Wir können nicht den hellen Himmel träumen

Dokumentarfilm | Deutschland 2014 | 91 Minuten

Regie: Carmen Tartarotti

Seit mehr als 50 Jahren leben die Dominikanerinnen Schwester Angelika und Schwester Benvenuta im Kloster Steinach in Südtirol. Sie wollen ihr Zuhause auch dann nicht aufgeben, als sie nur noch zu zweit sind. Gemeinsam schultern sie alle Aufgaben des Klosters, wobei sie die strengen Regeln ihren schwindenden Kräften anpassen. Das dokumentarische Porträt zweier eigensinniger, eher handfester als vergeistigter Nonnen zeichnet mit schlichten, zu einer fließenden Collage montierten Bildern ein von handwerklichen Tätigkeiten bestimmtes Leben, dessen Spiritualität fest im realen Leben verankert ist. Ein beschwingter, fast heiterer Film, der mit erstaunlicher Beiläufigkeit vom alltäglichen Glück im Kloster erzählt. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
Carmen Tartarotti Filmprod.
Regie
Carmen Tartarotti
Buch
Carmen Tartarotti
Kamera
Carmen Tartarotti
Musik
Paul Giger
Schnitt
Ferdinand Ludwig · Carmen Tartarotti
Länge
91 Minuten
Kinostart
17.09.2015
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Beschwingtes Porträt zweier Nonnen

Diskussion
Die Schwalben fliegen im Dominikanerinnen-Kloster Maria Steinach in Algund, Südtirol, ein und aus. Obwohl die Wandervögel bei der Aufzucht ihrer Brut viel Dreck machen, sind die wendigen Segler den beiden Nonnen Schwester Angelika und Schwester Benvenuta durchaus willkommen. Wenn sie ihre Brut füttern, hallt das aufgeregte Zirpen der Küken durch die Stille des Kreuzgangs, den die Schwestern eigens dafür präpariert haben; das Kruzifix ist mit Plastik umhüllt, die Gemälde sind abgedeckt und unter den Nestern liegen Kartons für den Kot. Alles hat hier seine mehr oder minder natur- oder gottgegebene Ordnung, abzulesen an unzähligen Details, die viel über den Geist und den Umgang innerhalb der alten Gemäuer verraten – und überdies den still-beschwingten Film der Dokumentaristin Carmen Tartarotti charakterisieren, die ihr beherztes Porträt zweier höchst eigensinniger Klosterfrauen mit erstaunlicher Beiläufigkeit aus Einzelbeobachtungen montiert. Fünf Jahre lang hat Tartarotti die resoluten Nonnen mit der Kamera besucht und an ihrem Leben teilgenommen, anfangs vielleicht aus professioneller Neugierde, was aus einem Kloster wird, in dem nur noch zwei Schwestern leben, bald aber auch aus freundschaftlicher Verbundenheit und wachsendem Respekt vor dem Ansinnen, das, was früher auf zwei Dutzend Nonnen verteilt war, jetzt zu zweit zu schultern. Denn ein Kloster, so die Schwestern, existiert nur so lange, wie es als solches auch funktioniert, also seiner Bestimmung „ora et labora“, Beten und Arbeiten, nachkommt. Die erste halbe Filmstunde besteht deshalb aus einer fast fließbandartigen Abfolge von Tätigkeiten, die treppauf, treppab über lange Fußwege zwischen Kirche und Küche, Garten und Refektorium verbunden sind: Glockenläuten, Beten, Singen, Kochen, Waschen und Bügeln. Aufräumen, Kehren, Obst verkaufen und darüber Buch führen. Blumen gießen und die Gräber der verstorbenen Mitschwestern pflegen, Nähen, Mangeln und das alte Uhrwerk aufziehen, das durch unsichtbare Seilzüge im ganzen Kloster die Stunde schlägt. Mit Kontemplation und Stille, die man mit einem Kloster als spiritueller Institution gemeinhin assoziiert, hat das zunächst wenig zu tun. Zwar schwingt in all den handwerklichen Tätigkeiten, wenn Hefeteig ausgewalkt oder ein wollener Stoff zugeschnitten wird, eine Hingabe und Ruhe mit, die nicht vom Ende her denkt, sondern mehr dem Augenblick verbunden ist. Doch das Hauptaugenmerk des Films liegt eindeutig auf seinen beiden Protagonistinnen, die eher handfest als vergeistigt sind. Angelika und Benvenuta, die früher Helene und Theresia Kerschbamer hießen und leibliche Geschwister sind, stammen von einem Südtiroler Bauernhof, was ihre Souveränität im Umgang mit dem Klostergut erklären mag; das autonome Wirtschaften ist ihnen gewissermaßen mit in die Wiege gelegt worden. Auch wenn die Arbeit mit den Jahren beschwerlicher geworden ist, packen die Nonnen beherzt wie Männer zu, ohne dass dies ihre zarteren, weiblicheren Seiten beeinträchtigen würde. Aus den im kernigen Dialekt knapp und bündig gehaltenen Gesprächen und Kommentaren lassen sich ihre Lebensgeschichten rekonstruieren, worin sich aber auch das allmähliche Verschwinden des klösterlichen Lebens abzeichnet; doch Benvenutas spitzbübischer Humor und Angelikas feine Demut vertreiben melancholische Anflüge im Nu; mit anarchistisch-frommer Entschiedenheit packen sie die jeweils nächste Aufgabe an oder passen die strengen Regeln des Klosters ihren schwindenden Kräften an. Welche tiefe Zufriedenheit aus diesem monastischen Dasein erwächst, spiegelt sich im titelgebenden Sinnspruch der beiden, die sich bei aller Hingabe an Gott dennoch stets an der Wirklichkeit und nicht an religiösen Utopien orientiert haben. Formal passt der schlichte, betont einfache Film, der ohne großen Aufwand gedreht wurde und nicht auf spektakuläre Bilder aus ist, aufs Beste zur bodenständigen Authentizität seiner unbeugsamen Protagonistinnen, die mit ihrer frommen Frauenwirtschaft ganz gut gefahren sind. Die Montage verbindet zeitlich unterschiedlich entstandenes Material zu einer fließenden Collage, die auf naheliegende Strukturierungen wie das Stundengebet oder eine chronologische Reihung getrost verzichten kann; nur die sphärische Musik von Paul Giger, in der ein schwebend-ziehendes, leicht sehnsuchtsvolles Motiv in Abwandlungen variiert wird, hebt die Alltagsbeschreibungen bisweilen dezent auf vergeistig-tere Ebenen. Die Stetigkeit der Nonnen, ihr Sinn für das Unverfälschte und Ursprüngliche, findet in der ungekünstelten Filmsprache von Carmen Tartarotti eine wunderbare Entsprechung.
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