Giovannis Insel

Animation | Japan 2014 | 102 Minuten

Regie: Mizuho Nishikubo

Mit Ende des Zweiten Weltkriegs ändert sich das sorglose Leben zweier verbrüderter Jungen auf der Kurilen-Insel Schikotan, die im September 1945 von sowjetischen Soldaten besetzt wird. Trotz Sprachbarrieren und neuer Lebensumstände freunden sich die Kinder der ehemaligen Kriegsgegner allmählich miteinander an. Schließlich kommt es doch zu Missverständnissen und Konflikten, die nicht gelöst werden, weil die Brüder mit der japanischen Bevölkerung Schikotans umgesiedelt werden und in einer winterlich tristen sowjetischen Hafenstadt stranden. Berührendes, brillant animiertes Weltkriegsdrama, konsequent erzählt aus Sicht der kindlichen Protagonisten, deren Gefühlswelten ebenso verständlich werden wie ihre Erfahrungen von Heimatverlust, dem Verlust der Eltern sowie den Möglichkeiten der Begegnung über kulturelle Grenzen hinweg. - Ab 10 möglich.
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Filmdaten

Originaltitel
JOBANNI NO SHIMA
Produktionsland
Japan
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
Production I.G.
Regie
Mizuho Nishikubo
Buch
Shigemichi Sugita · Wendee Lee · Yoshiki Sakurai
Kamera
Yumiko Nakata
Musik
Masashi Sada
Schnitt
Junichi Uematsu
Länge
102 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6
Pädagogische Empfehlung
- Ab 10 möglich.
Genre
Animation
Externe Links
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Heimkino

Die Extras umfassen u.a. ein ausführliches „Making of“ (38 Min.).

Verleih DVD
Universum (16:9, 1.78:1, DD5.1 jap./dt.)
Verleih Blu-ray
Universum (16:9, 1.78:1, dts-HDMA jap./dt.)
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Diskussion
Auf der Kurilen-Insel Schikotan scheint der Zweite Weltkrieg fern. Ausgerechnet das Kriegsende führt zu einschneidenden Veränderungen im Leben von Junpei und seinem jüngeren Bruder Kanta. Bedrohlich und von hünenhafter Größe erscheinen den Kindern die sowjetischen Soldaten, die im September 1945 die Insel besetzen. Als deren Angehörige auf die Insel nachziehen, muss die Schulklasse in ein kleineres Gebäude und Junpeis Familie aus dem Haupthaus auf den Stall ausweichen. Doch trotz der Sprachbarrieren und trotz der neuen Lebensumstände freunden sich die Kinder der ehemaligen Kriegsgegner allmählich miteinander an. Zu seiner neuen Nachbarin Tanya knüpft Junpei ein enges Band, teilt sogar – wenn auch ungewollt – ein Geheimnis mit ihr, das seinen Vater betrifft. Als dieser inhaftiert wird, sieht sich Junpei von Tanya verraten und bricht die Freundschaft. Zu Unrecht, wie er irgendwann erfährt, doch für eine Versöhnung ist es zu spät, denn mittlerweile befindet sich Junpei auf einem Schiff, mit dem die japanische Bevölkerung Schikotans auf die japanischen Hauptinseln umgesiedelt werden soll. Zweieinhalb Jahre umfasst die als Rückblende eingeleitete Geschichte, die dramaturgisch wie stilistisch in zwei Hälften zerfällt: Die farbenprächtigen Bilder der von den Kindern als Idylle erlebten Insel prägen die erste Hälfte, die von Annäherung und Verständigung, Freundschaft und sogar zarter Liebe erzählt und in einem eher expressiven Zeichenstil gehalten ist. Oft wirken die Formen etwas kantig, die Perspektiven leicht verzerrt, die Farben sind mal matt, entfalten dann wieder schillernde Leuchtkraft; und wenn die Jungen sich beim Spielen in den galaktischen Zug des immer wieder zitierten Kinderbuchs „Night on the Galactic Railroad“ von Kenji Miyazawa hineinfantasieren, dann strahlen die Sequenzen den Zauber von Kratzbildern aus. Mit dem Ortswechsel zur Mitte des Films wechselt der erzählerische wie gestalterische Ton: Nicht im heutigen Japan, sondern in einer sowjetischen Hafenstadt legt das Schiff mit Junpei an. Die Farbintensität der stets sommerlich erscheinenden Insel weicht den Grautönen der tristen Stadt und der kalten Winterlandschaft, nicht Annäherung, sondern schmerzhafte Trennungen bestimmen die Narration. Gemeinsam mit ihrem Onkel und ihrer ehemaligen Lehrerin werden Junpei und Kanta in einem Arbeitslager untergebracht, in dem Kanta alsbald erkrankt. Einziger Lichtblick ist die Nachricht, dass ihr Vater noch am Leben und ganz in ihrer Nähe inhaftiert sei. Kanta ist nicht zu bremsen: Er will den Vater unbedingt wiedersehen. Sie könnten doch einfach mit dem Zug zu ihm fahren, mit der galaktischen Eisenbahn! Wer Miyazawas Geschichte kennt, nach deren Protagonisten auch die beiden Jungen benannt sind, mag den traurigen Ausgang der Reise erahnen. „Giovannis Insel“ wird konsequent aus der Sicht der kindlichen Protagonisten erzählt. Dies teilt er mit den berühmten Weltkriegsdramen „Die letzten Glühwürmchen“ und „Barfuß durch Hiroshima“ sowie mit dem in der Nachkriegszeit angesiedelten Anime „Mein Heimatland Japan“. Gemeinsam ist den Filmen auch, dass die kindliche Perspektive die Fokussierung individueller Schicksale und der Kriegsopferrolle zu legitimieren scheint, während größere historische Kontexte ausgeblendet werden. „Giovannis Insel“ kann nicht vorgeworfen werden, die Besatzer zu dämonisieren und bemüht sich in dieser Frage um Ausgeglichenheit; insgesamt aber fehlen selbstkritische Verweise auf die Rolle Japans im pazifischen Krieg – auch wenn dies für Kinder keine Rolle spielen wird. Während die historische Verortung der Handlung spezifisch ist, sind es die Erfahrungen von Heimatverlust, dem Verlust der Eltern wie auch von den Möglichkeiten der Begegnung über Sprachgrenzen und kulturelle Grenzen hinweg nicht. Durch die Konzentration auf die jungen Figuren und die eng umrissenen geschichtlichen Ereignisse bleiben die Erlebnisse und Gefühlswelten von Junpei und Kanta stets verständlich, ihr hartes Los berührt ebenso sehr wie ihre Widerstandskraft. Erwachsene sollte dies aber nicht dazu verführen, dem Film ebenfalls ausschließlich aus kindlicher Sicht zu begegnen. Trotz seiner universellen Themen ist der historische Kontext der Filmhandlung noch immer relevant – der Territorialkonflikt um die Kurilen-Inseln hält bis heute an.
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