Historienfilm | Deutschland 2019 | 200 (8x25) Minuten

Regie: Matthias Zirzow

Die achtteilige Fernsehserie erzählt in jeweils halbstündigen Episoden, wie Kinder und Jugendliche in unterschiedlichen europäischen Ländern mit dem Nationalsozialismus konfrontiert wurden und den Zweiten Weltkrieg erlebten. Eine Gratwanderung, weil die NS-Zeit kindgerecht vermittelt, aber zugleich nicht verharmlost werden soll. - Ab 12.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
Looks Film & TV Prod./ARD/SWR/Toto Studio/BBC Alba/MG Alba/CT/EC 1 Łódź/CeTA
Regie
Matthias Zirzow
Buch
Matthias Zirzow · Maarten van der Duin · Ramona Bergmann
Kamera
Bernhard Wagner · Julia Baumann
Musik
Eike Hosenfeld · Moritz Denis · Steffen Keinke
Schnitt
Dirk Seliger · Daniel Förtsch
Darsteller
Juri Gayed (Anton) · Nils Sand Näslund (Fritjof) · Mina Christ (Sandrine) · Ruairidh Harris (Calum) · Adam Halajczyk (Romek)
Länge
200 (8x25) Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 12.
Genre
Historienfilm | Serie

Heimkino

Verleih DVD
Polyband
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Die achtteilige Serie erzählt von Schicksalen während des Zweiten Weltkriegs aus der Perspektive von Kindern und Jugendlichen.

Diskussion

„Ich verstehe das nicht“, klagt der junge Anton verzweifelt, „die Nazis wollen doch, dass es den Menschen gutgeht. Aber Papa redet nur von Krieg.“ Anton ist zehn Jahre alt und Halbwaise. Mit seinen zwei jüngeren Geschwistern lebt der Junge im düster werdenden Deutschland des Jahres 1938. Sein sehnlichster Wunsch: nicht länger als Außenseiter gelten und endlich der Hitlerjugend beitreten. Doch sein Vater, der mit den Nationalsozialisten nichts zu tun haben will, verbietet es. Also fälscht der Junge dessen Unterschrift auf dem Beitrittsformular und marschiert heimlich mit den Braunhemden mit. Anton ist überglücklich. Erst allmählich wird ihm klar, dass da etwas nicht stimmt.

Diese Szene stammt aus der ersten Folge der achtteiligen Fernsehserie, die in jeweils knapp halbstündigen Episoden erzählt, wie Kinder und Jugendliche aus Europa mit dem Nationalsozialismus konfrontiert wurden und wie sie den Zweiten Weltkrieg erlebten.

Um das Thema Holocaust und Judenverfolgung für 11- bis 14-Jährige zugänglich zu machen, griffen die Autoren Matthias Zirzow, Maarten van der Duin und Ramona Bergmann überwiegend auf Tagebucheintragungen von Kindern aus sieben verschiedenen Ländern während der NS-Zeit zurück.

Kindgerecht erzählen, ohne zu verharmlosen

Die von Matthias Zirzow inszenierte Serie ist im Doku-Drama-Stil gehalten. Wie in diesem Genre üblich, werden Spielszenen mit Passagen aus historischen Archivfilmen kombiniert. Ein sachlich differenzierter Off-Kommentar führt an die jeweiligen Konflikte heran. Dennoch ist die Serie eine Gratwanderung. Die Macher bemühen sich einerseits, die NS-Zeit kindgerecht zu vermitteln, ohne zu verharmlosen. Andererseits mussten sie aber auch sichergehen, dass Kinder von dem Stoff nicht traumatisiert werden. Bei Treatment-Tests mit Kindern der Altersstufe von 9 bis 11 Jahren stellte sich unter anderem heraus, dass die jugendliche Zielgruppe Auschwitz für ein Feriencamp hielt. Daraufhin wurden die realen Folgen der Ermordung von Menschen in Konzentrationslagern im Drehbuch präziser herausgearbeitet.

Um eine szenische Verbindung zwischen dem Archivmaterial und den Spielszenen herzustellen, wird auf einen Trick zurückgegriffen: die Protagonisten werden in aufwendig konstruierten Modellen von Spielfiguren im Zinnsoldaten-Stil repräsentiert. Diese Verdopplung der Szenerie in einer Miniaturlandschaft überzeugt allerdings nur teilweise. So steigt in der achten Episode der Serie künstlicher Rauch aus dem Krematorium des wie ein Märklin-Modell anmutenden Auschwitz-Nachbaus auf. Das KZ erscheint hier fast wie ein Teil aus einer Kinderspielzeuglandschaft.

