180° - Wenn deine Welt plötzlich Kopf steht

Drama | Schweiz 2010 | 96 Minuten

Regie: Cihan Inan

Ein Verkehrsunfall, bei dem eine 14-Jährige zu Tode kommt, stürzt alle Beteiligten in eine tiefe Krise: die Mutter der Toten, die von der Freundschaft ihrer Tochter zu einem jungen Türken nichts wusste, dessen Vater, dem seine Kinder fremd geworden sind, und den Vater des Mädchens, der fassungslos zusammenbricht. Das elegant inszenierte Drama fächert menschlich berührend ein Panoptikum an Regungen auf. Das Spielfilmdebüt nimmt durch seine beachtlichen Leistungen für sich ein und wartet mit einem ungewöhnlich ausgefeiltem Soundtrack auf. - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
180° - WENN DEINE WELT PLÖTZLICH KOPF STEHT
Produktionsland
Schweiz
Produktionsjahr
2010
Produktionsfirma
C-Films
Regie
Cihan Inan
Buch
Cihan Inan
Kamera
René Richter
Musik
Diego Baldenweg
Schnitt
Kaya Inan
Darsteller
Christopher Buchholz (Er) · Sophie Rois (Marion) · Michael Neuenschwander (Manfred) · Benjamin Grüter (Peter) · Carla Juri (Esther)
Länge
96 Minuten
Kinostart
30.09.2010
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Ein Verkehrsunfall, bei dem eine 14-Jährige zu Tode kommt, stürzt alle Beteiligten in eine tiefen Krise: die Mutter der Toten, die von der Freundschaft ihrer Tochter zu einem jungen Türken nichts wusste, dessen Vater, dem seine Kinder fremd geworden sind, und den Vater des Mädchens, der fassungslos zusammen bricht. Das elegant inszenierte Drama fächert menschlich berührend ein Panoptikum an Regungen auf. Das Spielfilmdebüt nimmt durch seine beachtlichen Leistungen für sich ein und wartet mit einem ungewöhnlich ausgefeiltem Soundtrack auf. – Sehenswert ab 16. Am 16. April 1986 lief der Chef der Zürcher Baupolizei Amok und erschoss vier Mitarbeiter. Unter der Schlagzeile „Hinrichtung im Amtshaus“ ging die Tat in die Annalen ein und gilt heute, da erwiesen scheint, dass berufliche Überforderung und ein vergiftetes Arbeitsklima dazu führten, als „spektakulärste Mobbing-Geschichte der Schweiz“. Doch das ist in „180°“ nur am Rande Thema. Denn obwohl der Film von Cihan Inan mit einem Telefonat am Tatort beginnt, bilden der in Rückblenden eingeholte Amoklauf und das Schicksal von Täter und Opfern bloß den Rahmen. Im Zentrum stehen zwei Jugendliche und ihre Familien, deren Leben durch die Tat völlig durcheinander geraten. Zum ersten Mal verliebt, bummeln die 14-jährige Sabine und ihr Freund Kemal an diesem Nachmittag am Fluss nach Hause. Sie laufen sorglos eine Straße entlang, auf der in Folge des Amoklaufs mehr Verkehr als üblich herrscht. Durch diese Straße fahren, nach vielen Umleitungen und entsprechend genervt, auch Peter und Esther. Sie sind reich, erregt und albern herum: „Es war ein Unfall“, sagt Peter später. „Das Mädchen ist tot,“ schnauzt der Polizist. Dass Esther vom genossenen Kokain berichtet, ist bloß ein Detail, aber wichtig in diesem Film, den man als Panoptikum menschlicher Regungen bezeichnen könnte. Denn darum geht es Cihan Inan: darzustellen, wie Menschen in Extremsituationen reagieren. Zu zeigen, wie Sabines Mutter sich mehr als über den Tod ihrer Tochter darüber entsetzt, dass sie von Sabines Flirt nichts ahnte. Wie Kemals Vater im Krankenhaus ausrastet, weil er kein Deutsch versteht. Weil seine in der Schweiz aufgewachsenen Kinder – nicht nur der im Koma liegende Kemal, sondern auch die drei anderen – ihm fremd und überlegen sind. Wie Sabines Vater, der zur Zeit des Unfalls statt mit seiner Tochter beim Abendbrot mit einer Studentin in einem Restaurant saß, fassungslos zusammenbricht. 24 Stunden aus dem Leben eines Dutzend unverhofft miteinander konfrontierter Menschen. Die elegante Inszenierung zeigt neben erstem (Er-)Schrecken auch neu aufkeimende Hoffnung, Besinnung auf ein in (Nächsten)Liebe gründendes Miteinander. Es gibt zwar andere, sich im kurzen Moment örtlicher Gleichzeitigkeit entflammende Schicksalsfilme, etwa „Babel“ (fd 37924) oder „21 Gramm“ (fd 36365). Doch für einen Schweizer Film ist Inans Spielfilmdebüt (man munkelt von einem verschollenen Vorgänger) eine schöne kleine Überraschung. Schwungvoll inszeniert, geschmeidig montiert, auch vom Darsteller des Amokläufers, Christopher Buchholz, überzeugend gespielt, besticht der Film durch eine rundum beachtliche Leistung. Inan spielt souverän auf der Klaviatur der Gefühle und schreckt auch vor einer gewissen Sentimentalität nicht zurück. Vor allem aber überrascht „180°“ mit einem ausgefeilten orchestralen Soundtrack, wie man es im Schweizer Film kaum kennt. Mit Cihan Inan hat sich ein Mann auf den Regiestuhl gesetzt, der, vom Theater und der Kritik her kommend, weiß, wie man Filme inszeniert, und von dem man künftig hoffentlich noch einiges zu sehen bekommt.
Kommentar verfassen

Kommentieren