Science-Fiction | USA/Kanada 2011 | 110 (BD auch 127) Minuten

Regie: Zack Snyder

Eine junge Frau wird in eine dubiose Nervenheilanstalt mit sadistischen Wärtern gesteckt, nachdem sie sich gegen ihren gewalttätigen Stiefvater gewehrt hat. Bevor eine Lobotomie an ihr vorgenommen wird, will sie mit einigen Leidensgenossinnen fliehen. Rasante, auf mehreren Wirklichkeitsebenen spielende Mischung aus Fantasy, surrealem Psychothriller, Science-Fiction-, Martial-Arts- und Sexploitation-Film als stilisiert-düsteres, betont artifizielles Zitatenkino. Zwischen gewaltbetontem Trash und selbstreflexivem Meta-Kino ist der Film durchaus als fantasiereicher Kommentar zu zeitgenössischen Blockbuster- und Cyber-Filmen zu lesen. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
SUCKER PUNCH
Produktionsland
USA/Kanada
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
Warner Bros./Cruel & Unusual Films/Legendary Pic./Lennox House Films
Regie
Zack Snyder
Buch
Zack Snyder · Steve Shibuya
Kamera
Larry Fong
Musik
Tyler Bates · Marius de Vries
Schnitt
William Hoy
Darsteller
Emily Browning (Baby Doll) · Abbie Cornish (Sweet Pea) · Jena Malone (Rocket) · Vanessa Hudgens (Blondie) · Jamie Chung (Amber)
Länge
110 (BD auch 127) Minuten
Kinostart
31.03.2011
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Science-Fiction | Fantasy | Thriller
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Der Film ist in diversen Umverpackungen erhältlich. Der Film ist nur auf BD (2 Disc Edition) in der Kinofassung (110 Min.) und dem sog. "Extended Cut" (127 Min.) zu sehen. Die DVD enthält indes nur die Kinofassung und die Einzel-BD enthält nur den "Extended Cut". Die Extras der DVD umfassen u.a. die extrahierten animierten Kurzfilme aus dem Spielfilm [Feudal Warriors (2:30 Min.), The Trenches (2:50 Min.), Dragon (2:50 Min.) und Distant Planet (2:40 Min.). Die BDs enthalten zudem den sog. "Maximum Movie Mode", einem Bild-im-Bild-Feature, in dem Interviews und Informationsfeature zum laufenden Film abgerufen werden können.

