Remake, Remix, Rip-Off

Dokumentarfilm | Deutschland/Türkei 2014 | 100 Minuten

Regie: Cem Kaya

In den 1960er- und 1970er-Jahren erlebte die türkische Filmindustrie eine Blütezeit, indem sie sehr einfallsreich, aber auch dilettantisch bis schlitzohrig westliche Vorbilder von „Der Exorzist“ bis „Star Wars“ und „Rambo“ kopierte und als vereinfachte Billigversionen nachinszenierte. Vor allem in den ländlichen Gebieten der Türkei wurden die „Yeşilçam“ genannten Filme begeistert aufgenommen. Die hinreißende Rekonstruktion von Geschichte und Ästhetik dieses „Genres“ wartet mit vielen Zeitzeugen und einer enormen Materialfülle auf. In der kreativen Aneignung der Kinovorbilder und den dabei entstandenen Trash-Hybriden spiegelt sich auf höchst amüsante Weise eine ebenso naive wie tiefverwurzelte Liebe zum Kino. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
REMAKE, REMIX, RIP-OFF
Produktionsland
Deutschland/Türkei
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
UFA Fiction/ZDF - Das kleine Fernsehspiel/Sommerhaus Filmprod./Otomat/Cine+
Regie
Cem Kaya
Buch
Cem Kaya
Kamera
Meryem Yavuz · Tan Kurttekin
Schnitt
Cem Kaya
Länge
100 Minuten
Kinostart
05.05.2016
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Amüsante Dokumentation über die türkischen „Yeşilçam“-Filme, mit denen in den 1960er- und 1970er-Jahren findige Produzenten internationale Filmhits als Billigversionen nachinszenierten.

Diskussion
„Yeşilçam fand immer eine Lösung. Egal wie, es fand immer einen Ausweg. Es war voller unqualifizierter Menschen, aber sie waren aufgeweckt.“ – „Yeşilçam“ ist der Name einer Straße in Istanbul, die in den 1960er- und 1970er-Jahren als Schaltzentrale der florierenden türkischen Filmindustrie fungierte. Hier wurden unter abenteuerlichen Bedingungen am Fließband populäre Yeşilçam-Filme produziert, um den Kinohunger des Publikums in den ländlichen Provinzen zu stillen. Wenn man allerdings keine Zeit, kein Geld, wenig Knowhow, defizitäre Technik und kein internationales Urheberrecht hat und überdies als in der Wolle gefärbter Strukturalist der Auffassung ist, dass es wenig mehr als 31 Geschichten zu erzählen gibt, dann ist handfester Pragmatismus in Sachen „Kultur der Aneignung“ angezeigt: „Remake, Remix, Rip-Off“. Der in Deutschland aufgewachsene und in Berlin lebende Filmemacher Cem Kaya hat ein paar Jahre in die Recherchen zu seinem filmhistorischen Essay über die Yeşilçam-Filme gesteckt, hat zahlreiche Interviews mit den einstigen Protagonisten der Szene geführt und in hiesigen Videotheken – in der Türkei existiert kein Filmarchiv - nach den entsprechenden Filmklassikern geforscht. Das Resultat seiner Bemühungen kann sich wahrlich sehen lassen. Unterhaltsam, informativ und auf anregende Weise unbestimmt. Ist es Camp? Ist es Trash? Ist es subversiv? Und für wen und wann? Einmal gibt es einen längeren Ausschnitt aus einem Gangsterfilm zu sehen: Der Super-Gangster ist von der türkischen Polizei gestellt und verhaftet worden. Er sei gewarnt worden, sich besser nicht mit der superintelligenten türkischen Polizei anzulegen, sagt der Gangster zerknirscht, was vom Kommissar sogleich bestätigt wird, gerne auch in minutenlangem redundantem Dialog. Die Yeşilçam-Filme sind also Exploitationkino vom Feinsten. Incredibly Strange Films im besten Sinne, so schlecht, dass sie (in unseren Augen) schon wieder gut sind, um dem ambitionierten Titel von Kayas Film in jeder Hinsicht gerecht zu werden. Alles scheint erlaubt: So kommt es, dass es von jedem Hollywood-Blockbuster von „Der Zauberer von Oz“ (fd 30 170), „Manche mögen’s heiß“ (fd 8448), „Rambo“ (fd 23 808), „Superman“ (fd 21 065), „Krieg der Sterne“ (fd 20 658) oder „E.T. – Der Außerirdische“ (fd 23 743) mindestens eine gewissermaßen ins Türkische übersetzte Version gibt. Bei einem Film wie „Der Exorzist“ (fd 18 987), dessen Original in der Türkei viele Jahre verboten war, musste man den Stoff erheblich säkularisieren, um ihn überhaupt für das türkische Publikum erzählen zu können. Mitunter wurden auch mehrere Blockbuster zu etwas Neuem „verschnitten“. So wurde die Yeşilçam-Version von „Rambo: First Blood“ kurzerhand um eine Rockerbande und einige Zombies ergänzt. Weil man nicht in der Lage war, die Spezialeffekte von „Krieg der Sterne“ selbst herzustellen, „lieh“ man sich entsprechende Szenen aus den Originalfilmen, indem man sie über Nacht aus den Kopien herausschnitt. Der legendäre Film „The Man Who Saves The World“ von Cetin Inanc aus dem Jahre 1982 mixte auf diese Weise Bild- und Ton-Samples aus insgesamt 16 Filmen. Auch war Filmmaterial ein rares und kostspieliges Gut, weshalb es sich verbat, Szenen mehrfach zu drehen oder die Sicherheitsstandards bei den Dreharbeiten einzuhalten. „Im Westen wird der Schauspieler keinen Gefahren ausgesetzt“, heißt es einmal augenzwinkernd. Bestimmte Spezialeffekte wie explodierende Autos wurden kurzerhand und unübersehbar mit Spielzeug gedreht. Und auch die Filmmusiken wurden aus dem Ausland importiert und dann bei Gelegenheit gesamplet. Weshalb an entscheidenden Stellen je nach Sujet gerne mal die immer gleichen Hits aus „Der Pate“ (fd 17 966), „Rocky“ (fd 20 250) oder „Emmanuelle“ (fd 18 997) zu hören sind. Die Macher der Yeşilçam-Filme geben sich zumindest rückblickend pragmatisch bis schlitzohrig, bisweilen auch nostalgisch und beseelt von einer Freude am naiven Erzählen im Rahmen eines erklärt kommerziellen Massenkinos. An Kunst war nicht zu denken, aber die Miete wollte bezahlt sein. Für Cem Kaya, der zum Schluss seines Films auf Pornografie, Zensur, die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen bei der Produktion von TV-Serien und auch die Auseinandersetzungen um den Abriss des Emek-Kinos zu sprechen kommt, geht es bei seinem Film nur partiell um incredible strange films, lieber würde er den Blick weiten zugunsten einer kreativen Kultur der Aneignung, der Remixe und der Collage, die er durchaus in der kulturellen Tradition des oralen Erzählens verwurzelt sieht. Um diese Spuren deutlicher zu profilieren, hätte das Material, das Kaya präsentiert, allerdings systematischer (und weniger unterhaltsam) organisiert werden müssen. So steht hier die legitime Fan-Perspektive etwas unvermittelt neben möglichen kulturtheoretisch informierten Hypothesen.
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