Die Freundin ist eine Jüdin

Auch die Qualität der einzelnen Episoden, deren zeitliche Abfolge der Chronologie des Zweiten Weltkriegs folgt, ist recht unterschiedlich. Das liegt an den nicht durchweg gelungenen Drehbüchern und den nicht immer überzeugenden Darstellern. Der Einstieg in die Serie funktioniert dagegen gut. In der ersten Episode agiert der talentierte Nachwuchsdarsteller Juri Gayed als Anton an der Seite von Florian Lukas als dessen Vater. Die Begeisterung des ahnungslosen Jungen für die Hitlerjugend und die Bedenken des Vaters, der im Ersten Weltkrieg ein Bein verlor, werden glaubhaft vermittelt. Als Anton enthusiastisch in der Hitlerjugend mitmarschiert, nun aber mit seiner gleichaltrigen Freundin Greta keinen Umgang mehr haben darf, weil sie Jüdin ist, wird der Konflikt emotional nachvollziehbar ausgeleuchtet.

Diese Differenzierung vermisst man in den Folgen 2 („Fritjof aus Norwegen“) und 4 („Calum aus Schottland“), in denen die kindlichen Charaktere weniger Konturen haben und auch die Figuren der Erwachsenen schemenhaft bleiben. Gelungen ist hingegen die dritte Episode „Sandrine aus Frankreich“, die sich an die Biografie des evangelisch-reformierten Pastors André Trocmé anlehnt, der mit seiner Frau Magda im südfranzösischen Le Chambon-sur-Lignon jüdischen Flüchtlingskindern Unterschlupf gewährte: „Wir wissen nicht, was Juden sind. Wir kennen nur Menschen“, entgegnete der Geistliche einem Gendarmen, der Trocmés Haus nach Flüchtlingen durchsuchte.

Menschlichkeit und Zivilcourage

In Erinnerung bleiben besonders jene Episoden, die vollkommen aus kindlicher Sicht erzählt sind. So taucht die fünfte Folge über „Romek aus Polen“ in die Welt eines Zehnjährigen ein, der in einem Ghetto ums tägliche Überleben kämpft. Die sechste Folge, „Vera aus der Sowjetunion“, macht nachvollziehbar, wie nach dem deutschen Überfall auf Russland Kinder von ihren Eltern getrennt wurden und welches Schicksal sie in Heimen erwartete. Die an Bernhard Wickis Antikriegsfilm „Die Brücke“ erinnernde Episode, „Justus aus Deutschland“, zeichnet nach, wie ein 15-Jähriger mit seinen Kameraden begeistert dem „Volkssturm“ beitritt und daraufhin in einem Gefecht mit US-amerikanischen Panzern erfährt, was Krieg wirklich bedeutet. Die Schlussfolge „Eva aus der Tschechischen Republik“ veranschaulicht, wie eine 14-Jährige im KZ Auschwitz und als Musikerin der Ermordung entgeht und durch die Musik Kraft zum Überleben findet.

Die acht Doku-Dramen erteilen recht eindringlich, manchmal aber auch mit erhobenem Zeigefinger, eine sehenswerte Geschichtslektion für Grundschulkinder und Jugendliche. Auf drastische und schockierende Bilder wird dabei verzichtet, ohne dass die Serie betulich würde. Im Vergleich zu Erwachsenenformaten verfügen Produktionen wie „Der Krieg und ich“ aber über kein sehr großes Budget. Ausstattung und Bildgestaltung ist dieser Mangel zuweilen anzusehen. Der Regisseur und sein Team kompensieren diese Defizite jedoch mit Kreativität. Auf Augenhöhe der Kinder thematisiert die Serie die Bedeutung von Menschlichkeit, Zivilcourage und Nächstenliebe in schwierigen Zeiten.

Opfer des Rassenwahns

Im Zentrum steht dabei immer wieder auch das Thema der Judenverfolgung, das in mehreren Episoden aus unterschiedlichen Blickwinkeln aufgegriffen wird. Die Serie fühlt sich in die Erlebnisweise von Kindern ein, die Opfer des Rassenwahns werden. Dieses Thema ist unter anderem auch deshalb relevant, weil im Zuge der Flüchtlingskrise des Jahres 2015 nicht wenige Migrantenkinder mit ihren Eltern nach Deutschland kamen, in deren Kultur der Antisemitismus mitunter noch tief verwurzelt ist. Hier setzt die ambitionierte Produktion einen wichtigen Akzent.

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