Verleih DVD
Warner (16:9, 2.35:1, DD5.1 engl./dt.)
Verleih Blu-ray
Warner (16:9, 2.35:1, dts-HDMA engl./dt.)
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Diskussion
Dies ist kein Film, der in irgendeiner Weise mit den Maßstäben des realistischen Erzählens gemessen werden könnte: Fantasy, surrealer Psychothriller, Science Fiction, Martial Arts, Sexploitation und einiges mehr, zusammengemixt zu einem Autorenfilm der Generation 2.0, zum Versuch, in die Fußstapfen des Zitatenkinos à la Tarantino zu treten. Verwalter des „richtigen“ Erzählens haben daran naturgemäß eine Menge auszusetzen; denn „richtig“ ist hier gar nichts. Dies aber ist gerade das, was den Film interessant macht. Wer sich fragt, wie es aussehen könnte, wenn ein Filmemacher Nietzsches Formel eines Standpunktes „Jenseits von Gut und Böse“ aufs Filmemachen übertragen wollte, der erhält hier eine Antwort. Einerseits versucht Zack Snyder, mit unbedingtem Willen zur Innovation zu inszenieren, und will trotzdem ein Massenpublikum erreichen; andererseits aber ist sein Film ein hochdifferenzierter Kommentar zum derzeitigen Blockbuster-Kino und zu allem, was dort Erfolg hat. Ein Kommentar also zur Tendenz zum Cyberfilm, die mit „Matrix“ (fd 33 720) begann; zur Tendenz Hollywoods, seine Handlungen in irreale Räume zu verlagern und einem Film am Ende oft durch veränderte, spät enthüllte Erzählprämissen den Boden unter den Füßen wegzuziehen: „Inception“ (fd 39 996), „Shutter Island“ (fd 39 763), um nur die neuesten Beispiele zu nennen. Ein Kommentar, der den Fetischcharakter der Kino-Welt analysiert und sich zugleich der reinsten Mittel des Kinos bedient: der Bilder. Und der Musik. Ein Stummfilm also gewissermaßen, der immer wieder wie eine Abfolge von Videoclips wirkt (was für manche schon ein Argument gegen den Film ist). Vor allem aber ist es ein Film, wie man ihn noch nicht gesehen hat. Das allererste Bild stellt schon klar, wie der Film gesehen werden will: Es zeigt eine billige Theaterbühne, Vaudeville. Der Bühnenvorhang ist auf, die Kamera zoomt hinein, dazu läuft eine Cover-Version des Eurythmics-Songs „Sweet Dreams (Are Made of This)“ – alles ist Theater und Traumkino. Geht es noch eindeutiger? Es folgt ein furioser Anfang, der in ausgeblichenen, fast schwarz-weißen Bildern und schnell hintereinander geschnittenen, knappen Szenen eine schmutzige Märchengeschichte erzählt, in der zwei kleine Mädchen nach dem Tod der Mutter einem bösen Stiefvater ausgesetzt sind. Der drangsaliert beide, tötet die Jüngere und versucht, die Ältere zu missbrauchen. Sie wehrt sich vehement. Deshalb wird das schwer traumatisierte Mädchen, die bald nur noch „Babydoll“ genannt wird, vom Stiefvater in ein Heim gebracht, das zugleich eine gutbewachte Nervenklinik ist. Die anderen Insassinnen sind durchweg jung, hübsch und leicht bekleidet, die Wärter dagegen schmutzig, sadistisch und degeneriert – eine Fantasie ohne Zweifel, doch wessen, bleibt unklar. Das alles dauert nur wenige Minuten. Schon hier gibt es einige ungemein einprägsame Bilder, wie das eines Auges, das schreckensgeweitet durch ein Schlüsselloch blickt. Alles scheint in den 1950er-Jahren zu spielen – Verweise auf den Film noir gibt es gleich zu Beginn und danach immer wieder, das Design ist insgesamt „Old School“: Die Räume sind verbraucht und düster, die Möbel aus Holz und Leder, die Schlüssel aus Metall, die Telefone mit Kabeln versehen, es gibt weder Computer noch Überwachungskameras. Der neuen Insassin droht eine Lobotomie, jene heute unvorstellbar brutale Methode, mit der die Hirnhälften durchtrennt wurden, um Patienten ruhig zu stellen. Auch das erinnert zusammen mit dem Schauplatz der geschlossenen Nervenheilanstalt an Scorseses „Shutter Island“ – und der auch in seiner früh einsetzenden, sich lange nicht aufklärenden Verschmelzung mehrerer Realitätsebenen eines der Vorbilder für diesen Film ist. Der narrative Kern dreht sich darum, dass Babydoll, die fünf Tage Zeit hat, bevor ihr die finale Operation droht, mit vier weiteren Insassen die Flucht aus der Anstalt plant. Sehr bald entfaltet sich die Geschichte auf drei Realitätsebenen, die sich gegenseitig beeinflussen und zwischen denen die Figuren recht frei hin- und herreisen können. „Sucker Punch“ greift ebenso Motive aus Christopher Nolans Traumthriller „Inception“ auf und wirkt wie dessen konsequentere Variante – weil hier das Irreale des Träumens tatsächlich ernst genommen wird, weil Lust und Verrücktheit erkennbar sind und Snyder im Gegensatz zu Nolan nie versucht, am Ende säuberlich aufzuräumen und Ordnung zu schaffen. Nach „300“ (fd 38 094) und „Watchmen“ (fd 39 188), die bei aller Kritik das Ausnahmetalent des Filmkünstlers Snyder sichtbar machten, ist „Sucker Punch“ eines der selten gewordenen US-Kinowerke, die ohne Vorlage aus anderen Medien (Buch, Comic, Computerspiel) entstanden. Realistisch sind hier allenfalls die Empfindungen. Als ob das alles nicht schon mehr als genug wäre, versucht Snyder auch noch, mit dem virtuosen Zitatenkino Tarantinos gleichzuziehen: So findet man mal offene Verweise, mal Spurenelemente vom Albtraumkino eines David Lynch, von Sam Fullers „Schock-Korridor“ (1963), japanischen Animes wie der Girlie-Serie „Sailor Moon“, von Gefängnisfilmen wie John Cromwells „Frauengefängnis“ (fd 1131) oder Lucile Hadzihalilovic’ „Innocence“ (einem der cleversten und originellsten Mädcheninternatsfilme des letzten Jahrzehnts). Man erkennt Verweise auf den Ersten Weltkrieg und das Unglück der „Hindenburg“, auf Vietnam, Steampunk, Zombie-Filme, B-Movies, auf Ophüls’ „Lola Montez“ (fd 15 522) und Buz Luhrmans „Moulin Rouge“ (fd 35 084). „Sucker Punch“ ist opernhaft, gnadenlos übertrieben, pathosgeladen. Ohne Frage: Dieser Film ist eine Unverschämtheit im besten Sinn und kann gewaltig nerven. Aber er fasziniert auch und ist im Gegensatz zu so vielen anderen unverwechselbar. Man wird in diesem subversiven Meisterwerk Kinobilder sehen, die man vielleicht nie sehen wollte, die man jedenfalls noch nie gesehen hat. Selbstverständlich gibt es trotzdem eine Art Botschaft: „Reality is a prison. Your mind can set you free.“ Es geht um Selbstbefreiung durch Fantasie. Wer sich ernsthaft für Snyders Werk interessiert, sollte sich die Mühe machen, noch einmal bei Björks „Army of Me“ nachzulesen. Im Text des im Film zweimal verwendeten Songs kann man Snyders Haltung entdecken: „You’re alright/ There’s nothing wrong/ Self-sufficience please/ And get to work/ If you complain once more/ You’ll meet an army of me.“
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