Tragikomödie | Deutschland 2018 | 86 Minuten

Regie: Xaver Böhm

Einen erfolglosen Musiker, der an Zwangsneurosen und nächtlichen Panikattacken leidet, befällt immer wieder das Gefühl, in Kürze sterben zu müssen. Als er einer düsteren Gestalt begegnet, die sich als Tod ausgibt, flieht er ins Berliner Nachtleben und stürzt sich in einen faustisch-bizarren Trip. Der von überwältigendem visuellen Reichtum und betörenden Electro-Beats getragene (Alb-)Traum droht mitunter in puren Neo-Noir-Manierismus abzugleiten. Als Hommage ans französische „Cinéma du look“ der 1980er-Jahre beeindruckt das postmoderne Pastiche aber mit seiner zwischen „Carpe diem“ und „Memento mori“ schwankenden Atmosphäre, faustisch-bizarren Szenen und barocken Körper-Tableaus. (Neben der Farbversion hat der Regisseur eigens auch eine schwarz-weiße Fassung [BLACK NEON EDITION] für die Arthouse-Kino-Präsentation angefertigt.) - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2018
Produktionsfirma
Komplizen Film/ZDF - Das kleine Fernsehspiel
Regie
Xaver Böhm
Buch
Ariana Berndl · Xaver Böhm
Kamera
Jieun Yi
Musik
Paul Eisenach
Schnitt
Florian Miosge
Darsteller
Noah Saavedra (Juri) · Marko Mandic (Der Tod) · Vanessa Loibl (Nina) · Gerhard Bös (Schmetterlingsmann) · Peter Clös (Bademantelmann)
Länge
86 Minuten
Kinostart
20.06.2019
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Tragikomödie
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Ein erfolgloser Musiker glaubt sterben zu müssen und stürzt sich ins Berliner Nachtleben, wo ihn eine Stripperin auf seinem faustisch-grotesken Trip begleitet.

Diskussion

„Das ist der Moment. Ich sterbe“, hört man eine männliche Stimme mit Herzrasen aus dem Off. Sie gehört Juri (Noah Saavedra), einem erfolglosen Berliner Musiker, der sich mit „Black Jack“-Spielen im Internet seinen Lebensunterhalt verdient. Ihm gegenüber sitzt ein pechschwarzer Rabe, der genüsslich in der Wunde pickt und schon nach seinem Herzen giert.

Von Todesangst getrieben, flieht der 21-jährige Hypochonder aus seiner Wohnung in einen düsteren Spielsalon in der Nachbarschaft. Dort steht ihm bald ein romantisch-düster gekleideter Mann mit langem Mantel und osteuropäischem Akzent gegenüber, der behauptet, der Tod zu sein. „Du kennst mich. Ich habe auf dich gewartet“, grinst er ihm ins Gesicht und zeigt zum Beweis seine „Visitenkarte“: der Sensenmann aus dem Tarot-Spiel.

Eine Hommage ans „cinéma du look“

Xaver Böhms visuell berauschendes Spielfilmdebüt „O Beautiful Night“ beginnt mit neonfarbener Straßenreklame und dunkelblau leuchtenden Straßenzügen, die Assoziationen vom französischen „Cinéma du look“ der 1980er-Jahre bis zum grotesk-schillernden Oeuvre Nicolas Winding Refns wecken; im Intro leuchten surreal verfremdete Illustrationen von Früchten und Pflanzen auf, die aus der niederländischen Stillebenmalerei des „Goldenen Jahrhunderts“ stammen könnten und dem Film einen durchgängig extravaganten Look verschaffen.

Schon in dieser von Jieun Yi brillant-morbide fotografierten Anfangssequenz offenbart sich die visuelle Qualität von „O Beautiful Night“. Scheinbar jede Szene ist auf Oberflächenrauschen angelegt; Böhms magische, grotesk-schwarzhumorige Filmsprache verwandelt die wenigen Charaktere in Comic-Figuren, deren Dialoge von märchenhaft bis hintersinnig-hanebüchen reichen.

Der ausgeprägte Stilwille setzt sich in der faustisch-bizarren (Alb-)Traumreise des Protagonisten fort. Pittoresk gestaltete Liebeszenen in einer Opiumhölle, die eigentlich ein Blumenladen ist, reihen sich nahtlos an karnevaleske Todesspiel-Szenarien in einer seltsam aus der Zeit gefallenen Go-Kart-Bahn, wo mit einem geladenen Revolver „Russisches Roulette“ gespielt wird.

„Xaver Xylophon“ gibt sich die Ehre

Die emotional aufgeladene Filmmusik, die Böhm zusammen mit Paul Eisenach komponiert hat, trägt den schwer zu fassenden Debütfilm über weite Strecken fast alleine. Unter dem Künstlernamen „Xaver Xylophon“ hat sich Böhm als Illustrator einen Namen gemacht und beispielsweise den Videoclip zu DJ Hells „I Want You“ animiert oder aufwändige „Erklärvideos“ für die New York Times kreiert. Sein feines Gespür für Mimik, Gestik und große Schauwerte gleicht manche dramaturgisch holprige Passage aus. Auch wenn das eher maue Drehbuch, das Böhm zusammen mit Ariana Berndl verfasst hat, nicht bis zum Schluss überzeugt, zehrt der Film in erster Linie von seinem mächtigen visuellen Esprit. Die fast durchgängig außergewöhnlich kadrierten Einstellungen atmen den Geist eines postmodernen Pastiche und spielen mit intermedialen Interdependenzen, wie sie auch in den Werken von Jean-Jacques Beineix, Peter Greenaway oder Léos Carax zu finden sind.

Der zwischen mephistophelischen Autofahrten und bizarren Peep-Show- und Zoo-Besuchen angesiedelte Film entfaltet eine optisch wie akustisch fesselnde Atmosphäre zwischen „Carpe Diem“ und „Memento mori“. Allerdings droht die Inszenierung immer wieder in puren Neo-Noir-Manierismus abzugleiten. Das Darstellerensemble neigt streckenweise zum Overacting, und auch der Buddy-Humor („Wenn du das überlebst, kann dich nichts mehr umbringen!“) wirkt mitunter aufgesetzt. Doch die farbästhetische Originalität des Films lässt aufhorchen und berauscht durch traumartige Szenenbilder und barocke Körper-Tableaus.

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