Modest Reception - Die Macht des Geldes

Road Movie | Iran 2012 | 100 Minuten

Regie: Mani Haghighi

Ein urbanes Pärchen verschenkt säckeweise Geld an die iranische Landbevölkerung, wobei an die Gaben stets Bedingungen geknüpft sind, die im Lauf des Films immer absurder werden. Eine surreale Allegorie auf die zwischen Tradition und Moderne gespaltene Gesellschaft im Iran. Das fantastisch gespielte, poetisch-philosophisch aufgeladene Road Movie ist aber zugleich noch mehr: ein zeitloses cineastisches Meisterwerk. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
PAZIRAIE SADEH
Produktionsland
Iran
Produktionsjahr
2012
Produktionsfirma
Hubert Bals Fund
Regie
Mani Haghighi
Buch
Mani Haghighi · Amir Reza Koohestani
Kamera
Houman Behmanesh
Schnitt
Haydeh Safi-Yari
Darsteller
Taraneh Alidoosti (Leyla) · Mani Haghighi (Kaveh) · Saeed Changizian (Soldat) · Esmail Khalaj (alter Mann) · Saber Abbar (junger Mann)
Länge
100 Minuten
Kinostart
27.06.2013
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Road Movie
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Diskussion
Ein Kontrollposten irgendwo in den iranischen Bergen. Weit und breit nichts außer Fels, Geröll, Schnee und einer kleinen Straße, die sich durch die karge Landschaft gräbt. Das modisch gekleidete Pärchen im SUV muss in dieser Welt natürlich verdächtig erscheinen. Anstatt sich auszuweisen, fangen der Mann mit dem grauen Haar, der den linken Arm wie Napoleon in der Schlinge trägt, und die junge Frau mit der Alpaka-Mütze dann auch noch an zu streiten. Der Mann wirft das Handy seiner Begleiterin in den Schnee, wo es die Frau aufgeregt sucht, während sich der Soldat – das Gewehr im Anschlag – das Beziehungsgejammer des Mannes anhören muss. Ein Auftritt wie aus einer amerikanischen Screwball-Komödie. Am Ende: Gelächter. Davor aber passiert etwas Unerhörtes, nahezu Groteskes. Unter einem Vorwand öffnet die Frau den Kofferraum, greift hinein und schleudert eine Plastiktüte in die Richtung des Soldaten. Randvoll gefüllt mit Geld. Bündelweise fällt es heraus, Scheine flattern durch die Luft. Während der Staatsdiener mit großen Augen danach greift, sitzt das Pärchen schon wieder im Auto und braust davon. Das zänkisches Ehepaar: eine Inszenierung? Im Wegfahren zeigt die Kamera den mit Dutzenden Geldtüten gefüllten Kofferraum. So unvermittelt wie die wohlhabenden Ski-Urlauber in „Men at Work“ (2006) auf der Rückfahrt nach Teheran plötzlich anhielten, um einen riesigen phallischen Felsbrocken einen Abhang hinabzustoßen, so umstandslos stürzt Regisseur Mani Haghighi den Zuschauer nun in die surreal-allegorische Parallelwelt seines vierten Spielfilms. Bis zum Schluss lässt sich nur bruchstückhaft erahnen, was die beiden Hauptfiguren Leyla und Kaveh in diese menschenverlassene Gegend führt und woher das viele Geld kommt. Zu sehen ist nur, wie sie es verschenken; und zwar nach klaren Regeln: pro Tüte eine Million und pro Person höchstens eine Tüte. Solche Leerstellen sind charakteristisch für das iranische Gegenwartskino. Zumindest jener Teil, der im Westen zu sehen ist; etwa die Filme von Rafi Pitts, Asghar Farhadi und – in geringerem Maße – von Jafar Panahi. Möglicherweise handelt es sich bei den Auslassungen um Versuche, gesellschaftskritische Kommentare an der Zensur vorbei ins iranische Kino zu schmuggeln. In jedem Fall aber verleiht die wabernde Deutungsoffenheit den Werken einen märchenhaft-mystischen Einschlag, eine poetische Grundierung, die sie über die eigentliche Handlung hinaus in eine zeitlos-lyrische, philosophische Sphäre hebt. Dass das Geld gar nicht so leicht unter die Leute zu kriegen ist, wirkt zu Beginn oft komisch. Leyla und Kaveh fangen an, die Plastiksäcke zu verstecken und die von ihnen „Beschenkten“ heimlich zu filmen, wie sie das Geld entdecken. Aber es bleibt nie lustig. Stets eskaliert die Situation, und aus den Wohltätern werden Aggressoren. Je länger das Road Movie dauert, umso teuflischer werden ihre Methoden, bis Kaveh ausgerechnet am brennenden Dornbusch einen Vater dazu verführt, sein totes Kind den streunenden Hunden zu überlassen. Doch Leyla und Kaveh, diese iranischen Bonnie und Clyde im Reverse-Modus, sind nicht einfach nur böse; hinterher versucht Kaveh verzweifelt, dem toten Baby ein Grab zu schaufeln und die lauernden Hunde zu vertreiben. Im Konflikt zwischen Moderne und Tradition, der die iranische Gesellschaft spaltet, schlägt sich Mani Haghighi auf keine Seite, so zynisch er die Haltungen und Handlungen seines antiheldischen Duos auch inszeniert. Leyla & Kaveh, die sich wahlweise auch als gutmeinende westliche Kulturbotschafter, Entwicklungshelfer oder Imperialisten deuten lassen, begegnen einigen der von ihnen Beschenkten und Bedrängten später wieder und werden auf diese Weise mit den Konsequenzen ihrer Taten konfrontiert; am Ende werden sie selbst zu Opfern. Einmal mehr ist es Winter in einem iranischen Film, alles erstarrt, und ein Happy End rückt in weite Ferne. „Modest Reception“ ist mehr als ein fantastisch gespieltes, poetisch inszeniertes Road Movie: ein zeitloses cineastisches Meisterwerk.
Kommentar verfassen

Kommentieren