- | Türkei/Frankreich/Deutschland 2009 | 110 Minuten

Regie: Pelin Esmer

Zwischen einem alternden Intellektuellen, der in seiner Wohnung Alltagsgegenstände hortet, und einem jungen Hausmeister, der fern seiner anatolischen Heimat den Mietern eines Apartmenthauses in Istanbul zu Diensten steht, entwickelt sich eine spröde Freundschaft. Das mit viel psychologischem Feingefühl inszenierte Kammerspiel weitet sich zur kritischen Liebeserklärung an Istanbul und bringt als eine Art Hommage ans Vergängliche auch spirituelle Dimensionen zum Klingen. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
11'E 10 KALA
Produktionsland
Türkei/Frankreich/Deutschland
Produktionsjahr
2009
Produktionsfirma
Sinefilm/Stromboli Films/ARTE France Cinéma/Bredok Filmproduction
Regie
Pelin Esmer
Buch
Pelin Esmer
Kamera
Özgür Eken
Schnitt
Ayhan Ergürsel · Pelin Esmer · Cem Yildirim
Darsteller
Nejat Isler (Ali) · Mithat Esmer (Mithat) · Tayanç Ayaydin (Omer) · Laçin Ceylan (Feride) · Savas Akova (Ruhi)
Länge
110 Minuten
Kinostart
28.04.2011
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.

Diskussion
Der 83-jährige Mithat ist ein leidenschaftlicher Sammler: In seiner Wohnung stapeln sich die Tageszeitungen mehrerer Jahrzehnte, daneben Gebrauchsgegenstände wie Flaschen und Zigarettenschachteln aus demselben Zeitraum. Die Zeit scheint still zu stehen in dieser Wohnung, die zu einem Museum für Alltagsgegenstände geworden ist. Irgendwann macht das Gerücht die Runde, dass das Haus, in dem Mithat wohnt, abgerissen werden soll, weil es angeblich nicht erdbebensicher sei. Mithat wehrt sich und findet in dem jungen Hausmeister Ali einen stillen Mitstreiter. Das Spielfilmdebüt von Pelin Esmer ist vor allem die Beschreibung der ungewöhnlichen Annäherung zweier Männer: Der eine ist stolz auf seinen Besitz, aber auch öffentlichkeitsscheu, weil er weiß, dass seine Sammlung von den Nachbarn als Müll bezeichnet würde. Der andere schuftet im 18-Stunden-Dienst Hunderte Kilometer von seiner anatolischen Heimat entfernt, wo er Frau und Kind zurückgelassen hat – zwei Schicksale der Entfremdung, gefesselt an ein Haus, das unter einem Vorwand zerstört werden soll, um einem gewinnträchtigeren Neubau Platz zu machen. Mithat hat sich von der Außenwelt zurückgezogen, um im zeitlosen Gestern seiner Sammlung zu überwintern. Ali hingegen will raus, darf dies aber nicht, weil er den Mietern der Apartments rund um die Uhr zu Diensten sein muss. Pelin Esmer, die mit „Koleksiyoncu“ (2002) schon einen Dokumentarfilm über einen Sammler gemacht hat, nähert sich ihren schrulligen Protagonisten mit einer Mischung aus protokollartiger Beschreibung und Melancholie. Mit Liebe für Details beschreibt sie die Entwicklung einer spröden Freundschaft, getragen von Momenten, die das Zusammensein von Jung und Alt eben ausmachen. Der grantelnde Intellektuelle Mithat drückt Nähe dadurch aus, dass er ins Dozieren verfällt; der junge Hausmeister Ali steht dem Alten zunächst unsicher gegenüber. Die Inszenierung arbeitet heraus, wie die zwischenmenschliche Beziehung, die hier heranreift, ständig auf der Kippe steht, bedroht von inneren Stimmungsschwankungen, in denen sich Erinnerung und Gegenwart, der Trott der Einsamkeit und die Suche nach Gesellschaft, Sehnsucht und Machtspiel gegenseitig im Weg stehen. Souverän und mit psychologischem Feingefühl hält die Regisseurin die Fäden ihres Stimmungspanoramas zusammen und verdichtet dieses behutsam inszenierte Kammerspiel allmählich zu einer Hommage ans Vergängliche. Mit zunehmend unsicheren Schritten streift Mithat durch seine Wohnung. Als Ali sich eines Tages weigert, ihm die benötigten Zeitschriften zu kaufen, muss der Alte doch hinaus: Das Tageslicht, das sich hier auf der Leinwand Bahn bricht, ist Frühling und Herbst, Erwachen und Abschied zugleich. Beiläufig entwickelt sich ein spiritueller Tiefgang, der nie zur Last wird, weil er den Rhythmus von Leben und Tod mit dem Understatement der Normalität beschreibt. Doch der Zuschauer nimmt nicht nur Abschied von Mithat, dem alternden Intellektuellen. Mit ihm weichen die gesellschaftlichen Verhaltensweisen einer ganzen Generation. „10 vor 11“ personifiziert die Veränderungen in der Seele einer Stadt – Wunden vielleicht, auf jeden Fall ein Wertewandel. Eine kritische, feinsinnige Liebeserklärung an zwei Menschen und an ein Istanbul, das, wie alle Städte, Gestern und Heute nicht wirklich in Einklang bringen will.
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