Babamin Sesi - Die Stimme meines Vaters

- | Türkei/Deutschland/Frankreich 2011 | 87 (24 B./sec.)/84 (25 B./sec.) Minuten

Regie: Orhan Eskiköy

Eine Kurdin Mitte 60, die ihre beiden Söhne nahezu allein aufgezogen hat, vereinsamt nach dem Unfalltod ihres türkischen Ehemanns. Im Dorf hat sie nie richtig Wurzeln geschlagen, ihre Söhne sind längst ausgezogen. Als einer der beiden selbst Nachwuchs erwartet und seine Familiengeschichte zu erforschen beginnt, versucht er, sich seiner Mutter wieder anzunähern. Das anrührende Drama nähert sich einfühlsam und mit dokumentarischem Sensus den Figuren und ihren Lebensumständen an; dabei reflektiert der Film als Porträt der entfremdeten Familie die Spannungen und Brüche der türkischen Gesellschaft. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
BABAMIN SESI
Produktionsland
Türkei/Deutschland/Frankreich
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
Perisan Film/Riva Filmprod./Arizona Films
Regie
Orhan Eskiköy · Zeynel Dogan
Buch
Orhan Eskiköy
Kamera
Emre Erkmen
Schnitt
Orhan Eskiköy · Çiçek Kahraman
Darsteller
Basê Dogan (Basê) · Zeynel Dogan (Mehmet) · Gülizar Dogan (Gülizar)
Länge
87 (24 B.
sec.)
84 (25 B.
sec.) Minuten
Kinostart
15.11.2012
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Externe Links
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Diskussion
Eine Frau, Mitte 60, in ihrer viel zu großen Wohnung. Das Telefon klingelt, ohne dass sich jemand meldet. Audiokassetten, von denen der längst verstorbene Ehemann aus der Fremde die Familie grüßt. „Die Stimme meines Vaters“, der erste Spielfilm des kurdisch-türkischen Regisseurs-Duos Orhan Eskiköy und Zeynel Dogan, ist ein Protokoll über die Abwesenheit von Familie in einem Land, in dem Familie einen zentralen Stellenwert hat; eine psychologisch eindringliche Studie über eine durch kriegerische Konflikte und Arbeitsmigration erzwungene Einsamkeit. Basê hat ihre beiden Söhne allein groß gezogen; ihr Mann Mustafa arbeitete stets in der Fremde, zuletzt auf einer Baustelle in Saudi-Arabien. Dort ist er bei einem Arbeitsunfall ums Leben gekommen. Was blieb, sind einige Kassetten, die er damals nach Hause schickte – Briefe kann die Analphabetin Basê nicht lesen. Auch von ihren Kindern fühlt sie sich allein gelassen: Mehmet ist aus dem südtürkischen Dorf Elbistan in die Großstadt Diyarbakir gezogen, Hassan hat sich der Guerilla angeschlossen und ist „in die Berge“ gegangen. Ab und zu ruft er an, aber die Leitung bleibt stumm, da er sich nicht verraten will. Kurz bevor er selbst Vater wird, beginnt Mehmet, seine Familiengeschichte zu erforschen. Er erkennt, wie wenig er über seine Mutter weiß, über ihre unerfüllten Sehnsüchte, ihre Einsamkeit als Kurdin in einem türkischen Dorf, ihre Duldsamkeit. Der Versuch, sich wieder einander anzunähern, vollzieht sich in distanziertem, später zunehmend einvernehmlichem Schweigen. Normalität aber stellt sich nicht mehr ein: Zu viel hat Basê auf sich genommen in den letzten Jahren, zu wenig weiß Mehmet über das Leben der fremden Mutter, zu weit weg ist der unbekannte Bruder Hassen, der sich sporadisch und ebenfalls schweigend ins Familienleben zurückmeldet. Eskiköy und Dogan haben bislang mit Dokumentarfilmen auf sich aufmerksam gemacht, zuletzt mit einem Film über einen jungen Lehrer aus Izmir, den sie während der Referendariatszeit in einer ostanatolischen Dorfschule begleiteten. In „Die Stimme meines Vaters“ übernehmen die Filmemacher die präzise Beobachtungsgabe ihrer dokumentarischen Methode, das seismografische Gefühl für kleinste emotionale Nuancen. Die betont langsame Dramaturgie gibt Raum für eine einfühlsame Annäherung an das gespaltene innere Ich der Familie. Zur Authentizität trägt bei, dass Dogan die Rolle von Mehmet selbst übernommen hat, und Basê auch im wirklichen Leben seine Mutter ist. „Die Stimme meines Vaters“ ist das nachdenkliche Protokoll der Entfremdung – vielleicht eines ganzen Volkes. Mit persönlichem Tiefgang und ohne je explizit politisch zu werden, wird die kollektive psychische Deprivation aus den Tiefen der Verdrängung an die Oberfläche geholt, wenn sich Mehmet durch die Tonaufnahmen seines Vaters arbeitet. Am Ende bleibt Hassan in den Bergen, die Mutter in Elbistan, und Mehmet gründet seine neue Familie im fernen Diyarbakir. Dazwischen aber war ein Lächeln zwischen Mutter und Sohn und ist ein neues, beiderseitiges Verständnis von Familiengeschichte gewachsen; Grundstein einer vorsichtigen Emanzipation aus dem kollektiven inneren Exil.
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