Die Jungfrau, die Kopten und ich...

Dokumentarfilm | Frankreich/Katar/Ägypten 2011 | 85 Minuten

Regie: Namir Abdel Messeeh

Das vermeintliche Versagen eines Pariser Nachwuchsregisseurs, der sich in der ägyptischen Heimat seiner Eltern auf die Spuren von Marienerscheinungen macht, steht im Zentrum des augenzwinkernden Dokumentarfilms. Als die Interviews mit koptischen wie muslimischen Augenzeugen zu nichts führen und der finanzielle Druck größer wird, soll eine inszenierte Erscheinung für die nötige Attraktion sorgen. Wunderbar leichthändig fängt der Debütfilm die Stimmungslage während des Arabischen Frühlings in Ägypten ein. Die von ihm angelegte Auslegungsfreiheit gesteht jedem seine eigene Interpretation zu, während seine Begegnungen die Umbrüche im Denken der Ägypter widerspiegeln. Dabei sagt das persönliche Eintauchen in ein völlig anders gelagertes Leben mehr aus als jede vorgefertigte Experten-Analyse. (O.m.d.U.) - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
LA VIERGE, LES COPTES ET MOI...
Produktionsland
Frankreich/Katar/Ägypten
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
Oweda Films
Regie
Namir Abdel Messeeh
Buch
Namir Abdel Messeeh · Nathalie Najem · Anne Paschetta
Kamera
Nicolas Duchêne
Musik
Vincent Segal
Schnitt
Sébastien de Sainte Croix · Isabelle Manquillet
Länge
85 Minuten
Kinostart
13.06.2013
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Arsenal (16:9, 1.78:1, DD2.0 frz.)
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Diskussion
Namir Abdel Messeeh braucht eine Marienerscheinung, und das möglichst flott. Der Pariser Nachwuchsregisseur kommt in Ägypten, dem Heimatland seiner Eltern, ganz schön ins Schwitzen, als er sich in seiner Dokumentation auf die Spuren einer religiösen Verzückung begibt. „Die Jungfrau, die Kopten und Ich“ soll sein Debüt werden; inspiriert wurde es im Wohnzimmer der Eltern, die mittlerweile als koptische Christen in Paris leben. Als hier das grobkörnige Video einer angeblichen Marienerscheinung vorgeführt wird, ist sogar seine bodenständige Mutter Siham überzeugt, eine vom Licht umstrahlte Erscheinung erkannt zu haben. Namirs säkular geschulte Augen richten sich fortan auf ein mediales Phänomen, das viele in natura gesehen haben wollen. Der junge Mann ist allerdings mehr von der um sich greifenden Hysterie angetan, die ein solches Phänomen auslöst und zugleich bedingt, zumal bei einer benachteiligten Minderheit wie den ägyptischen Kopten. Doch sein Versuch, den Nachhall des Hörensagens einzufangen, ist müßig, und die Jungfrau während der Dreharbeiten ziemlich schüchtern. Befeuert durch die Sorgen seiner Mutter und die des Produzenten, bräuchte Namirs erster Langfilm wirklich ein Wunder. Also reist der Debütant ins abgelegene Dorf seiner armen Verwandten, um dort eine Marienerscheinung zu inszenieren. Sakrileg oder andächtige Verehrung? Der Interpretationsspielraum für die religiösen Oberhäupter vor Ort ist breit gefächert, der Spaß für die hart schuftenden Feldarbeiter und ihre Familien hingegen groß und der Einblick in die ägyptische Mentalität sehr humorvoll, vor allem, als Siham ihrem Sohn nachreist und das Ruder in die Hand nimmt. In seiner Kurzdokumentation „Toi, Waghui“ sprach Messeeh noch vor einer statisch installierten Kamera mit seinem Vater über dessen Erlebnisse als politischer Gefangener während des Nasser-Regimes. Für seinen ersten abendfüllenden Dokumentarfilm hat er sich nun in Bewegung gesetzt und Ägypter unterschiedlichster Regionen und Konfessionen interviewt. „Die Jungfrau, die Kopten und Ich“ erzählt vordergründig unaufgeregt von den drei Eckpunkten seines Titels, zwischen denen sich allerdings eine ganz eigene Wahrheit über die Mysterien des Glaubens, dessen Praktikabilität im Alltag und die Manipulationsmechanismen des Dokumentarfilms entfalten. Mit einem dicken, selbstironischen Augenzwinkern thematisiert Messeeh das eigene Versagen bei der Marienjagd. Das Resultat hingegen wirkt so vergnüglich und mit leichter Hand inszeniert, als wäre er, den Arabischen Frühling bereits in der Nase, tatsächlich kurzerhand zu seinen Wurzeln zurückgekehrt und hätte die Kamera schlicht auf seine Vorfahren gehalten. Wie blauäugig Messeeh dabei wirklich ist, verraten seine braunen Augen nicht, vielleicht aber ihr schelmischer Glanz. Von den Protesten, die sich zeitgleich in Kairo ausbreiteten, will Namir nämlich erst via Handy gehört haben, als sein Produzent plötzlich nicht nur mit Finanzspritzen, sondern auch mit interessierten Verleihern aufwartet. Die Revolution wird für die spielerische Dokumentation unter anderen Vorzeichen also zum eigentlichen Wunder. Dass der aus einem vorgeblich naivem Impetus entstandene Film so gelungen ist, verdankt Messeeh hingegen sich selbst: Die von ihm angelegte Auslegungsfreiheit steht jedem seine eigene Interpretation zu, während seine Begegnungen die Umbrüche im Denken der Ägypter widerspiegeln: Die religiösen Oberhäupter sind unerwartet nachsichtig, die jungen Mädchen stellen sich kichernd als Mariendarstellerin zur Verfügung, und selbst die Muslime, die trotz aller Konflikte mit den Kopten ebenfalls die heilige Jungfrau verehren, beäugen Namirs Theater mit kritischen Augen, aber einem schmunzelnden Mund. Dabei vermag dieses persönliche Eintauchen in ein völlig anders gelagertes Leben voller minimaler Standards und großer Sorgen so viel mehr über die Stimmungslage einer vergangenen Hochkultur im Umbruch auszusagen, als jede vorgefertigte Experten-Analyse.
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