Drama | Deutschland/Niederlande/Frankreich/Indien 2013 | 105 Minuten

Regie: Anup Singh

Ein Sikh, der während der Teilung Indiens 1947 alles verliert, ist vom Gedanken an einen männlichen Nachkommen besessen. Als auch sein viertes Kind ein Mädchen wird, erklärt er die Tochter kurzerhand zum Jungen, als den er sie auch erzieht. Die Täuschung fliegt erst bei der Hochzeit des vermeintlichen Sohns auf. Das als Fabel in Sepia-Tönen erzählte Drama verbindet das historische Setting mit Fragen nach aktuellen Rollenmustern und den verheerenden Folgen des Geschlechterverhältnisses in Indien. Der ungewöhnliche Film unterstreicht mit langen Einstellungen und meditativem Erzähltempo den gleichnishaften Zug der Geschichte. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
QISSA: THE TALE OF A LONELY GHOST
Produktionsland
Deutschland/Niederlande/Frankreich/Indien
Produktionsjahr
2013
Produktionsfirma
Heimatfilm/Augustus Film/Ciné-Sud Promotion/National Film Development Corporation of India (NFDC)
Regie
Anup Singh
Buch
Anup Singh · Madhuja Mukherjee
Kamera
Sebastian Edschmid
Musik
Béatrice Thiriet
Schnitt
Bernd Euscher
Darsteller
Irrfan Khan (Umber Singh) · Tisca Chopra (Mehar) · Tillotama Shome (Kanwar) · Rasika Dugal (Neeli) · Faezeh Jalali
Länge
105 Minuten
Kinostart
10.07.2014
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama | Fantasy
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Diskussion
„Auch eine Tochter ist ein Segen. Willst du sie dir nicht ansehen“, fleht Mehar ihren Mann Umber an, als sie mitten in den Unruhen der Teilung Indiens im Jahre 1947 ihre dritte Tochter gebiert. „Töchter hab ich schon genug gesehen“, antwortet der und wendet sich lieblos von seiner Familie ab. Mit dieser Szene ist in Anup Singhs Drama der Ton gesetzt. Nach der dunklen, geheimnisvoll-unheimlichen Eröffnungssequenz entführt der Film in die Mitte des 20. Jahrhunderts. Mit der Gründung Pakistans setzte eine große Fluchtbewegung ein. Die Moslems flohen aus Indien in den neugegründeten, islamisch ausgerichteten Nachbarstaat. Die Hindus und Sikhs verließen hingegen Pakistan und siedelten sich im indischen Teil der Provinz Punjab an. Unter ihnen ist auch der Sikh Umber Singh mit seiner Familie. Vier Jahre braucht er, um wirtschaftlich wieder auf die Beine zu kommen. Sein neues Leben glaubt der autoritäre Patriarch aber nur dann ganz in den Griff zu bekommen, wenn ihm seine Frau Mehar endlich einen Stammhalter gebiert. Als es wieder „nur“ ein Mädchen ist, ignoriert Umber einfach die Realität und hält mit den pathetischen Worten „Mein Sohn, mein Sohn“ das Neugeborene hoch. „Der kleine Prinz“ namens Kanwar wird als Junge erzogen, mit allen Privilegien, die dazugehören: er darf die Kunst der Selbstverteidigung erlernen, Autofahren und einen Beruf, während seine Schwestern die Hausarbeit verrichten und darauf warten, dass sie verheiratet werden, um noch mehr „kleine Prinzen“ in die Welt zu setzen. Erste Zweifel an der sexuellen Identität beschleichen Kanwar, als sie ihre erste Blutung bekommt. Zur Gewissheit wird ihr Geschlecht, als sie mit einer Frau aus einer niederen Kaste, der Zigeunerin Neeli, verheiratet wird. Obwohl Mehar sie bittet, als „Tochter“ im Hause zu bleiben, hält Neeli dem Druck nicht stand und verläßt Kanwar. Umber will sie aufhalten, versucht sie in seiner Besessenheit nach einem männlichen Erbe sogar zu vergewaltigen, und wird dabei von Kanwar erschossen. Fortan sind beide auf der Flucht, verfolgt vom Geiste Umbers. Als Neeli Kanwar, die ihren weiblichen Körper ablehnt, darin bestätigt, ihre wahre sexuelle Identität anzunehmen, scheint für kurze Momente eine lesbische Utopie möglich: „Wenn wir miteinander leben wollen, dann mußt du akzeptieren, dass du eine Frau bist“. Der steht aber die gesellschaftliche Realität in Form aufgebrachter Dorfbewohner gegenüber, was den Film in die Geistergeschichte flüchten lässt, die jedoch genauso konstruiert wirkt wie der Umstand, dass das wahre Geschlecht Kanwars so lange vor seinen Geschwistern und den Nachbarn verborgen werden konnte. Die queeren Grundgedanken des Films verbinden sich deshalb nicht mit dem historischen Hintergrund oder dem Geister-Diskurs, der die mit historischen Verweisen, gesellschaftskritischen Implikationen und Gender-theoretischen Ansätzen überladene Geschichte zusammenhalten soll. Da sich die schauspielerischen Leistungen durch die laienhafte Synchronisation ebenfalls nur schwer beurteilen lassen, bleibt unterm Strich nur die in stimmungsvollen Landschaftspanoramen schwelgende und in den ausdrucksstarken Gesichtern „lesende“ Kamera, die den Film aus dem Mittelmaß gutgemeinter, aber unausgegorener Transgender-Filme heraushebt.
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