Tragikomödie | Deutschland 2016 | 111 Minuten

Regie: Anca Miruna Lazarescu

Nach dem Einmarsch der Sowjets in der CSSR 1968 stranden zwei Donauschwaben aus Rumänien und ihr schwerkranker Vater, die in der DDR auf medizinische Hilfe hofften, in einem bundesdeutschen Auffanglager. Dabei verliebt sich der ältere Bruder in eine Münchner Studentin, die unentwegt von der Revolution palavert. Das behutsame Road Movie entwickelt mit ruhiger Hand eine tragikomische Geschichte über die Spannung zwischen Freiheit und Verantwortung, Idealen und Ideologie, wobei der inszenatorische Fokus mehr auf den Gesichtern als auf den Landschaften liegt. Zwar gerät manches ein wenig zu exemplarisch, doch bietet der Kulturschock Anlass für treffliche Pointen. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2016
Produktionsfirma
Filmallee/Strada Film/Mirage Film Studio/BR/arte/Film Väst/Chimney/Ber Film & TV
Regie
Anca Miruna Lazarescu
Buch
Anca Miruna Lazarescu
Kamera
Christian Stangassinger
Musik
Ferenc Darvas
Schnitt
Dan Olteanu · Hansjörg Weissbrich
Darsteller
Alex Margineanu (Mihai Reinholtz) · Razvan Enciu (Emil Reinholtz) · Ovidiu Schumacher (William Reinholtz) · Susanne Bormann (Ullrike von Syberg) · Manuel Klein (Hans-Uwe Janson)
Länge
111 Minuten
Kinostart
17.11.2016
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Tragikomödie
Externe Links
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Heimkino

Die DVD enthält eine Audiodeskription für Sehbehinderte. Die Extras umfassen u.a. ein längeres "Making of" (28 Min.).

Verleih DVD
Movienet/Lighthouse (16:9, 2.35:1, DD5.1 dt.)
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Tragikomisches Road Movie, in dem zwei rumänische Donauschwaben und ihr schwerkranker Vater 1968 in dem von Studentenprotesten aufgeheizten Deutschland stranden.

