Anders essen - Das Experiment

Dokumentarfilm | Österreich 2020 | 88 Minuten

Regie: Kurt Langbein

Drei Familien aus Österreich und Frankreich nehmen an einem mehrmonatigen Experiment teil, um sich nachhaltiger zu ernähren: weniger Fleisch, mehr regionale Produkte. Der äußerst lehrreiche Dokumentarfilm begleitet sie in ihrem Alltag und liefert nebenbei spannende Einblicke in die globale Lebensmittelindustrie sowie kleinere alternative Projekte. - Ab 12.
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Filmdaten

Originaltitel
ANDERS ESSEN - DAS EXPERIMENT
Produktionsland
Österreich
Produktionsjahr
2020
Produktionsfirma
Langbein & Partner/ORF/arte
Regie
Kurt Langbein · Andrea Ernst
Buch
Kurt Langbein
Kamera
Christian Roth · Valentin Platzgummer · Michael Rottmann
Schnitt
Alexandra Wedenig
Länge
88 Minuten
Kinostart
27.02.2020
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 12.
Genre
Dokumentarfilm
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Informative Doku über drei Familien aus Österreich und Frankreich, die sich während eines Experiments mehrere Monate nachhaltiger ernähren.

Diskussion

Visualisieren kann helfen, ein Problem zu erfassen. Etwa wenn es um etwas ganz Konkretes und zugleich hochgradig Abstraktes geht wie die eigenen Essgewohnheiten und ihre globalen Auswirkungen. Da kann es sehr lehrreich sein, wenn einem diese einmal unmittelbar vor Augen geführt werden. Im Grunde ist das genau das, worum es im Dokumentarfilm „Anders essen“ der beiden Filmemacher Kurt Langbein und Andrea Ernst geht.

Drei Familien lassen sich darin auf das Experiment ein, ihre bisherigen Essgewohnheiten kritisch zu hinterfragen und versuchsweise zu ändern. Die fünfköpfige Familie Richter lebt in der Nähe von Wien; außer der erwachsenen Tochter, die sich vegan ernährt, sind alle in der Familie leidenschaftliche Fleischesser. Die Kovacs-Vajdas wohnen mit ihren beiden schulpflichtigen Jungs direkt in der österreichischen Hauptstadt. Essen muss bei ihnen vor allem günstig sein und schnell zubereitet sein. Mit Vorliebe greifen sie im Supermarkt zu Tiefkühlpizzas. Familie Allain lebt in Paris. Tagsüber kümmert sich jeder um sich selbst, aber abends treffen sich alle zum gemeinsamen Essen, die Eltern und alle fünf Kinder, auch die, die schon studieren. Die Mutter legt großen Wert darauf, dass die Nahrung möglichst ausgewogen ist.

Es bräuchte zwei Planeten

Doch wenn sich jeder und jede auf der Welt so ernähren würde wie ein durchschnittlicher Europäer, wie die Richters, die Kovacs-Vajdas und die Allains, dann, so stellen die Filmemacher gleich zu Beginn klar, bräuchte es zwei Erden, weil auf einer dafür nicht genug Platz wäre. Das ist ein griffiges Sprachbild, aber um es wirklich sichtbar zu machen, haben Langbein und Ernst gemeinsam mit Wissenschaftlern der Wiener Universität ein faszinierendes Projekt entwickelt.

Anhand des Nahrungsmittelkonsums in Österreich, Deutschland und Frankreich haben sie errechnet, dass die Agrarfläche, die benötigt wird, um den durchschnittlichen Pro-Kopf-Verbrauch zu decken, 4.400 Quadratmeter beträgt, etwa doppelt so viel wie das, was jedem Menschen bei einer gleichmäßigen Verteilung weltweit an Anbaufläche zur Verfügung stünde. Anschließend haben sie vor den Toren Wiens einen 4.400 Quadratmeter großen Acker angelegt, knapp so groß wie ein Fußballfeld, und diesen mit all den Getreidsorten, Früchten, Gräsern und Futtermitteln bepflanzt, die im Durchschnitt auf unseren Tellern landen; sei es direkt oder auf dem Umweg durch Schweine- und Kuhmägen. Das mitteleuropäische Essverhalten wird so für die beiden Wiener Familien buchstäblich begehbar.

