Kohlhaas oder Die Verhältnismäßigkeit der Mittel

Tragikomödie | Deutschland 2012 | 93 (24 B./sec.)/90 (25 B./sec.) Minuten

Regie: Aron Lehmann

In einem abgelegenen bayrischen Dorf möchte ein junger Filmemacher Heinrich von Kleists Drama "Michael Kohlhaas" verfilmen. Doch gleich am ersten Drehtag werden ihm alle Fördergelder gestrichen. Der Regisseur versucht, die fehlenden Mittel durch Fantasie und Wahrhaftigkeit zu ersetzen, und spannt dazu auch die Bewohner des Dorfs ein, in dem der Film entsteht. Doch die Spannungen im Filmteam, aber auch zwischen Filmteam und Dorfbevölkerung eskalieren. Eine intelligente, dabei höchst unterhaltsame Tragikomödie über das Filmemachen zwischen kreativen Visionen, menschlichen Schwächen und Sachzwängen. - Sehenswert ab 12.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2012
Produktionsfirma
Kaminski.Stiehm.Film/HFF "Konrad Wolf"/BR
Regie
Aron Lehmann
Buch
Aron Lehmann
Kamera
Cristian Pirjol
Musik
Boris Bojadzhiev
Schnitt
David Hartmann
Darsteller
Robert Gwisdek (Lehmann) · Jan Messutat (Kohlhaas) · Thorsten Merten (Herse) · Rosalie Thomass (Lisbeth) · Michael Fuith (Heinrich)
Länge
93 (24 B.
sec.)
90 (25 B.
sec.) Minuten
Kinostart
08.08.2013
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 12.
Genre
Tragikomödie
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Diskussion
„Also ich will gar nicht lange drum rum reden. Die Produzenten sind ausgestiegen, die Förderung ist geplatzt, und das Restgeld ist auch weg.“ Der junge Regisseur (Robert Gwisdek) sitzt auf einem Pferd und sagt seinem Team die bittere Wahrheit: Er steht vor dem Nichts. Selbst das Pferd wird ihm weggenommen und der unbezahlte Busfahrer lässt das Filmteam auf der Wiese stehen. Dabei hatte alles gut angefangen: die Finanzierung für ein Historiendrama nach Heinrich von Kleist, für den „Michael Kohlhaas“, hatte das Team in der Tasche; der erste Drehtag mit „Pferden, Rüstungen und Feuer“ war ein großer Erfolg. Nun aber sind nicht nur die üppige Ausstattung und die pyrotechnischen Effekte passé, das Geld reicht nicht einmal mehr für die Unterkunft. Aber der Jungfilmer spornt den kreativen Mut der Resttruppe an: „Wir sind hierhergekommen um ein historisches Epos zu drehen und das historische Epos wird wahrscheinlich nicht so aussehen, wie wir uns das vorgestellt haben...“ Tatsächlich wird alles anders: Michael Kohlhaas wird aus preußischen Gefilden in das bayrische Dorf Speckbrodi verlegt, wo es Gastfreundschaft, aber kein Bargeld gibt, und Heinrich, Brauereibesitzer und „Bürgermeister in der siebten Generation“ den abgesprungenen Produzenten ersetzt. Der mürrische Hauptdarsteller (Jan Messutat) muss statt auf einem Pferd eine Kuh reiten, der König sitzt statt auf einem Thron auf einer Kloschüssel, und die fehlenden Requisiten, Schwerter und alten Feuerwaffen werden durch ausdrucksstarke Pantomime ersetzt, Statisten und Komparsen werden aus der Laienspielgruppe des Dorfes rekrutiert. Am Anfang ist noch alles harmonisch, die Blaskapelle der freiwilligen Feuerwehr spielt „Hoch auf dem gelben Wagen“, aber schon bald ist das Team genervt von der Gemeinschaftsunterkunft, dem Matratzenlager auf dem Boden der Gaststube. Allein die blonde Hauptdarstellerin ist Feuer und Flamme für das Projekt: „Eines Tages wirst du dankbar sein, dass sie dir die Förderung gestrichen haben“, sagt sie, nimmt sich aber vorsichtshalber auf eigene Kosten ein Hotelzimmer. Aron Lehmann beschreibt in seinem Spielfilmdebüt die Entstehung eines Films gegen alle Widrigkeiten, mit fröhlichem Sarkasmus und durchaus poetisch. Die Situationskomik ist trocken und lakonisch, wenn der Hauptdarsteller nach einer gemeinsamen Feier von Filmteam und Dorfbewohnern das Set vorzeitig verlassen will und die Dorfbevölkerung sich zunehmend gegen die kreativen Invasoren zur Wehr setzt. Der Film erzählt zwei parallele, aber ineinander verschlungene Handlungen: zum einen inszeniert Aron Lehmann über die gedrehten Spielszenen und die Visionen des Regisseurs eine fast experimentelle Version der Kleist‘schen Novelle, die sich angenehm vom filmischen Historiendrama unterscheidet, zum anderen eskalieren die Spannungen im Filmteam selbst und die zwischen Filmteam und Dorfbevölkerung. Es geht in diesem Debüt aber auch um den Kampf von Fantasie und Vorstellungskraft gegen die Verhältnismäßigkeit der Mittel und die Sachzwänge. Hier hat der Film mehr von Cervantes` „Don Quijote“ als von Kleists gekränktem Verbrecher aus verlorener Ehre, besonders wenn der Regisseur am Ende nach dem definitiven Zerwürfnis mit seinem Hauptdarsteller und nach dem drehbuchgerechten Tod seiner Muse selbst die Rüstung anlegt und mit zwei Getreuen gegen den bösen Ritter Tronka anreitet, den Bürgermeister von Speckbrodi und seine Schergen von der freiwilligen Feuerwehr, die die Dreharbeiten endgültig satt haben. „Kohlhaas oder Die Verhältnismäßigkeit der Mittel“ ist ein tragikomischer Film über den kreativen Prozess, über das Zusammentreffen ganz unterschiedlicher Welten und ein melancholischer Diskurs über den Sieg der Vorstellungskraft über die Widrigkeit der Realität.
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