Dokumentarfilm | Deutschland 2013 | 94 (24 B./sec.)/90 (25 B./sec.) Minuten

Regie: Jochen Hick

Anhand zahlreicher Einzelschicksale zeichnet der Dokumentarfilm den oft schwierigen Lebensalltag von Schwulen und Lesben in der DDR nach. Vor dem historischen Hintergrund der ambivalenten DDR-Politik zwischen offizieller Straffreiheit und faktischer Repression kommen politisch engagierte Aktivisten zu Wort, aber auch um Anpassung bemühte „einfache“ Bürger. Die filmsprachlich eher wenig versierte Dokumentation überzeugt durch ihre wertfreie Darstellung unterschiedlicher, mitunter widersprüchlicher Lebensentwürfe. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
OUT IN OST-BERLIN
Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2013
Produktionsfirma
Galeria Alaska Productions
Regie
Jochen Hick · Andreas Strohfeldt
Buch
Jochen Hick · Andreas Strohfeldt
Kamera
Jochen Hick · Thomas Zahn
Musik
Matthias Köninger · Stefan Kuschner
Schnitt
Thomas Keller
Länge
94 (24 B.
sec.)
90 (25 B.
sec.) Minuten
Kinostart
31.10.2013
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
Mit so unterschiedlichen Dokumentation wie „Sex/Life in L.A.“ (fd 33 181), „Ich kenn keinen – Allein unter Heteros“ (fd 36 396) oder „The Good American“ (fd 39 444) hat sich der Filmemacher Jochen Hick in den letzten 15 Jahren im deutschsprachigen Filmbetrieb zu einem der umtriebigsten Chronisten schwul-lesbischer Lebenswirklichkeiten entwickelt. Von der schwäbischen Provinz bis zur kalifornischen Pornoindustrie reicht die Bandbreite der von ihm beleuchteten Schauplätze. Von engagierten, kritischen Einblicken, differenzierten Beobachtungen bis zu peinlich andienernden Hommagen variiert seine Erzählhaltung. In „Out in Ost-Berlin“ entgehen er und sein Co-Autor und Co-Regisseur Andreas Strohfeldt der Gefahr, durch zu große Nähe die Übersicht zu verlieren, allein schon dadurch, dass sie insgesamt 13 Lesben und Schwule von ihrem Leben in der ehemaligen DDR, insbesondere in Ost-Berlin, erzählen lassen. Diese Vielstimmigkeit erzeugt ein Panoptikum vielfältiger, mitunter gegenläufiger Lebensentwürfe. Die engagierte Vorkämpferin für lesbische Emanzipation, die irgendwann ihr Heil in der Ausreise suchte, kommt ebenso zu Wort wie ihre Freundinnen, die zurückblieben, weil sie die DDR trotz aller Repression als Heimat empfanden. Schwule Aktivisten erzählen davon, wie sie innerhalb der evangelischen Kirche ein landesweites Netz von Treffpunkten und Anlaufstellen für Homosexuelle aufbauten, ein anderer erinnert sich daran, wie er als Stasi-Informant angeworben wurde, um auf ebensolchen Veranstaltungen für den Staatsschutz zu fotografieren. Angehörige der Kriegsgeneration bekennen, dass sie ein möglichst normales Leben als „Verzauberte“ führen wollten. Und ein ehemals überzeugter Parteigenosse gesteht, dass sein sozialistisches Weltbild erst ins Wanken geriet, als seine Kaderkarriere durch die homophobe Haltung der Parteiführung ein jähes Ende fand. Die Inszenierung verzichtet gänzlich auf einen Off-Kommentar, der die Einzelschicksale in einen übergreifenden historischen Kontext einordnen würde. Als „Erzähler“ fungiert stattdessen die Montage, in der die Interviews entlang thematischer Berührungspunkte miteinander verknüpft sind. Auf diese Weise gelingt es, auch die geschichtliche Dimension der individuellen Erlebnisse aufscheinen zu lassen. Exemplarisch wird das ambivalente Verhältnis des DDR-Staatsapparates zur Homosexualität deutlich. Einerseits wurde der berüchtigte Paragraph 175, der Sex zwischen Männern unter Strafe stellte, in der DDR bereits 1968 (und damit deutlich früher als in der Bundesrepublik) abgeschafft, andererseits galt Homosexualität als Ausdruck westlicher Dekadenz, die im kleinbürgerlichen DDR-Idyll keinen Platz haben sollte. Schwule und Lesben, die sich öffentlich zu ihrer Sexualität bekannten, wurden observiert und diskriminiert. „Out in Ost-Berlin“ ist nicht der erste Dokumentarfilm, der sich diesem Thema zuwendet. So warf „Unter Männern – Schwul in der DDR“ (fd 41 035) prägnante Schlaglichter auf den Alltag Schwuler in der DDR. Hick und Strohfeldt erweitern die Perspektive, indem sie auch Lesben und insgesamt mehr Gesprächspartner zu Wort kommen lassen. Wesentlich Neues fördert ihr mit reichlich Archivmaterial unterlegter Film dabei allerdings nicht zutage. Cineastisch bleibt er mit seinen vielen statischen Nahaufnahmen und einem redundanten Score belanglos. Dennoch liefert „Out in Ost-Berlin“ einen wichtigen Beitrag zur sozialgeschichtlichen Aufarbeitung des homosexuellen Alltags in der DDR im Spannungsfeld von gesellschaftlich-staatlicher Diskriminierung und persönlichem Freiheitsdrang.
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