Sexarbeiterin

Dokumentarfilm | Deutschland 2015 | 96 Minuten

Regie: Sobo Swobodnik

Die 30-jährige Informatikerin Lena Morgenroth bestreitet ihren Lebensunterhalt mit erotischen Massagen und SM. Der Dokumentarfilm porträtiert unaufgeregt und vorurteilsfrei die prominente „Sexarbeiterin“, die ihre Berufswahl öffentlich offensiv vertritt, wobei die betont subjektive Annäherung nonchalant zwischen Arbeit, Medienauftritten und Privatleben wechselt. Das in lyrischem Schwarz-weiß gehaltene, mit kunstvollen Unschärfen spielende Porträt droht immer dann die Balance zwischen Parteinahme und Distanz zu verlieren, wenn es etwas Exemplarisches erhält und damit in die Nähe eines Imagefilms rückt. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2015
Produktionsfirma
Guerilla Film Koop.
Regie
Sobo Swobodnik
Buch
Sobo Swobodnik
Kamera
Sobo Swobodnik
Musik
Elias Gottstein
Schnitt
Manuel Stettner
Länge
96 Minuten
Kinostart
03.03.2016
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
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Vorurteilsfreies Schwarz-Weiß-Porträt einer prominenten "Sexarbeiterin" von Sobo Swobodnik

Diskussion
Lena Morgenroth ist keine Klischeeprostituierte. Das macht bereits der Filmtitel deutlich. „Sexarbeiterin“ Morgenroth, Anfang 30, klug, eloquent, selbstbewusst, will sich mit ihrer Berufsbezeichnung vom Schmuddel-Image lösen, das die Branche umgibt. Und Regisseur Sobo Swobodnik hilft ihr dabei. Das ist die große Stärke seines Filmes. Und seine entscheidende Schwäche. Der Dokumentarfilmer Swobodnik („Der Papst ist kein Jeansboy“, (fd 43 179)) geht mit dem heiklen Sujet erfreulich unaufgeregt um. Die Tantra- und Erotikmassagen, die Morgenroth in Berlin anbietet, inszeniert er genauso gelassen und vorurteilsfrei, wie er in „Silentium – Vom Leben im Kloster“ (fd 43 096) den Alltag von Benediktinerinnen auf der Schwäbischen Alb schilderte. Der Zeigefinger bleibt schön dort, wo er hingehört: an der Kamera. Den Sex, der ja zentraler Bestandteil von Morgenroths Dienstleistung ist, blendet er keineswegs schamvoll aus. Gleich in der ersten Szene sieht und hört man, wie die Masseurin eine ihrer Kundinnen (genau genommen ihre einzige Kundin) zum Orgasmus bringt. Das aber hat, wie der ganze Film, nichts Voyeuristisches, geschweige denn Pornografisches. Statt auf fleischfarbene Reality-Optik setzt Swobodnik auf lyrisches Schwarz-weiß und ein extremes Schärfengefälle zwischen Gesicht und Körper. Als silbern gleißender Schleier legt sich die Unschärfe über den nackten Leib. Verklemmt wirkt das nicht, vielmehr ungeheuer sinnlich. Es ist wohl eine der schönsten Sexszenen, die das deutsche Kino seit langem hervorgebracht hat. Der Regisseur scheut sich auch nicht, männliche Genitalien eher unlyrisch ins Bild zu rücken, ohne den Fokus darauf zu richten. Vielmehr geschieht dies wie nebenbei. Das gehört zum Job. Ähnlich nonchalant wechselt der Film zwischen Morgenroths Arbeit, ihren Medienauftritten und ihrem Privatleben; also zwischen Analmassage, Radiointerview und Brettspiel. Dass Swobodnik nicht zum Rundumschlag durchs Milieu ausholt und kein breitgefächertes Prostitutions-Panoptikum ausstellt, sondern sich ganz auf seine charismatische Protagonistin konzentriert, bietet ihm die Chance einer betont subjektiven, umso intensiveren Annäherung. Eine Chance, die er jedoch weitgehend verspielt. Vielleicht, weil Morgenroth ihn zu sehr auf Distanz hält. Wahrscheinlich aber auch, weil er selbst den nötigen Abstand nicht findet. Der Film ist in fünf Akte unterteilt, eine dramaturgische Entwicklung findet jedoch kaum statt. Jeder Akt wiederholt nur das Wechselspiel zwischen den drei Lebensbereichen Massagematte, Öffentlichkeit, Küchentisch. Mit der Zeit langweilt das ein bisschen. Dass am Ende jedes Aktes und manchmal noch zwischendurch der kraftvolle, aber eben immer gleiche Titelsong von Ines Theileis ertönt, macht das Ganze nicht besser. Viel problematischer aber ist die suggestive Botschaft, die sich hinter diesem Erzählrhythmus verbirgt: Sexarbeit ist nichts Besonderes, ein Beruf wie viele andere auch. Duschen, Schaukeln, Ganzkörpermassage: alles eins. Für Morgenroth mag das so stimmen. Wenn es einem die Montage aber derart penetrant eintrichtern will, ist Vorsicht geboten. Die Szenen aus dem Privatleben Morgenroths geraten seltsam kulissenhaft und oberflächlich. Am Authentischsten wirken die Gespräche mit ihrer Schwester. Weite Bereiche, wie etwa ihr Beziehungsleben, werden ausgeblendet. Stattdessen erhält die Protagonistin reichlich Gelegenheit, ihre Haltung zur Prostitution deutlich zu machen. Während eines ausführlichen Radiointerviews, in privaten Diskussionen oder im Zuge ihres Engagements in dem von ihr mitgegründeten umstrittenen „Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen“ wehrt sie sich gegen Forderungen, Prostitution zu verbieten, und pocht stattdessen auf ihre freie Berufswahl. Den Vorwurf, Prostitution finde immer in einem patriarchalen, sexistischen Kontext statt, weist sie zurück. Auch ein Seitenhieb auf Alice Schwarzer fehlt nicht. Morgenroths Argumente klingen überzeugend. Gut möglich, dass sie Recht hat. Was aber irritiert, ist der Umstand, dass Swobodnik ihnen so viel Platz einräumt. Dadurch gerät die Inszenierung aus der Balance. Die individuelle Annäherung an eine außergewöhnliche Frau erhält plötzlich beispielhaften Charakter, was zumindest fraglich erscheinen muss, da Morgenroth als selbstbestimmte deutsche Akademikerin aus gutbürgerlichen Verhältnissen innerhalb der Branche eine Seltenheit darstellt. Geschlechtsverkehr bietet sie ihren Kunden erst gar nicht an. Um nicht falsch verstanden zu werden: Lena Morgenroth hat jedes Recht, ihren Standpunkt öffentlich vehement zu vertreten; auch als Fürsprecherin ihrer Kolleginnen. Wenn aber ein Dokumentarfilm das Forum dafür liefert, droht dieser zum verkappten Imagefilm zu entgleiten. Dass Morgenroth am Text des Titelliedes mitgeschrieben hat und Teile der Filmcrew in einer Crowdfunding-Kampagne selbst erotische Massagen anboten, mag charmant gemeint sein, trägt jedoch nicht unbedingt zur Glaubwürdigkeit bei. Was „Sexarbeiterin“ zu einem tiefgründigen, facettenreichen Porträt fehlt, sind neben persönlicheren Einblicken vor allem Brüche und Fragezeichen. Solche Brüche muss es nicht etwa geben, weil Lena Morgenroth eine Sexarbeiterin, sondern weil sie ein Mensch ist.
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