Dokumentarfilm | Deutschland 2019 | 92 Minuten

Regie: Benjamin Schindler

Auf einer filmischen Reise durch die USA versammelt der dokumentarische Filmessay historische Reenactments, die in Themenparks, Museen oder auf Freilichtbühnen die Mythen und Träume der US-amerikanischen Identität vergegenständlichen. In der bildreichen, assoziativen Montage der US-amerikanischen Selbstbilder werden die vielfachen Spiegelungen der Unterhaltungsindustrie sichtbar, die ganz wesentlich zur Selbstverständnis des Landes beitragen. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
Zeitgebilde Filmproduktion/Hübner/Wallenfells/WDR
Regie
Benjamin Schindler
Buch
Benjamin Schindler · Jan Wilde
Kamera
Benjamin Schindler
Musik
Jan F. Kurth · Lukas Truniger
Schnitt
Yana Höhnerbach · Benjamin Schindler
Länge
92 Minuten
Kinostart
26.09.2019
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Filmessay über US-amerikanische Mythen und Träume, die durch vielfache Spiegelung in der Unterhaltungsindustrie wesentlich zur Identitätsbildung der USA beitragen.

Diskussion

Die biblische Arche ist ein Publikumsmagnet. Lebensgroß sind Noah und seine Familie zu sehen, begleitet von unzähligen Tierpaaren, die nach der Überlieferung die Sintflut überlebt haben. Das gigantische Holzschiff in Kentucky hat 100 Millionen Dollar gekostet. Halb Vergnügungspark, halb Bildungsstätte, ist es ein Vorzeigeprojekt der Kreationisten, jener fundamentalistischen Christen, die die Evolutionstheorie strikt ablehnen.

Der biblische Monumentalbau ist einer der aussagekräftigen Drehorte einer filmischen Reise durch die USA und ihrer Geschichte, durch die Reenactments großer historischer Ereignisse, von der Ankunft der puritanischen Gründerväter über den Unabhängigkeitskrieg gegen die britischen Kolonialherren bis zur Eroberung des unbesiedelten Westens. Während die perfekt kostümierten Laienschauspieler in ihren historischen Rollen aufgehen, vergegenwärtigen große Freilichtmuseen das Leben der ersten Siedler in ihren Hütten aus Holz, mitsamt Gärten und Haustieren.

Geschichte als Bündel von Geschichten

Die Geschichte, das wird in der bilderreichen und assoziativen Montage von „Playland USA“ von Benjamin Schindler deutlich, ist ein Bündel von Geschichten. Sie muss unterhaltsam sein und darf nicht hinterfragt werden. Das Land spielt die eigene Vergangenheit nach, in altbekannten Rollen und eingefahrenen Schablonen, unter freiem Himmel mit und ohne Eintrittsgeld: Der Sheriff in der Westernstadt Tombstone in Arizona erschießt Banditen, im kalifornischen Sacramento werden die Schienenstränge der Pazifik- und der Atlantikbahn zusammengefügt, und vom texanischen Houston aus startet die Apollo 11 zur ersten Mondlandung. Amerika ist ein Land der Helden und der Superhelden.

„Wahrheit – Gerechtigkeit – Der amerikanische Traum!“ ist auf dem Sockel zu lesen, auf dem eine Superman-Statue steht. Fiktion und Realität sind nicht zu trennen, Historisches vermischt sich mit Religiösem. Zu den Heldenbildern gehören auch die Feindbilder, und untrennbar mit den Heldengeschichten, dem „Spirit of the frontier“, ist auch die Angst vor unbekannten Gefahren verbunden, die vor den Palisaden der Grenzzäune lauern: wilde Tiere, grausame Ureinwohner, Banditen, Spione und Aliens, unbekannte Invasoren aus anderen Galaxien oder der Amokläufer im Kino.

Doch auch die Angst gehört zum Entertainment, die tiefe Furcht vor dem Untergang und die Lust an der apokalyptischen Vision, wie sie die afro-amerikanische Endzeitpredigerin auf dem Times Square in New York lautstark hinausschreit.

Eine unermüdliche Traumfabrik

Schindlers Amerika ist eine unermüdliche Traumfabrik, ein Land des Entertainments, der Popkultur und der religiösen wie nationalen Propaganda, die sich tief ins kollektive Unterbewusstsein eingegraben hat, wenn etwa der Vietnamveteran mit langem Schnurrbart im verbrannten Gesicht und Hut in seinem Garten sinniert: „Freiheit ist nicht umsonst, immer muss jemand dafür sterben.“

Schindler lässt aber auch Thomas Jefferson und Michelle Obama zu Wort kommen, er zeigt Batman und Mickey Mouse. Die Inszenierung der Geschichte erinnert an großes Hollywood-Kino. „Playground USA“ greift dabei kaum auf Fotos und Filmausschnitte zurück, sondern begnügt sich mit der sichtbaren Oberfläche. Schindler ist dabei kein Michael Moore. Er stellt sich nicht in den Vordergrund und interpretiert die Bilder nicht. „Playland USA“ ist kein polemischer oder analytischer Film, er will nichts erklären.

Die Reise durch die USA führt bis in die Ära Trump. Doch der amtierende US-Präsident kommt nur einmal ins Bild: als kleine Plastikfigur im Schaufenster, die man am Times Square in New York erwerben kann.

Ein Stück Identität

„Playland USA“ spürt den Mythen und den großen Erzählungen der USA nach, er führt beinahe traumwandlerisch durch ein seltsam vertrautes und doch so exotisches Land. Die Inszenierung verzichtet auf einen orientierenden Kommentar und überlässt es dem Zuschauer, sich inmitten einer Vielzahl von Orten und Protagonisten zurechtzufinden. Aus den beeindruckenden Bildern und einer komplexen Tonebene, unter anderem mit sinfonischer Musik von Anton Bruckner, entsteht eine gelungene poetische Collage, die zu einem tieferen Verständnis der gegenwärtigen politischen wie kulturellen Krise der USA verhelfen kann.

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