Lebensmittel, Futtermittel

Für alle anderen macht es der Film immerhin sichtbar. Das Feld wird von zwei sich kreuzenden Wegen in vier Quadranten unterteilt. Der eine Weg trennt in- von ausländischer Produktion, der andere Nahrungs- von Futtermitteln. Zwei Drittel werden im Ausland angebaut; ebenfalls etwa zwei Drittel der gesamten Ackerfläche wird für die Produktion tierischer Lebensmittel benötigt. Das klingt vielleicht nicht sonderlich überraschend, doch dies unmittelbar zu sehen, kann durchaus beeindrucken. Der mit Abstand größte Quadrant muss für die Futtermittelproduktion im Ausland bereitgestellt werden. Auf die CO2-Bilanz schlägt sich das verheerend aus. Langbein und Ernst veranschaulichen das ihren drei Testfamilien und dem Filmpublikum in bunten Balkendiagrammen.

Über mehrere Monate hinweg begleiten sie die drei Familien bei ihren Versuchen, die Ernährung umzustellen und dadurch ihre Ökobilanz zu verbessern. Sie kaufen gemeinsam mit ihnen ein, gehen mit ihnen in die Kantine oder die Schulmensa und schauen ihnen über die Schulter, wenn sie in veganen Kochkursen ausprobieren, wie man Tofu-Carbonara zubereitet.

Zwischendurch zeigen die Filmemacher anhand kurzer Exkurse immer wieder auf, wie in der modernen Lebensmittelindustrie produziert wird. Man sieht die gewaltigen Palmöl-Plantagen in Indonesien, auf denen früher einmal Regenwald stand, die Sojamonokulturen in Lateinamerika, das „mar del plastico“ in Spanien, wo afrikanische Flüchtlinge für einen Hungerlohn Tomaten anpflanzen, zusammengepferchte Hühner und Schweine, Schleppnetze, die durch den Atlantik pflügen.

Eine Fülle alternativer Projekte

Aber auch kleine, alternative Projekte aus aller Welt werden vorgestellt. Landwirte, Händler, Köche, die versuchen, etwas anders zu machen, bewusster zu produzieren, zu verkaufen, zu kochen, sei es in Restaurants, Betriebsküchen oder Seniorenheimen. Die Filmemacher packen dabei derart viele Informationen in den Film, dass sie sich unmöglich alle aufzählen lassen. Erstaunlicherweise aber trägt der Film daran überhaupt nicht schwer. Im Gegenteil. Er ist so abwechslungsreich und so versiert montiert, dass das geballte Wissen mit fast beiläufiger Nonchalance präsentiert wird. Penetrant wirkt mitunter lediglich die folkloristische Filmmusik.

Doch so unterhaltsam der Film seine Informationsfülle auch verpackt: ein Kinoformat erreicht er dabei nie. Fotografisch, cineastisch, künstlerisch hat er nicht mehr zu bieten als grundsolides Fernsehhandwerk. Dennoch bleibt es erfreulich, wie entspannt, unaufgeregt und so ganz ohne moralischen Zeigefinger er seine durchaus ernste Botschaft vermittelt. Es macht Spaß, ihn sich anzuschauen.

Niemand wird hier an den Pranger gestellt, kein Lebensmittel verteufelt. Die Filmemacher verschweigen nicht, dass die großen Nahrungsmittel- und Chemiekonzerne eine oft rücksichtslose Politik und Raubbau an der Natur betreiben. Doch es gibt in „Anders essen“ keine „böse“ Landwirtschaft. Der Journalist und ehemalige Grünen-Politiker Benedikt Härlin formuliert es so: „Wir sind letztendlich diejenigen, die dieses Stück Land bewirtschaften durch die Art und Weise, wie wir einkaufen. Wir geben den Landwirten einen Auftrag.“

Das Ziel: Umdenken

Augenscheinlich geht es den Filmemachern nicht darum, zu missionieren und schon gar nicht zu verurteilen oder zu verbieten. Sie wollen lediglich die Sinne dafür schärfen, wie die Dinge nun einmal sind. Ihre drei Testfamilien haben sie dadurch – zumindest vorübergehend – zum Umdenken veranlasst. Ihr virtueller Acker ist kleiner geworden, ihr CO2-Verbrauch geschrumpft. Sie kaufen jetzt regionaler, kochen öfter mal fleischlos, und wenn zwischendurch dann doch mal wieder eine Fertigpizza auf den Tisch kommt – warum auch nicht?

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