Man for a Day

Dokumentarfilm | Deutschland 2012 | 97 (25 B./sec.) Minuten

Regie: Katarina Peters

Dokumentarfilm über die Gender-Aktivistin Diane Torr und einen von ihr geleiteten Workshop in Berlin, in dem rund 20 Frauen die Geheimnisse männlicher Identität dadurch zu ergründen versuchen, dass sie in Männerkleider schlüpfen und typisch männliche Verhaltensweisen imitieren. Ein kurzweiliger, sehr spannender Beitrag über Mythen und Klischees des Geschlechterdiskurses, der eine Vielzahl erhellender Perspektiven eröffnet. Dank der einfallsreichen Inszenierung entsteht eine Assemblage des Weiblich-Männlichen, die in den Kommentaren und der Biografie von Torr ihre zentrierende Mitte findet. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2012
Produktionsfirma
Katarina Peters Filmprod./ZDF (Das kleine Fernsehspiel)/mediaco-op
Regie
Katarina Peters
Buch
Katarina Peters
Kamera
Susanna Salonen · Yoliswa Gärtig · Katarina Peters
Musik
Jan Tilman Schade · Gudrun Gut · Ben Freyer
Schnitt
Friederike Anders · Jana Teuchert
Länge
97 (25 B.
sec.) Minuten
Kinostart
19.07.2012
Fsk
ab 6 (DVD)
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
Angeblich sei es ja nur ein kleiner Unterschied, der Männer von Frauen trenne. Doch mit den alten Zöpfen des Biologismus hält sich die schottische Performance-Künstlerin Diane Torr erst gar nicht auf; in ihren Shows und Seminaren dienen die augenfälligen Differenzen zwischen den Geschlechtern vielmehr als willkommene Basis; sie untermauern ihre These sehr plastisch, dass Mannsein/Frausein primär aus einer Ansammlung von Gesten, Codes und Verhaltensweisen bestehe, die sozial tradiert und erworben werden. „Gender is gesture“, lautet Torrs Credo. Seit drei Jahrzehnten experimentiert die „Physiophilosophin“ mit ihrem Körper und den Mythen der Geschlechter, wovon auch der Dokumentarfilm von Katarina Peters beredtes Zeugnis gibt, der die Gender-Aktivistin bei einem ihrer „Man for A Day“-Workshops in Berlin begleitet. Knapp zwanzig Frauen verwandeln sich dort unter Torrs sanfter Anleitung binnen einer Woche Schritt für Schritt in Männer, spielerisch, mit viel Fantasie, aber durchaus ernsten Absichten. Die Gruppe ist heterogen, die Biografien sind bunt, die Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht tendenziell belastet. Die Inszenierung hebt eine Hand voll Frauen heraus, stellt sie und ihre Motive vor, begleitet sie aber auch nach dieser Woche und fragt, was die „Drag King“-Erfahrungen in ihrer Wahrnehmung und ihrem Denken verändert haben. Die Dramaturgie folgt der Struktur des Workshops: der sukzzessiven Anverwandlung einer „männlichen“ Perspektive, angeleitet von Torrs alter Ego „Danny King“, einer pomadisierten, von fern an Franz Josef Strauß erinnernden Figur. Mit gravitätischen, raumgreifenden Bewegungen in Anzug und Krawatte etabliert dieser King eingangs das Prinzip der Mimikry: eine bewusst stereotype, an scheinbaren Äußerlichkeiten orientierte und vergröbernde Kompilation, die auf der Bühne einen hohen Unterhaltungswert garantiert, aber realen Vorbildern doch so nahe kommt, dass sich Identifikationen aufdrängen; die Nagelprobe für die Teilnehmerinnen besteht darin, auf den Straßen Berlins als Mann akzeptiert zu werden. Was das heißt und wie man dies bewerkstelligt, führt der unterhaltsame Film in bunter Fülle vor Augen: Susann, blond, schlank und mit zahlreichen „Miss“-Titeln (von der „Miss Ostprignitz-Ruppin“ bis zur „Miss Uckermark“) dekoriert, schlüpft in graue Baggy-Hosen und mimt einen schmalbrüstigen Rapper, die israelische Modedesignerin Tal will es den Kerlen einmal so richtig heimzahlen und macht mit dicken Koteletten auf markig und Macker, Eva-Marie aus dem parlamentarischen Mitarbeiterumfeld der Bundestagsfraktion der Grünen erhofft sich lässige Coolness statt weibliches Understatement, eine graugesichtige Mutter schlüpft in die Haut eines nur wesentlich farbigeren Klimaforschers, die sanfte Rose aus der Karibik imitiert ihren gewalttätigen Ex, vor dessen Schlägen sie sich mehrmals ins Frauenhaus flüchtete. Sitzt erst einmal die „Verkleidung“ (inklusive bandagierten Brüsten) und mit ihr die fiktive Biografie, geht es ans Eingemachte: Körpersprache, Gestus, Auftreten, Intonation. Nicht kieksen oder die Stimme am Satzende nach oben flattern lassen; nicht ständig zustimmend lächeln oder jeden Satz mit fuchtelnden Händen unterstreichen, Position beziehen (auch wenn die noch so unhaltbar ist), sich behaupten, seinen Platz markieren, den Raum in Besitz nehmen. Das klingt simpel und wirkt bisweilen auch albern, zeitigt aber schnell Wirkung. Den breitbeinigen Gang unterstützen dabei nicht nur ein aus Watte gebastelter Penis in der Unterhose und die Verlagerung des Körperschwerpunkts Richtung Schultern, sondern insbesondere Feldstudien in der Stadt. Torr schickt die Frauen los, damit sie ihren Männer-Typus in freier Wildbahn genau studieren, was dem Film zu einer verblüffenden, fast chaplinesken Männlichkeitsstudie verhilft, wie man(n) überhaupt erstaunt die enorme Bandbreite männlicher Phänotypen registriert. Von Torrs klugen Kommentaren und Reflexionen aus dem Off orchestriert, erlebt man die lustvolle Metamorphose der Frauen, ohne dass einzelne Elemente oder Figuren überstrapaziert würden; die einfallsreiche Inszenierung gleitet vielmehr geschickt durch die Assemblage des Weiblich-Männlichen und findet in der Biografie von Diane Torr ihre zentrierende Mitte; deren Arbeiten werden in Gestalt von Fotos und Filmen mit zunehmender Dauer stärker dazwischengeschnitten; auch ihre private Vita gewinnt exemplarischen Charakter. „Man for a Day“ ist kurzweilig, spannend und voller Details, die jede Menge erhellender bis frappierender Perspektiven auf den Gender-Diskurs eröffnen. Der größte Verdienst des Films aber besteht darin, dass er die Frage nach den Geschlechtern aus der akademischen Sphäre befreit und einem breiteren Publikum zugänglich macht. Denn man kann gar nicht umhin, als Erscheinungsweise, Habitus und Körpersprache von Männern (und implizit natürlich auch von Frauen) als gesellschaftliche Konventionen zu durchschauen; vom emanzipativen Potenzial des Perspektivenwechsels ganz zu schweigen. Wie weit die Torrs Thesen philosophisch tragen, steht auf einem anderen Blatt; die phänomenologische Beobachtung und Analyse aktueller Geschlechteridentitäten aber ist ein echter Hammer!
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