Die Frau des Polizisten

Drama | Deutschland 2013 | 179 Minuten

Regie: Philip Gröning

Ein junges Paar führt nach außen hin ein harmonisches Familienleben in einer Kleinstadt. Die Frau kümmert sich zuhause um die kleine Tochter, der Mann arbeitet als Streifenpolizist. Doch das Familienglück wird erschüttert, als sich der Mann zur Gewalt gegen seine Frau hinreißen lässt, was die Frau vor der Umwelt verheimlicht und vor sich selbst verharmlost. Ein ohne festes Drehbuch entstandenes Drama, für das eine strenge, distanzierende Form gewählt wurde. Statt einer linearen Chronologie der Ereignisse wird die Geschichte über Impressionen aus dem Alltag der Familie in 59 Kapiteln erzählt, die durch Schwarzblenden voneinander getrennt sind. Der Film verweigert sich einfachen Deutungen, indem er das Entstehen von „häuslicher Gewalt“ im Kontext diverser, widersprüchlicher Auslöser zeigt. Ein in jeder Hinsicht außergewöhnliches Werk. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2013
Produktionsfirma
Philip-Gröning-Filmprod./3L Filmprod./Bavaria Pic./BR/ZDF-ARTE
Regie
Philip Gröning
Buch
Philip Gröning
Kamera
Philip Gröning
Schnitt
Philip Gröning · Hannes Bruun
Darsteller
Alexandra Finder (Christine Perkinger) · David Zimmerschied (Uwe Perkinger) · Pia Kleemann (Clara Perkinger) · Chiara Kleemann (Clara Perkinger) · Horst Rehberg (alter Mann)
Länge
179 Minuten
Kinostart
20.03.2014
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
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Diskussion
„Oh, helft mir doch in meiner Not, sonst ist der bitt‘re Frost mein Tod!“, singt die kleine Clara direkt in die Kamera. Das könnte in konventionellen Filmen durchaus etwas bedeuten: Zum Beispiel den Horizont der Figur beschreiben oder die Handlung kommentieren. In Philip Grönings „Die Frau des Polizisten“ jedoch singt das Mädchen nur, hochkonzentriert und in ihrer kindlichen Anstrengung bezaubernd. Es wird viel gesungen in diesem Film, gemeinsam, auch als Ausdruck der Nähe und Wärme. Doch worum es in „Die Frau des Polizisten“ geht, lässt sich gar nicht so leicht beschreiben. Gewiss, da ist der junge Polizist Uwe, der irgendwann seine Frau Christine zu schlagen beginnt. Vielleicht, weil sein Beruf als Streifenpolizist so frustrierend ist, vielleicht aber auch, weil es ihn stört, dass sich das Kind nachdrücklich zwischen ihn und seine Frau geschoben hat. Gemeinsam spielen die drei zunächst intakte Kleinfamilie, nicht gerade wohlhabend, aber glücklich. An Ostern versteckt man fürs Kind Süßigkeiten im Wald, im schmalen Hinterhof werden ein paar Platten gehoben, um Clara ein taktiles Verhältnis zur Natur zu ermöglichen. Dass es in dem Film (auch) um häusliche Gewalt geht, und wie sie entsteht, wird erst allmählich und dann sehr überraschend deutlich, als Uwe „ausrastet“, nachdem seine Frau ohne Gruß den gemeinsamen Abend vor dem Fernseher beendet hat. Man glaubt Uwe sogar, dass er sie danach „überall gesucht“ habe. Gröning verfolgt keine lineare Chronologie der Ereignisse im Stil eines konventionellen Problemfilms, sondern er wählt sehr bewusst eine strenge Form, die es dem Zuschauer ermöglicht, sich vom Erzählfluss distanzierend zu befreien. Die Gewalt ist während des ganzen Films präsent, weil sie sich auf dem malträtierten Körper der Frau wortwörtlich abzeichnet. Aber der Film selbst geht andere Wege, sammelt in 59 Kapiteln und 179 Minuten Spieldauer Impressionen aus dem Alltag der Familie, die noch ganz andere Geschichten erzählen als „nur“ die der Gewalt. So versucht die Mutter, trotz allem das Kind zu schützen, indem sie ihm einen geschützten Raum eröffnet, wo Intimität und Zärtlichkeit Vertrauen schafft. Der Vater hingegen wird nach und nach in seiner Überforderung gezeigt, die sich in der Gewalt entlädt. Es ist auch nicht so, dass die Gewalt einen Keil zwischen das Paar treiben würde. Sie reagiert zunächst überrascht auf seine hilflose Wut, schreit erst spät, dass er doch „gut“ sei. „Das Streicheln über die Hand am Morgen nach den Schlägen der Nacht kann dieses Beziehung um Jahre verlängern“, heißt es dazu in geradezu Klugescher Lakonie im Pressetext. Durch die Form der ruhigen Einteilung in Kapitel – die trennenden Einschübe zwischen den einzelnen Kapiteln dauern insgesamt 17 Minuten – und durch den Mut, nicht jedes Kapitel zu einem Beweisstück für eine These zu machen, entfaltet sich der Film als schöne Polyphonie, die eine pädagogische Utopie in sich birgt. Gerade weil der Erzählfluss stockt und nicht auf den Punkt zu bringen ist, muss der Zuschauer wie in einer Kunstausstellung den Raum erst herstellen, in dem sich die divergierenden Kräfte entfalten. So revolutionär und produktiv die gewählte Form ist, so bekannt sind einzelne Resultate der häuslichen Gewalt, die Gröning auch zeigt, aber wesentlich offener und zugleich genauer, als man es sonst gewohnt ist. Da ist die Scham der Frau, die sich aus dem schützenden Raum des Sozialen zurückzieht, in die Isolation und in eine radikale Hinwendung zu ihrem Kind. Da ist die Einsamkeit des Mannes, der sich selbst ein Rätsel ist. Der von seiner Verrohung überrascht wird und keine Mittel dagegen in der Hand zu haben scheint. Gröning selbst bezeichnet ihn als einen „Verhungerten der Liebe“. So erzählt der Film auf eine in Bann schlagende Weise vom Aufeinanderprallen zweier „Tugenden“, die Gewalt auch dort entstehen lassen, wo Liebe ist. Die Tugend der Liebe und Neugier steht gegen die Tugend der Ordnung und Perfektion. Insofern ist klar, dass die aus Neugier umgedrehten Gartenplatten ihm als Störung ein Dorn im Auge sind. Philip Gröning hat diesen in jeder Hinsicht bemerkenswerten Film mit kleinem Team und ohne Drehbuch gedreht. Vielleicht ist seine Genauigkeit gerade diesem Umstand geschuldet. Das allerletzte Bild gehört der Tochter, die mit gerade mal zwei Jahren bereits verstörende Erfahrungen gemacht hat. Sie blickt uns direkt ins Gesicht – ein Bild wie aus einem Horrorfilm.
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