Dokumentarfilm | Deutschland 2019 | 75 Minuten

Regie: Therese Koppe

Zwei 1938 geborene Frauen sind seit über 40 Jahren ein Paar und betreiben seit Anfang der 1980er-Jahre einen Kunsthof in Brandenburg, der einen Freiraum für Kunst, Performances, Feste und Gespräche bietet. Der Dokumentarfilm blättert mit Archivmaterial die Biografien der Künstlerinnen auf, beobachtet sie aber vor allem in ihrem Alltag als gealtertes Paar. Ohne die Situation in der DDR zu verklären, in der die beiden Frauen als nicht staatskonform galten, dabei aber keine radikalen oppositionellen Positionen einnahmen, kreist der Film sehr eindringlich um die Frage, wie man sich und seinen Idealen in wechselvollen Zeiten treu bleiben kann. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf
Regie
Therese Koppe
Buch
Therese Koppe
Kamera
Annegret Sachse
Musik
Irma Heinig
Schnitt
Evelyn Rack
Länge
75 Minuten
Kinostart
08.10.2020
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Doku über zwei betagte Künstlerinnen, die sich nicht nur in der DDR im Widerstand gegen Ignoranz und lebensfeindliche Ideologien übten.

Diskussion

Da hat sich aber jemand seinen Job schön und aufregend geschrieben! Zwei ältere Damen, Erika und Christine, kommen aus dem Staunen und Lachen nicht mehr heraus, als sie sich gemeinsam durch Erikas Stasi-Akte lesen. Besuch bei einer Künstlerkolonie in den 1980er-Jahren im Oderbruch. Der Stasi-Kundschafter wagt sich aufs Gelände. Was er dort zu sehen bekommt, ist unerhört, aber auch irgendwie spannend. Nackte Künstler und Künstlerinnen, wohin sein Auge blickt. Alles zwischen archaischem Ritual und Gruppensex scheint hier möglich, zumindest im Kopf des Kundschafters des real existierenden Sozialismus. Nachdem die beiden Freundinnen sich hingebungsvoll amüsiert haben, kommt jedoch auch Bitterkeit hinter den Erinnerungen hervor. Denn hinter der Spießerfantasie verbirgt sich auch eine Boshaftigkeit, die alternative Lebensentwürfe neidet und denunziert.

Ein Freiraum für Gruppen, Kunst und Gespräche

Die Filmemacherin Therese Koppe hatte ihren Abschlussfilm über weniger bekannte Künstlerinnen in der DDR geplant, die nicht staatskonform waren, aber auch keine radikalen oppositionellen Positionen vertraten. Es sollte um ein möglichst differenziertes Bild unterschiedlicher Haltungen gegenüber dem Staat und seiner Kunstideologie gehen, um Lebensstrategien und ihr möglicherweise utopisches Potenzial. Bei ihrer Recherche stieß Koppe dann auf die Künstlerin Erika Stürmer-Alex und ihre Lebenspartnerin Christine Müller-Stosch, beide Jahrgang 1938. Sie betreiben seit 1982 den Kunsthof Lietzen im Oderbruch. Ein abgelegener Ort als Freiraum für Gruppen, Kunst, Performances, Feste und Gespräche. Eine Art von „Safe Space“.

Es gibt in „Im Stillen Laut“ Archivmaterial aus jenen Jahren zu sehen, Fotos und Filme, doch eingehender beobachtet der Film den heutigen Alltag des betagten Paares, das arbeitet, den Hof bewirtschaftet, telefoniert, Feste feiert, im See badet oder einfach in der Sonne sitzt und schweigt. Nebenher werden die Biografien der beiden aufgeblättert: Stürmer-Alex absolviert die Kunsthochschule, doch ihre Malerei ist zu abstrakt für die Doktrin des Sozialistischen Realismus. Trotzdem bekommt sie staatliche Aufträge, allerdings nur für Plastiken. Ihr Eigensinn wird misstrauisch registriert. Rückblickend erzählt sie, dass es durchaus darum gegangen sei, Mängel des sozialistischen Alltags konstruktiv zu verbessern, also gerade keine Haltung einer fundamentalen Systemopposition zu entwickeln. Doch selbst dafür sei die Stasi nicht empfänglich gewesen.

Die Malaise auf beiden Seiten

Eine Studienreise nach Paris zu Ausstellungen von Beckmann, Klee und Picasso führt ihr dann nachdrücklich vor Augen, welche beschränkten Arbeitsmöglichkeiten sie in der DDR besitzt, zeigt ihr allerdings auch die Malaise des durchkapitalisierten Kunstbetriebs im Westen. Schließlich bleibt sie in der DDR, weil sie dort nicht nur ihre Kunst, sondern auch ihre Lebenshaltung gebraucht sieht.

Kleine Pointe: Nach dem Ende der DDR verkauft sich plötzlich auch ihre Malerei ganz gut. Zudem dozierte sie ab Anfang der 1990er-Jahre an der Musik- und Kunstschule Frankfurt (Oder). Es folgten eine Reihe von Auszeichnungen, Stipendien und Studienaufenthalte in London, Rom oder Brasilien.

Ganz anders die Biografie von Müller-Stosch, die aufgrund ihrer Herkunft aus einem evangelischen Pfarrhaus als „Staatsfeindin“ früh „aus dem Bildungssystem der DDR entlassen“ wurde. Auf Umwegen im alternativen kirchlichen Bildungssystem folgte ein kirchliches Abitur, dann ein Studium der Theologie an der kirchlichen Hochschule Naumburg/Saale und – bis zum 13. August 1961 – an der Kirchlichen Hochschule Berlin-Zehlendorf. Schließlich fand sie beruflich eine Nische als Lektorin in der Evangelischen Verlagsanstalt, wobei sie besonders darunter litt, auf Weisung der Kulturbehörde inkriminierte Texte so zu frisieren, dass sie trotz der Zensur publiziert werden konnten. Nachdem sie in den 1990er-Jahren diesen Job verlor, musste sie sich neue Tätigkeitsfelder im Umfeld des Kunsthofs suchen, der sich jetzt einer Vielzahl von Gruppen als Seminarort öffnete.

Aufschlussreich ist auch hier die Episode, als plötzlich mit größter Selbstverständlichkeit die Erben der ehemaligen Besitzer des Hofes aus dem Westen auftauchen und gewissermaßen ihr Eigentum einfordern. Auch diese Krise meistert das Paar – zumindest rückblickend – mit Gelassenheit und Humor.

„A Quiet Resistance“

Der englische Verleihtitel des Films lautet „A Quiet Resistance“, und das ist keinesfalls nur nostalgisch auf die Zeit in der DDR bezogen, sondern gilt schlicht fürs Ganze. Insofern fragt der Film: Wie kann man sich und seinen Idealen in wechselvollen Zeiten treu bleiben? Welche Rolle spielen dabei die Kunst, Humor und Gelassenheit, die Verwurzelung in so etwas wie Heimat, vielleicht auch die Religion und eine gelingende Partnerschaft? Christine Müller-Stosch bietet hierfür einmal die Formel „In Wahrhaftigkeit leben“ an, deren Vielschichtigkeit man im Verlauf des Films immer wieder nachspüren kann.

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