Science-Fiction | Deutschland/Schweiz 2011 | 86 Minuten

Regie: Tim Fehlbaum

Vier junge Menschen fahren in einer nahen Zukunft in einem abgedunkelten Auto durch sengende Hitze Richtung Gebirge, wo es angeblich noch Wasser geben soll. Die Spannungen innerhalb der Notgemeinschaft explodieren, als sie in einen Hinterhalt geraten und Kannibalen in die Hände fallen. Postapokalyptischer Science-Fiction-Film, der auf viele Vorgänger rekurriert, die Versatzstücke aber einfallsreich und schlüssig kombiniert. Zügig erzählt und gut besetzt, reflektiert das Drama über Zivilisationsbrüche und die Frage, was Menschen unter extremen Bedingungen zu tun bereit sind. Dabei kann sich der "Look" des Debütfilms durchaus mit hochbudgetierten Blockbustern messen lassen. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
HELL
Produktionsland
Deutschland/Schweiz
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
Caligari Film/Vega Film/SevenPictures/SRF/SRG SSR
Regie
Tim Fehlbaum
Buch
Tim Fehlbaum · Oliver Kahl · Thomas Wöbke
Kamera
Markus Förderer · Tim Fehlbaum
Musik
Lorenz Dangel
Schnitt
Andreas Menn
Darsteller
Hannah Herzsprung (Marie) · Lars Eidinger (Phillip) · Stipe Erceg (Tom) · Angela Winkler (Bäuerin Elisabeth) · Lisa Vicari (Leonie)
Länge
86 Minuten
Kinostart
22.09.2011
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Science-Fiction
Externe Links
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Diskussion
Die Exposition entfaltet bereits einen Teil des Schreckens, den der Film parat hält: Ein Paar mittleren Alters hat einen Autounfall. Es herrscht Zwielicht, das Auto liegt in einem Wald. Der Mann ist verletzt und kann sich nicht befreien. „Sie kommen“, sagt er, nachdem die Kamera bereits mit subtilen subjektiven Bewegungen die Präsenz von Beobachtern angezeigt und latente Bedrohung angedeutet hat. Er drängt seine Begleiterin zur Flucht; die ist kurz starr vor Schrecken, dann hastet sie los durch den Wald – und mit ihr die Kamera. Darauf folgt ein Szenenwechsel. Man lernt drei Insassen eines Autos kennen, das sich auf einer menschenleeren Straße durch eine Wüstenlandschaft bewegt. Das Auto ist schmutzig, überladen mit Werkzeug und verbeulten Blech- und Kunststoffgefäßen, die die zwei wertvollsten Stoffe in dieser Welt enthalten: Wasser und Benzin. Die Scheiben des Autos sind nahezu komplett abgedunkelt, kaum ein Lichtstrahl kann ins Innere dringen. Wenn die Insassen das Fahrzeug verlassen, bedecken sie ihre Haut und tragen starke Sonnenbrillen. Es sind zwei Schwestern, Marie und Leonie; am Steuer sitzt Phillip. Er ist Maries Liebhaber; sie scheint jedoch eher aus pragmatischen Gründen an ihm interessiert – angesichts des Weltuntergangs muss man schließlich zusammenhalten. Wer Schutz und Nahrung bieten kann, hat gute Karten. Um den Weltuntergang, oder genauer gesagt um das, was von der Welt nach der Apokalypse übrig bleibt, geht es hier. Bereits der Titel ist doppelsinnig: Er meint das Gegenteil von Dunkel, jenes gleißende Licht, das über weite Strecken dominiert, und bezeichnet zugleich (auf Englisch) jene Hölle, die diese helle Welt in nahezu jeder Hinsicht ist. „Hell“ ist ein Science-Fiction-Thriller, eine Dystopie, die in der unmittelbaren Zukunft spielt. Vieles sieht hier noch vertraut aus, und doch ist alles fundamental anders geworden, denn der Klimawandel hat sich derart rasant beschleunigt, dass die Atmosphäre um zehn Grad Celsius wärmen wurde und die Erde in eine Wüste verwandelt hat. Wasser ist das kostbarste Gut, auch Nahrung und Treibstoffe sind knapp. Die Drei wollen sich in die Berge durchschlagen, dort soll es Wasser und Zufluchtsorte für Überlebende geben. Bald stößt noch ein Vierter hinzu. Über alle vier erfährt man bis zum Ende nicht übermäßig viel – nur wenig wird aus ihrem vorigen Leben angedeutet, wie auch über die Katastrophe, die sie hinter sich haben Dem an der HFF München studierenden Tim Fehlbaum gelingt in seinem Debüt eine kleine Sensation: Zwar ist kaum etwas neu an diesem postapokalyptischen Drama, das Motive von „Die Dämonischen“ (fd 5915), „I am Legend“ (fd 38 530) „The Last Man On Planet Earth“ (fd 34 265) und „The Road“ (fd 40 075) aufgreift. Doch der Film richtet sich nicht an die Gemeinde der Eingeweihten, sondern will das aufgeschlossene Massenpublikum für den Stoff begeistern. Das gelingt, er ist packend und trotzdem eine Herausforderung, da neben dem Horror der Verhältnisse auch explizite Gewaltdarstellungen und Kannibalismus zu Fehlbaums Version des Endes der menschlichen Zivilisation gehören. Fehlbaum zeigt virtuos, dass er die Klassiker des Genres kennt, er kombiniert ihre Versatzstücke einfallsreich und in sich schlüssig. Betont werden muss, dass „Hell“ nicht zuletzt eine große Produzentenleistung darstellt und sich neben Hollywood-Produktionen nicht zu verstecken braucht: Das gilt für den „Look“ des Films, sein Produktionsdesign, auch für die zügige Erzählweise: Fehlbaum beherrscht seine Mittel souverän. Dabei berührt „Hell“, wenn man ihn ernst nehmen will, seriöse Fragen nach dem Verhältnis von Anthropologie und Moral: Wie verankert sind zivilisatorische Tabus? Was sind Menschen unter extremen Verhältnissen bereit zu tun? Dass der Film zugleich auch Spaß macht, liegt nicht zuletzt an der Besetzung: Wer hätte Angela Winkler nicht immer schon mal gerne als Kannibalenmutter gesehen, Lars Eidinger als Nerd, den es in den Weltuntergang verschlagen hat, Hannah Herzsprung als das, was die Amerikaner ein „final girl“ nennen: eine ungewollte Amazone, die es mit allen aufnimmt und jede Herausforderung überlebt.
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