Ai Weiwei: Never Sorry

Dokumentarfilm | USA 2012 | 90 (24 B./sec.)/87 (25 B./sec.) Minuten

Regie: Alison Klayman

Dokumentarfilm über den chinesischen Künstler und Dissidenten Ai Weiwei, der sich durch seine Aktionen zunehmend der Willkür der Behörden ausgesetzt sieht. Er interessiert sich weniger für Ais ästhetische Qualitäten, sondern konzentriert sich auf dessen Rolle als politischer Agitator. Die Kamera begleitet Ai auf Reisen und bei Projekten; Rückblicke wechseln mit Interviews; man gewinnt einen Einblick in die Gepflogenheiten chinesischer Behörden. Ein recht konventionell gestaltetes, gleichwohl vielseitiges Porträt eines Mannes, der mit den Mitteln der Kunst um gesellschaftlich-politische Veränderungen ringt. (O.m.d.U.) - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
AI WEIWEI: NEVER SORRY
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2012
Produktionsfirma
Expressions United Media/MUSE Film and TV/Never Sorry
Regie
Alison Klayman
Buch
Alison Klayman
Kamera
Alison Klayman
Musik
Ilan Isakov
Schnitt
Jennifer Fineran
Länge
90 (24 B.
sec.)
87 (25 B.
sec.) Minuten
Kinostart
07.06.2012
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
EuroVideo (16:9, 2.35:1, DD5.1 Mandarin/dt.)
Verleih Blu-ray
EuroVideo (16:9, 2.35:1, dts-HD Mandarin/dt.)
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Diskussion
Eine der 40 Katzen in Ai Weiweis Studio in Peking ist klüger als ihre Artgenossen. Sie kann Türen öffnen. Wie ein Fanal wirkt die zum Türdrücker springende Katze am Anfang des Films über Ai Weiwei, den zurzeit bekanntesten Künstler und Dissidenten Chinas. Es ist das Porträt eines Mannes, der unbeirrt an Lernprozesse und an den Wandel zum Guten glaubt – vor allem an Reformen in seinem Heimatland. Drei Jahre lang hat die US-Journalistin Alison Klayman den 1957 in Peking geborenen Architekten, Künstler und Aktivisten mit der Kamera begleitet, beginnend mit dem Aufstieg Ais als öffentliche Figur. Im Jahr 2008 hatte er in seinem Blog und via Twitter den Tod tausender Kinder beim Erdbeben in Sichuan thematisiert und damit – sehr zum Ärger der Behörden – auf die mangelhafte Erdbebensicherheit von Schulgebäuden hingewiesen. Klaymans Film dokumentiert, wie Ai seitdem zunehmend Willkürakten seitens der Regierung ausgesetzt ist. Höhepunkte sind die Inhaftierung des Künstlers im April 2011 und sein zeitweiliges Verschwinden, Ereignisse, die die Fertigstellung des Films verzögert haben. Die jüngsten Bilder zeigen Ai auf freiem Fuß, von den Behörden zum Schweigen verpflichtet. Er dürfe nichts sagen, äußert Ai gegenüber Journalisten: „So sorry.“ Sein Schicksal bleibt offen. „Ich fühle mich wie ein Schachspieler“, sagt Ai Weiwei im Film, „mein Gegner macht eine Bewegung, und dann bin ich am Zug.“ Ein Künstler, der sich mit seinen Aktivitäten in den Dienst politischer Veränderung stellt, hat nicht nur in China Seltenheitswert. Es kommt nicht häufig vor, dass die Grenze zwischen Kunst und Aktivismus so verschwimmt wie bei ihm. Dass Klayman dabei die unbestrittenen ästhetischen Qualitäten seiner Kunst eher unter den Tisch fallen lässt, dass sie den Akzent deutlich auf die politische Figur Ai Weiwei legt, ist aufgrund der historischen Bedeutung ihres Sujets verständlich. Formal geht der Film kaum über ein konventionelles Fernseh-Feature hinaus. Die Flashbacks in die jüngere Historie Chinas zeigen, wie sehr die Familiengeschichte Ais mit ihr verflochten ist. Sein Vater Ai Quing, ein bekannter chinesischer Dichter, war enger Weggefährte Maos, fiel in Ungnade und wurde in die Provinz verbannt. Dort musste die ganze Familie fast zwei Jahrzehnte lang Repressalien erleiden. Neben solchen Rückblicken, die den Charakter des Protagonisten erhellen, wechseln sich Interviews mit dessen Mutter, seinem Bruder, mit Galeristen, Künstlern oder anderen Dissidenten mit Einblicken in die Gepflogenheiten chinesischer Behörden ab. So versucht Ai – obwohl ihm die Aussichtslosigkeit seines Unterfangens wohl bewusst ist –, in Chengdu eine Klage gegen die Polizisten anzustrengen, die ihn im August 2009 verprügelten. Auch der Abriss seines Schanghaier Ateliers ist zu sehen. Und das dem Räumungsbescheid folgende „Flusskrebsfest“, das Ai und seine Freunde dort als Protestaktion begingen. Der Name der verspeisten Schalentiere ähnelt im Klang dem von der Zensurbehörde häufig gebrauchten Wort „harmonisieren“. Man begleitet den massigen, meist ruhig und beherrscht wirkenden Künstler bei Vorbereitungen der großen Ausstellungen im Münchner Haus der Kunst sowie in der Londoner Tate Modern in London. Geschildert wird auch sein New Yorker Intermezzo zwischen 1983 bis 1993, während dem Ai Weiwei Andy Warhol, Jeff Koons und die Konzeptkunst für sich entdeckte. Immer wieder fotografierte er Demonstrationen. „Freiheit ist eine eigenartige Sache“, kommentiert Ai, „wenn du sie einmal erfahren hast, bleibt sie in deinem Herzen, und niemand kann sie dir wegnehmen. Womöglich hast du dann mehr Macht als ein ganzes Land.“ Einen Eindruck von der Macht des Aktivisten gibt eine Szene in Chengdu: Er isst in einem Straßenrestaurant zu Abend, immer wieder gesellen sich Passanten zu ihm, dem Künstler für seine Aktionen dankend. Polizisten tauchen auf, sie möchten die zufällige Zusammenkunft wohl am liebsten auflösen, merken aber, dass mehrere Kameras auf sie gerichtet sind. Schließlich filmt ein Beamer die Szenerie mit der Videokamera, während sie von Ais Assistenten ebenfalls gefilmt werden. Ein Patt im Machtkampf – aber eben bloß eine symbolische Szene. Seit der Film 2012 auf der „Berlinale“ uraufgeführt wurde, ist es still um Ai Weiwei geworden. Hat die Regierung, die Ai Weiwei wegen Steuerhinterziehung und neuerdings mit Pornografie-Vorwürfen den Prozess machen will, den Künstler endgültig mundtot gemacht? Ai Weiweis im Film dokumentierter Kampf für Demokratie, Gleichheit und Rechtssicherheit weckt Hoffnungen – die politische Stagnation der vergangenen Monate in China erzeugt einen bitteren Nachgeschmack.
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