Diskussion
Reisen im Kino sind nie nur Reisen. Auch „Die Reise mit Vater“ ist mehr als das. Wenn der junge rumänische Arzt Mihai mit seinem schwerkranken Vater William und seinem rebellischen jüngeren Bruder Emil 1968 von Arad nach Dresden aufbricht, ist das auch ein Ausflug in die europäische Geschichte. Der rumänische Staatspräsident Nicolae Ceaușescu ruft das Jahr 1968 zum „Internationalen Tourismusjahr“ aus. Für Mihai, Emil und ihren „Tata“ die Chance, endlich einmal aus Rumänien herauszukommen und den Vater in Dresden operieren zu lassen. Doch kaum haben die drei Donauschwaben die DDR erreicht, marschieren die Truppen des Warschauer Paktes in der Tschechoslowakei ein und bereiten dort Dubčeks Vision von einem „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ ein gewaltsames Ende. Auch weil Ceaușescu den Einmarsch der Sowjettruppen öffentlich kritisiert, werden die drei gemeinsam mit anderen Rumänen und der Münchner Studentin Ullrike in einem Auffanglager für Touristen festgesetzt. Erst als der rumänische Botschafter sich einschaltet, dürfen sie wieder abreisen. Da ihnen der Rückweg durch die Tschechoslowakei jedoch versperrt bleibt, ermöglicht ihnen der Botschafter die Heimreise durch die Bundesrepublik. Dadurch tun sich plötzlich ungeahnte Möglichkeiten auf. Tata könnte im Westen behandelt werden, und alle drei könnten dort eine neue Zukunft finden. Die Regisseurin und Drehbuchautorin Anca Miruna Lăzărescu hat sich von den Erzählungen ihres Vaters inspirieren lassen, der als junger Mann etwas Ähnliches erlebte. Vielleicht drängelt sich der historische Hintergrund deshalb nie in den Vordergrund. Unverkennbar steckt in der Geschichte mehr als ein Vorwand für die plakative Bebilderung geschichtlicher Ereignisse. Sehr behutsam entfaltet sich die Dramaturgie, ohne dabei ins Stocken zu geraten. Leider aber wird das visuelle Potential der Story nicht ausgeschöpft, was nicht an der Kamera von Christian Stangassinger liegt. Auch nicht an der Montage von Dan Olteanu und Hansjörg Weissbrich. Mit ruhiger Hand und feinem Rhythmusgespür bereiten sie den melancholisch-tragikomischen Nährboden für eine cineastische Reise, die als Road Movie vor allem deshalb nicht überzeugt, weil dafür die Schauplätze fehlen. Die für dieses Genre so essentiellen, atmosphärisch-lyrischen Außenaufnahmen, die Impressionen des Unterwegsseins kommen – vielleicht aus Budget-Gründen – zu kurz. Innendrehs und Studiooptik dominieren. Dass der Film daran nicht zerbricht, sondern die Reduktion ziemlich gut verkraftet, liegt daran, dass er den Fokus von den Landschaften auf die Gesichter verlagert. Die drei Hauptdarsteller Alex Mărgineanu, Razvan Enciu und Ovidiu Schumacher tragen den Film mit ihren schauspielerisch herausragenden, stimmigen und intensiven Darstellungen. Mihais Reise ist nicht zuletzt auch eine innere Bildungs- und Entwicklungsreise, die im Kulturschock gipfelt; ausgelöst von prallgefüllten Schaufenstern und allzeit verfügbaren Rolling-Stones-Schallplatten. Dahinter verbirgt sich aber ein viel grundsätzlicherer Konflikt, der sich etwa in der zwiespältigen Rolle offenbart, die Mihai innerhalb seiner Familie einnimmt. Während sein Vater, ehedem ein überzeugter Sozialist, längst mit dem Regime, aber auch seinem eigenen Leben abgeschlossen hat, probt sein „kleiner“, naiver Bruder den Aufstand, indem er in Rumänien antistalinistische Parolen auf eine Wand schmiert, ohne sich über die Konsequenzen im Klaren zu sein. Mihai dagegen fühlt sich verantwortlich für das Wohl der Familie und sieht sich zur Kollaboration mit dem verhassten Staatsapparat genötigt. Um die Ausreise und die für seinen Vater lebensrettende Operation nicht zu gefährden, nennt er dem Geheimdienst den Namen von Emils Freund. Tata und Emil beschimpfen ihn deshalb später als Verräter. Als Mihai sich in Ullrike verliebt und mit ihr nach München aufbricht, hofft er, seiner Zwangslage entfliehen zu können. Stattdessen aber landet er in einer 68er-Kommune, die den Sowjetsozialismus ideologisch verklärt. Abermals tut sich ein Graben zwischen Idealen und Wirklichkeit auf, der Mihai vor eine existentielle Entscheidung stellt. Nicht nur bei Ullrikes phrasendreschenden Mitbewohnern lässt sich die Inszenierung zu einigen recht simpel gestrickten Klischees hinreißen. Auch Ullrike von Syberg, die vom Adel abgefallene Revolutionsromantikerin, gerät eine ganze Spur zu exemplarisch. Susanne Bormann gelingt es nicht, sich aus diesem Korsett freizuspielen. Trotzdem liefern die Szenen, in denen die saturierten Münchner 68er den Gästen aus Rumänien den Sozialismus erklären wollen, einige köstliche Pointen. Die Regisseurin begeht glücklicherweise nicht den Fehler, die Kommunarden und ihre Weltsicht rundweg abzulehnen. Vielmehr lotet sie das Spannungsfeld von Freiheit und Verantwortung, Idealen und Ideologie, Weltbild und Welt aus, ohne vermeintlich „richtige“ Lösungen zu präsentieren. Weil Lăzărescu auf derlei plump erzieherische Maßnahmen verzichtet, scheint es am Ende, als spräche die Geschichte ohnehin für sich selbst.
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