Für all jene, die keinen regulären Schulabschluss erzielt haben, bietet die Schule für Erwachsenenbildung (SFE) in Berlin-Kreuzberg seit knapp 45 Jahren die Chance auf eine nachgeholte Hochschulreife oder den Mittleren Schulabschluss. An der basisdemokratisch organisierten Einrichtung ohne Direktor und Noten nehmen die Schüler ihre Bildung selbst in die Hand. Der Dokumentarfilm porträtiert sechs der unkonventionellen Schüler und einige Lehrkräfte auf dem Weg zum Abitur und würdigt als stilistisch bunte Hommage eine gelebte Utopie abseits der üblichen Denk- und Handlungsmuster einer Leistungsgesellschaft, deren Erfolg für sich spricht.
- Sehenswert ab 14.
Berlin Rebel High School
Dokumentarfilm | Deutschland 2017 | 97 Minuten
Regie: Alexander Kleider
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2017
- Produktionsfirma
- Dok-Werk Filmkooperative
- Regie
- Alexander Kleider
- Buch
- Alexander Kleider
- Kamera
- Andy Lehmann · Alexander Kleider
- Musik
- Eckes Malz
- Schnitt
- Alexander Kleider · Daniela Michel · Patricia Rommel
- Länge
- 97 Minuten
- Kinostart
- 11.05.2017
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Hommage auf die gelebte Utopie der antiautoritären Schule für Erwachsenenbildung (SFE) in Berlin-Kreuzberg
Diskussion
„Bellestrik“, schreibt eine Schülerin in der ersten Deutschstunde an die Tafel. Die junge Frau ist hier, um das Abitur zu machen. Als eine von rund 320 Schülern versucht sie, an der Schule für Erwachsenenbildung (SFE) in Berlin den Abschluss nachzuholen, den sie in der Regelschulzeit nicht gemacht hat. „Belletristik“, korrigiert die Klasse. Der jungen Frau ist der Schreibfehler peinlich, doch der Deutschlehrer ist wie immer die Ruhe selbst: „Aus Fehlern lernt man.“
Die Ablehnung von Leistungsdruck und autoritären Lehrerfiguren ist an der SFE Programm. Hervorgegangen aus einem Streik an einer Berliner Privatschule Anfang der 1970er-Jahre, stellt die seit bald 45 Jahren als staatlich unabhängige, basisdemokratische und selbstverwaltete Schule eine erfolgreich gelebte Utopie dar. Ohne Noten und ohne Direktor bietet sie all jenen eine Chance auf dem Zweiten Bildungsweg, die sie ergreifen wollen – völlig ungeachtet ihrer Vorgeschichte. Der Filmemacher Alexander Kleider, selbst ehemaliger SFE-Abiturient, taucht in die graffitibunten Räume eines Kreuzberger Hinterhofes ein, in denen eine schillernde Schülerschaft auf unkonventionelle Pädagogen trifft.
Zwei Jahre lang begleitet Kleider sechs Schüler, die sich in einer Klasse auf das Abitur vorbereiten. Etwa Hanil aus Aachen, der als Teenager am Cannabis-Konsum und unverständigen Lehrern scheiterte. Oder Lena, die als Punk in ihrer Dorfschule von Kameraden wie Pädagogen drangsaliert wurde. Auch Marvin, Florian, Mimy und Alex könnten ein Lied über Mobbing und Autoritäten singen, aber auch über die eigene Unangepasstheit. Nun aber müssen sie mit den Regeln und Methoden der SFE klarkommen, wo alles auf Freiwilligkeit und Eigenverantwortung basiert – natürlich auch das Lernen. Bei allerschönstem Wetter aber haben feste Uhrzeiten, Arbeitsgruppen, Vollversammlungen und gemeinschaftliches Putzen bisweilen keine Chance. Die Klassen bleiben halbleer, kollektives Arbeiten ist unmöglich, eine eigens gebildete Arbeitsgruppe appelliert an die Verantwortung aller. Der Umgang mit Freiheit muss gelernt werden.
Die langjährige Mitarbeiterin im Schulbüro unterscheidet drei Phasen in der SFE-Laufbahn, die der Film als strukturierende Elemente aufgreift: anfängliche Begeisterung, Ernüchterung und die produktive Panik angesichts der näher rückenden Abschlussprüfungen. Während dieser drei Phasen, in denen Hanil, Lena & Co. das Lernen lernen und teilweise ganz neue Seiten und Fähigkeiten an sich entdecken, steht ihnen der Filmemacher als Porträtist zur Seite. Ob mit Dosenravioli, Schulheft und Pils am Küchentisch, beim Sortieren eines Zettelchaos, bei der Freiluftstunde im Schrebergarten des Deutschlehrers oder bei Besuchen in der Heimat – nach und nach wird wie von alleine deutlich, an welchen Versäumnissen die Protagonisten einst in den Regelschulen gescheitert sind und welche Entfaltungen der freiheitliche Ansatz der SFE stimulieren kann.
Wie man sich selbst treu bleibt, leben die ebenfalls im Film porträtierten Lehrenden vor. Selbst irgendwie halbe Käuze, aber für ihre Schüler ideale Pädagogen, stehen sie stellvertretend für die Generation, die als Andersdenkende in Kreuzberg einst eine Heimat und Wirkungsstätte am Rande der geteilten Republik gefunden haben. Als Überzeugungstäter nehmen sie den schmalen Stundenlohn und eine vorhersehbare Altersarmut in Kauf, um als freundschaftliche Impulsgeber eher zu Neugier, Forscherdrang und Eigenleistungen zu ermuntern als zum Auswendiglernen.
Dass dies für die staatliche Abiturprüfung mitunter nicht die erfolgversprechendste Methode ist, muss Alex schmerzlich erfahren. Entmutigen lässt er sich dadurch nicht. Im zweiten Anlauf will er es dann eben mit Auswendiglernen versuchen. In diesem wie in anderen Momenten ist der Film viel mehr als ein Defilee einnehmender Persönlichkeiten: eine Hommage an die Schule und augenzwinkernde Würdigung eines besonderen Stadtteils. Beiläufige Kritik am deutschen Schulsystem und der Leistungsgesellschaft durchzieht „Berlin Rebel High School“ und wirft Fragen zum Umgang mit Vielfalt nicht nur in der Schule auf. Die schulischen und persönlichen Erfolge der Protagonisten sprechen für sich!
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