Frohes Schaffen

Dokumentarfilm | Deutschland 2012 | 102 (24 B./sec.)/98 (25 B./sec.) Minuten

Regie: Konstantin Faigle

Die Doku-Fiktion (Untertitel: "Ein Film zur Senkung der Arbeitsmoral") kritisiert Arbeit als westlich-kapitalistische Ersatzreligion und proklamiert den Müßiggang. Die tiefgründige dokumentarische Analyse, die sich primär auf Gespräche und Interviews stützt, wird durch fiktionale Sequenzen ergänzt. Trotz deren eher simpler Machart entwickelt sich daraus eine abwechslungsreiche und inspirierende, aber auch streitbare Auseinandersetzung mit der modernen Arbeitsgesellschaft. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2012
Produktionsfirma
Hupe Film/ZDF (Das kleine Fernsehspiel)
Regie
Konstantin Faigle
Buch
Konstantin Faigle
Kamera
Steph Ketelhut
Musik
Theo Pauss
Schnitt
Andreas Menn
Darsteller
Helene Grass · Hubertus Hartmann (Werner Kraft) · Roland Jankowsky (Herbert Stollberg-Naue) · Heinz W. Krückeberg (Rentner) · Jochen Picht
Länge
102 (24 B.
sec.)
98 (25 B.
sec.) Minuten
Kinostart
02.05.2013
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
W-Film
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Diskussion
Einen „Film zur Senkung der Arbeitsmoral“ nennt Filmemacher Konstantin Faigle seine Doku-Fiktion im Untertitel. Das klingt lustig, provokant, auch ein bisschen oberflächlich und führt damit gleich dreimal in die Irre. „Frohes Schaffen“ ist nichts von alledem. Natürlich steckt in der Ausgangsthese, dass Arbeit in der westlichen Gesellschaft überbewertet werde und sich zum Selbstzweck entwickelt habe, ein provokativer Kern. Selten aber führt das im Rahmen des Films zu tagesaktuellen politischen Forderungen wie etwa derjenigen nach einem bedingungslosen Grundeinkommen für alle; solche vertritt eine Gruppe Demonstranten in der Stuttgarter Fußgängerzone, wofür sie von den Passanten meist nur milde belächelt wird. „Frohes Schaffen“ schließt sich dieser Forderung lediglich indirekt an. Der Film denkt sie nicht weiter, konkretisiert sie nicht, verleiht ihr aber ein philosophisches Fundament. Faigle redet mit namhaften Wissenschaftlern, Sozialhistorikern, Volkswirten, Philosophen, Soziologen, Psychologen und selbsternannten Lebenskünstlern. Mit Benjamin Hunnicutt, Jeremy Rifkin, Michael Schmidt-Salomon, Marianne Gronemeyer, Susan Blackmore und Tom Hodgkinson zum Beispiel. Es ist die sozialhistorische Entwicklung der Arbeit, die er mit ihnen bespricht, ihr Stellenwert als Ersatzreligion in den heutigen westlichen Gesellschaften. Er unterhält sich über „Meme“, soziale Ideen und Verhaltensmuster, die von Generation zu Generation weitervererbt werden. Es sind fundierte, unaufgeregte Gespräche, die Faigle führt. Visuell bleibt deren Aufarbeitung fernsehbanal. Die Kamera steht, die Interviewpartner sitzen; in der Halbtotalen sieht man sie hinterm Schreibtisch, im Garten, im Museum, auf einer Wiese. Dennoch ist es hochspannend, ihnen zuzuhören, wie sie mit ihren Überlegungen nichts weniger als die Grundlagen des Kapitalismus in Frage stellen. Damit sind sie im dokumentarischen Kino derzeit bei weitem nicht allein. Die geisteswissenschaftliche Perspektive, auf die „Frohes Schaffen“ das Hauptaugenmerk legt, fügt den vielfältigen kapitalismuskritischen Produktionen jedoch einen eigenen Aspekt hinzu. Denn ungeachtet seines agitatorischen Untertitels liefe der Film Gefahr, zur vagen Bestandsaufnahme zu versanden. Faigle stellt deshalb in kurzen Zwischensequenzen den aktuellen Bezug wieder her. Er zeigt Archivbilder vom Polit-Talk im Fernsehen, bei dem immer wieder die Schaffung von Arbeitsplätzen als zentrale politische Zielvorgabe definiert wird. Er begleitet Langzeitarbeitslose bei einer Beschäftigungsmaßnahme in einem Hamburger Übungseinkaufscenter, in dem mit Spielgeld bezahlt wird, oder lässt ehemalige „Kumpel“ ein Loblied auf die Arbeit unter Tage anstimmen. Und er sammelt Impressionen des Zerfalls im geschlossenen Nokia-Werk in Bochum. Dazwischen montiert Faigle immer wieder kleine Spielfilmszenen aus dem Lebensalltag eines erschöpften Ingenieurs, einer freien Producerin ohne Aufträge, eines Versicherungsangestellten, der vom Häuschen auf dem Land träumt, oder eines Rentners, der ohne Arbeit nichts mehr mit sich anzufangen weiß. Erlöst werden sie alle durch den seligen Müßiggänger Jochen Picht, der in „Frohes Schaffen“ sich selbst spielt und den Faigle bereits für die Dokumentation „Glückliche Nichtstuer“ porträtiert hat. Die Bilder, die der Film fürs glückliche Nichtstun findet, sind allerdings ziemlich kläglich. Mal knattert Picht freudestrahlend auf dem Mofa durch die Straßen, dann schlürft er genüßlich am Kaffee wie in einem kitschigen Werbespot. Die Befreiungsdramaturgie dieser Szenen erinnert mit ihrer naiven Utopie zudem an eine zweitklassige Märchenverfilmung. Trotzdem tun diese Inszenierungen dem Film gut, weil sie rhythmische Kontrapunkte kreieren und so ihren Beitrag dazu leisten, dass „Frohes Schaffen“ unterm Strich nicht nur zum Weiterdenken anregt, sondern auch noch ziemlich unterhaltsam ist.
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