Doch der Katzensprung von Afrika nach Europa, die lächerlichen 14 Kilometer über die Meerenge von Gibraltar, scheint just in diesem Augenblick für Buba in unendliche Ferne zu rücken. Denn die marokkanische Polizei hat das Versteck der Schwarzafrikaner entdeckt und schiebt sie kurzerhand nach Algerien ab. Einmal mehr findet sich der hochgewachsene Youngster aus Mali mitten im Nirgendwo wieder, ohne Nahrung oder Wasser, nur mit dem, was er am Körper trägt. Vor wie vielen Wochen er sich von seinem Bruder überreden ließ, in Spanien sein Glück als talentierter Fußballer zu versuchen, weiß er schon lange nicht mehr; Hitze und Kälte, extreme Entbehrungen und die permanente Todesnähe haben wenig mehr als den nach Norden geeichten Migrationsimpuls übrig gelassen, der mit jeder Sackgasse, jedem Widerstand noch stärker zu werden scheint. Diese manisch-ausgemergelte Konzentration aufs Wesentliche lässt sich durchaus nachvollziehen, auch wenn Gerardo Olivares’ semidokumentarisches Flüchtlingsdrama kein Spielfilm im klassischen Sinne ist, der ein bewegendes Schicksal physisch-psychisch ausbuchstabieren würde; es geht dem spanischen Filmemacher vielmehr um die fehlenden Bilder im öffentlichen Bewusstsein, das nur erschöpfte oder tote Afrikaner kennt, die auf klapprigen Booten in Europa landen, wenig bis nichts aber über die mörderische Wirklichkeit der Route quer durch die Sahara. Die beginnt Tausende Kilometer weiter südlich, in Ländern wie Nigeria, Kamerun, Mali oder dem Niger und mit einer Entscheidung, bei der alles auf eine Karte gesetzt wird. Denn das Ticket ins Paradies ist nahezu unerschwinglich und kostet viele, auch Bubas Bruder, das Leben. Glücklicherweise vermeidet Olivares jede anklägerische Elendsmalerei, sondern imaginiert mit Humor, bisweilen auch selbstironisch einen „afrikanischen“ Blickwinkel auf die Völkerwanderung. Das hebt mit den Motiven der drei Protagonisten an – neben Buba und seinem Bruder auch eine junge Frau aus Mali –, die weder Not noch Gier oder Langeweile antreiben, sondern eine Art von „pursuit of happiness“; es setzt sich in zahllosen Details fort, die von der Kamera oft nur im Vorübergehen registriert werden, etwa dem Schuhwerk mancher Flüchtlinge, den zerfledderten Ausweisen und (gefälschten) Dokumenten, Bakschisch und Unterwürfigkeit, generell einer gewissen Zwanglosigkeit, die auch bei extremer Gefährdung nicht in stiere Verbissenheit umschlägt. Und es gipfelt in Don-Quichote-haften Szenen an Landesgrenzen, die inmitten des Sandmeeres absurde Rituale generieren oder als symbolisch-repräsentative Drohung organisierter Staatsgewalt einem sadistischen Absolutismus huldigen. Unter der lose akzentuierten Dramaturgie, die den Plot ohne markante Abweichungen linear Richtung Europa treibt, leidet zwar die Spannungskurve, wie auch die Laiendarsteller kaum in der Lage sind, mehr als ihre eigenen Regungen zu verkörpern; doch wenn man sich auf Olivares’ unsentimentale Erzählweise erst einmal eingelassen hat, gewinnt das episodenhafte Puzzle eine respektable Größe. Am nachhaltigsten dürfte dabei die „Erfahrung“ eines halben Kontinents im Gedächtnis bleiben, dessen unwirtliche Mitte in mannigfachen Farben erstrahlt, auch wenn die Flüchtlinge für ihre Umwelt alles andere als Wertschätzung übrig haben. Der Zuschauer gleitet hingegen sanft den Niger hinauf, macht in Agadez Station, dem „Tor zum Norden“, durch das jeder muss, der ohne gültige Papiere auf den Schleichrouten durch Libyen oder Algerien gelotst wird, verirrt sich in der Wüste der Wüsten, der Ténéré, durchquert Geröllhalden, Steinfelder und staubige Pisten, bis man irgendwann erstaunt registriert, dass die Erde wieder zu grünen begonnen hat. Mit dem Baedeker hat das alles nichts zu tun, auch nicht mit bebilderter Geografie, sondern mit purer Extension und unmenschlicher Erschöpfung sowie der unsichtbaren Grenze, die Schwarzafrika vom Maghreb trennt. Wer sich südlich der Sahara aufmacht, um in den Norden zu emigrieren, setzt sich einer nihilistischen Gewalttour aus, bei der nicht nur die horizontalen Grenzen verschwimmen. Für Buba und das Mädchen aus Mali führt der Versuch tatsächlich an die spanische Küste, wo sie sich, verfolgt von der Guardia Civil, zitternd und erschöpft hinter Bäumen verstecken. Hinter ihnen liegt die Hölle; vor ihnen ein Leben in der Illegalität, dem alle ihre Hoffnungen gelten.
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