Mein Großvater Salvador Allende

Dokumentarfilm | Chile/Mexiko 2015 | 98 Minuten

Regie: Marcia Tambutti Allende

Die Enkelin des von der Militärjunta gestürzten chilenischen Präsidenten Salvador Allende spürt 45 Jahre nach dem Putsch den Spuren ihres Großvaters nach. Dabei stößt sie auf die ihr vertrauten Tabus und Schweigezonen innerhalb ihrer Familie. Obwohl sie den Wunsch ihrer Verwandten respektiert, nicht über die Vergangenheit zu sprechen, recherchiert sie behutsam weiter und fördert ein vielschichtiges, differenziertes Bild des Politikers zutage. Den holzschnittartigen Diskursen stellt sie eine privatere, emotionalere Sicht der Historie entgegen, wodurch sich die dokumentarische Recherche zu einem fesselnden Familienfilm über Tabus, Schmerz und Schweigen weitet. (O.m.d.U.) - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
ALLENDE, MI ABUELO ALLENDE
Produktionsland
Chile/Mexiko
Produktionsjahr
2015
Produktionsfirma
Errante
Regie
Marcia Tambutti Allende
Buch
Paola Castillo Villagrán · Bruni Burres · Valeria Vargas · Marcia Tambutti Allende
Kamera
David Bravo · Eduardo Croz-Coke
Musik
Leonardo Heimblum · Jacobo Lieberman
Schnitt
Coti Donoso · Titi Viera Gallo
Länge
98 Minuten
Kinostart
01.02.2018
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
CineGlobal (16:9, 1.78:1 DD2.0 span.)
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Die Enkelin des chilenischen Präsidenten Salvador Allende forscht ihrem Großvater nach und fördert ein differenziertes Bild zutage.

Diskussion

Salvador Allende war der erste sozialistische Präsident Chiles. Am 11. September 1973 wurde er durch den Staatsstreich unter General Augusto Pinochet gestürzt. Noch während des Putsches nahm sich Allende das Leben; seine Frau Hortensia Bussi, die drei Töchter Beatriz, Isabel und Carmen Paz, Enkelkinder und enge Vertraute flohen ins Exil. Die Regisseurin von „Mein Großvater Salvador Allende“, Marcia Tambutti Allende, ist die Enkelin des Präsidenten. 45 Jahre nach dem Putsch kehrt sie nach Chile zurück, um den Tabus und dem Schweigen ihrer Familie nachzuspüren. Sie möchte die private Dimension ihres berühmten Großvaters kennenlernen, der ihr von frühester Kindheit an nur als politische Ikone begegnet ist: „Seitdem ich denken kann, wird mein Großvater am 11. September geehrt. Für mich war er ein statisches Bild. Niemals hörte ich Kritik an ihm.“ Ihren Großvater habe sie primär über Flugblätter und Plakate kennengelernt. Auf der Suche nach der Vergangenheit kommt ihr ihre Familie nur wenig entgegen. Zu Beginn der Dreharbeiten lebte die Großmutter noch, eine gebrechliche, aber geistig wache Frau. Für Hortensia Bussi, Allendes Ehefrau, waren der Putsch und die Folgen das schrecklichste Ereignis ihres Lebens: „Vor dem 11. September hatte ich einen Mann und drei Töchter, drei Jahre später hatte ich nur noch zwei Töchter.“ Denn auch ihre Tochter Beatriz nahm sich in Havanna das Leben. Keiner habe wahrgenommen, dass Beatriz an chronischer Depression litt: „Ein Revolutionär hat keine Depressionen. Das war das erste, was sie auf Kuba dazu zu hören bekam.“ Die Filmemacherin spürt ihrer Familiengeschichte nach, mit Fotos, privaten und offiziellen Archivmaterialien, aber insbesondere durch Gespräche mit ihren Verwandten. „Mein Großvater Salvador Allende“ entpuppt sich dabei als Ensemblefilm mit widerspenstigen Darstellern. Denn die Schergen der Diktatur haben der Witwe nicht nur ihre privaten Fotoalben entrissen; die Traumata von Diktatur und Exil scheinen bei der Mutter und den anderen Frauen der Familie anscheinend auch ein tiefes Schweigebedürfnis ausgelöst zu haben. Die Regisseurin bohrt nach, bricht ihre Recherchen auf Wunsch der Befragten aber gleich wieder ab. Sie respektiert ihr Bedürfnis nach Schweigen, forscht aber dennoch behutsam weiter. Über die Analyse der historischen Bilder zeichnet sie ein vielschichtiges Bild von Salvador Allende, dem Patriarchen, der seine Familie für die politische Arbeit einspannte und sogar sein Haus verkaufte, um seinen Wahlkampf zu finanzieren. „Er hat auch gerne geflirtet, das konnte man ihm nicht austreiben“, sagt Bussi; seine Affären waren Freunden wie Familie durchaus bekannt. Auf diese Weise lässt der Film an einer familiären Katharsis teilhaben. Es geht um familiäre Vergangenheit, aber auch um Fürsorglichkeit. Die Cousine Maya Berge hat viele Fotos verborgen, weil sie glaubte, dass diese die Erinnerungen ihre Großmutter belasten könnten. Die Regisseurin führt vor Augen, dass dies der falsche Weg war. Allerdings ist der Film mehr als ein privates Dokument. Die Filmemacherin ist Tochter der argentinischen Abgeordneten Isabel Allende Bussi; sie ist also politisch sozialisiert und versteht sich als Teil einer neuen Generation. Die setzt den holzschnittartigen politischen Diskursen der Vergangenheit eine privatere, emotionalere Sicht der Geschichte entgegen. E soll nicht länger ignoriert werden, dass und wie der politische Kampf das Leben der Familien beeinflusst hat. In diesem Sinne ist die dokumentarische Recherche von Marcia Tambutti Allende ein fesselnder Familienfilm über Tabus, Schmerz und Schweigen. Ein ebenso privater wie politischer Film, der weit über den Nimbus von Salvador Allende hinausweist.

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