Memoria Viva - Lebendige Erinnerung

Dokumentarfilm | Spanien 2014 | 120 Minuten

Regie: Antonio Jesús García de Quirós Rodríguez

54 namentlich nicht kenntlich gemachte Spanier und Spanierinnen erinnern sich an ihre Erfahrungen als Mitglieder der anarchistischen Gewerkschaft CNT. Im ersten Teil rekapitulieren sie anschaulich und detailliert die Jahre der Revolution und des Spanischen Bürgerkriegs, im zweiten, melancholischeren Teil geht es um die Zeit des Exils und den Bedeutungsverlust in der Nach-Franco-Ära. Der Dokumentarfilm zeichnet die Geschichte vom Aufstieg und Fall der anarchistischen Utopie nach, wobei er vor allem auf „Oral History“ setzt und mit Originalaufnahmen und Archivbildern zurückhaltend umgeht. Die Anonymität der Gesprächspartner unterstreicht den kollektiven Charakter der anarchistischen Bewegung als einen Reigen aus Stimmen und Erinnerungen. (O.m.d.U.) - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
MEMORIA VIVA (LIVING MEMORY)
Produktionsland
Spanien
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
Guerrillart/Malevola Films/CNT/FAL
Regie
Antonio Jesús García de Quirós Rodríguez
Buch
Antonio Jesús García de Quirós Rodríguez · Félix Méndez
Kamera
Carlos Lino Vital Redó · Parsifal Elviro Gómez · Sonia Hurtado Leostic · Javier Castillo · Rosa Manzano Rodríguez
Musik
La Plataforma · Raúl Márquez · Flavio Rodríguez
Schnitt
Félix Méndez · Maribel Rangel · Antonio Jesús García de Quirós Rodríguez
Länge
120 Minuten
Kinostart
14.07.2016
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Aufstieg und (Zer-)Fall der anarchistischen spanischen Gewerkschaft CNT im Spiegel von 54 namentlich nicht kenntlich gemachten Männern und Frauen, die aus ihrem Leben erzählen.

Diskussion
Die anarchistische Gewerkschaft CNT (Confederación Nacional de Trabajo) gehörte während des Spanischen Bürgerkrieges von 1936 bis 1939 zu den aktivsten Filmproduzenten. Der Dokumentarfilm von Antonio Jesus Garcia de Quiros Rodriguez erinnert an die lange und wechselhafte Geschichte der Anarchosyndikalisten. Dabei kommen 54 Zeitzeugen ausführlich zu Wort, nicht weiter eingeführte Männer und Frauen, unter denen auch einige bekannte Gesichter sind, etwa der 96-jährige Kameramann Juan Mariné. Mit dokumentarischen Originalaufnahmen und Archivbildern, die die Anarchisten während des Krieges und der Revolution in großer Fülle produzierten, geht die Inszenierung sehr zurückhaltend um. Die Anonymität der Interviewpartner will den kollektiven Charakter der anarchistischen Bewegung unterstreichen, die Historie in erster Linie als ein gemeinsames Schicksal, nicht als individuelles herausstellen. Ein Reigen aus Stimmen und Erinnerungen, wie sie Hans Magnus Enzensberger bereits in seinem 1972 erschienenen Roman „Der kurze Sommer der Anarchie“ oder seinem Film „Durruti – Biographie einer Legende“ aus dem gleichen Jahr entwickelte. „Memoria Viva“ ist lebendiger Geschichtsunterricht: Im ersten Teil erzählen die Zeitzeugen anschaulich von den Anfängen der spanischen Arbeiterbewegung. Die CNT wurde 1910 gegründet, am 14. April 1931 wurde die Zweite Republik ausgerufen, am 18. Juli 1936 putschte General Franco und stürzte das Land in den Bürgerkrieg. Es geht um die anarchistischen Kollektivierungen während der ersten Kriegsmonate, dem Zerwürfnis mit den Kommunisten stalinistischer Prägung, der Niederlage gegen Franco und dem Gang ins Exil. Der Film zeichnet damit die alte Geschichte von Aufstieg und Fall der anarchistischen Utopie im Spanischen Bürgerkrieg nach, was seit Enzensberger schon viele Filme unternommen haben, etwa der spanische Dokumentarfilm „Por que perdimos la guerra“ (1977), der schildert, wie Franco und die Kommunisten die Republik wie die Revolution in den Untergang trieben; zu nennen wäre auch „Die lange Hoffnung“ (1983), in dem die Medienwerkstatt Freiburg mit zwei Zeitzeugen die Orte des Bürgerkrieges bereist. Der bekannteste Spielfilm über die Revolution und ihre Niederschlagung ist sicherlich Ken Loachs „Land and Freedom“ (fd 31 553). Im zweiten Teil schildern die Zeitzeugen die Jahre im Exil während des Zweiten Weltkriegs und den Kampf in der französischen Résistance bis zur Isolierung der Bewegung im bescheidenen Wirtschaftswunder unter der Franco-Diktatur, als die Anarchisten noch vom bewaffneten Kampf redeten, während die spanische Arbeiterschaft längst vom Fernseher, einem Seat 6000 und der eigenen Wohnung träumte. Dieser zweite Teil fällt melancholischer aus, weniger heroisch, da die anarchistische Utopie nach dem Tode des Diktators in der demokratischen Gesellschaft keinen Platz mehr findet. Die CNT spaltet sich, verfällt in eine 15-jährige Agonie, während die sozialistische UGT und die kommunistischen „Comisiones obreras“ in der neuen parlamentarischen Monarchie zu Institutionen werden. Mit einfachen filmischen Mitteln schildert der Film so eine lebendige Zeitgeschichte, mit Protagonisten, die allesamt Aktivisten sind, engagierte Gewerkschaftsmitglieder, für die der Anarchismus heute noch eine realisierbare Utopie darstellt, gerade in Zeiten der Krise, in der die institutionalisierten Arbeiterrechte und die Sozialpartnerschaft zerbröseln.
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