Bloody nose, empty pockets

Dokumentarfilm | USA 2019 | 99 Minuten

Regie: Bill Ross

24 Stunden vor der endgültigen Schließung einer Bar in Las Vegas versammeln sich die Stammgäste, um das „Roaring 20s“ ein letztes Mal hochleben zu lassen. Der semidokumentarische Film sucht nach der Essenz dieses Ortes, der für viele Wohnzimmer- und Familienersatz in einem ist. Fast alle Protagonisten spielen sich dabei selbst und füllen den nur lose vorgegebenen Erzählrahmen mit Wortwitz und schlagfertigen Sprüchen. Ein wehmütiges Liebeslied auf alle Spelunken und Bars, das als authentisches Kammerspiel die Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit dieser Zufluchtsorte beschwört. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
BLOODY NOSE, EMPTY POCKETS
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
Concordia
Regie
Bill Ross · Turner Ross
Buch
Bill Ross · Turner Ross
Kamera
Bill Ross · Turner Ross
Musik
Casey Wayne McAllister
Schnitt
Bill Ross
Länge
99 Minuten
Kinostart
02.12.2021
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
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24 Stunden vor der endgültigen Schließung einer Bar in Las Vegas versammeln sich die Stammgäste, um das „Roaring 20s“ ein letztes Mal hochleben zu lassen.

Diskussion

Das „Roaring 20s“ ist eine durchschnittliche Bar irgendwo in Las Vegas. An seiner Theke lehnen vormittags noch die Schnapsleichen vom Vorabend, während schon die nächsten Gäste mit Donuts und Kaffee in der Hand eintrudeln. Der Laden ist fensterlos und kennt deshalb keine Tages- oder Nachtzeiten. Hier ist immer der richtige Moment für einen Drink oder zwei. Einen Plausch mit dem Besitzer oder einem der Stammgäste gibt es gratis mit dazu. Das echte Leben flimmert hier scheinbar nur auf dem Fernsehbildschirm vorbei: Verkehrsstaus, Nachrichten zur Präsidentschaftswahl, Talkshows.

Die Filmemacher Bill und Turner Ross schneiden immer wieder auf die im Sonnenlicht gleißenden Straßenzüge der Stadt. Zurück im Inneren der Kneipe müssen sie die Uhrzeit einblenden, um ein Zeitgefühl zu vermitteln. „Bloody Nose, Empty Pockets“ startet um elf Uhr vormittags. Ein weißhaariger Zausel namens Michael ist an der Bar eingeschlafen und wird vom Besitzer mit einem Konter-Schnaps geweckt: „Das beste am Aufwachen ist eine Tasse Bourbon“, witzelt er und hilft ihm auf. Danach schafft es Michael zumindest, sich auf der Toilette zu rasieren, vielleicht zur Feier des Tages, denn das „Roaring 20s“ steht kurz vor der Schließung; alle Stammgäste versammeln sich, um sich gebührend von der Kneipe zu verabschieden.

Lauter authentische Charakterköpfe

Irgendwo zwischen Dokumentar- und Spielfilm suchen die beiden Regisseure nach dem Kern dieses Zufluchtsortes, der für viele Wohnzimmer- und Familienersatz in einem ist. Die Bar gibt es wirklich, sie steht allerdings in Louisiana. Ihre Trinker sind ebenfalls reale Stammkunden, nur Lowell Landes sitzt als einziger professioneller Schauspieler mit an der Bar und sinniert in Latzhosen und ausgebeultem Jackett über seine vielen gescheiterten Ehen. Die Regisseure steckten eine grobe Handlung ab, der Rest ist improvisiert.

Dass der Rahmen vorgegeben ist, nimmt den hier versammelten Charakterköpfen keineswegs die Authentizität – ganz im Gegenteil. Denn dieser Abschiedsabend spitzt vieles zu, das an normalen Abenden ungesagt und vielleicht aus Scham oder Schmerz verdrängt bleibt. Hinter einem Feuerwerk an Wortwitzen und schlagfertigen Sprüchen verbergen sich allerdings nicht nur Lebensweisheiten, sondern meist auch Wehmut oder Trauer und manchmal auch Verbitterung und Wut – über Lebensentscheidungen und versäumte Chancen, aber auch mit Blick auf eine Gesellschaft, die sie hinausgedrängt hat und nun als Schmarotzer und Alkoholiker ausgrenzt.

Michael ist eines jedoch ganz wichtig: Er sei stolz darauf, mit dem Trinken erst dann angefangen zu haben, nachdem er sein Leben ruiniert hatte. Er hat wie viele hier eine Ersatzfamilie gefunden.

Der Ton ist rau, aber herzlich

Für sie alle geht es um vertane Chancen, neue Freundschaften und immer wieder auch um die Frage nach dem Sinn des Lebens. Das wird bisweilen absurd, etwa wenn das Festnetztelefon klingelt und ein Arbeitgeber nach Ira fragt. Der hängt jedoch total zerstört am Tresen und fragt: „Wo arbeite ich denn?“ Die übrige Belegschaft kichert, weil niemand sich wirklich vorstellen kann, dass er eine Stelle hat. Eine Stammkundin lüpft zu später Stunde ihr Oberteil, um zu rufen: „Ich bin 60, aber meine Titties sehen aus wie 30!“ „Ich habe Eier von Achtjährigen gesehen, die tiefer hingen“, entgegnet ihr Sitznachbar sichtlich amüsiert.

Der Ton ist mitunter rau und nicht immer jugendfrei, aber immer herzlich. Dass sie nicht nur überdreht und laut, sondern vor allem mütterlich ist, zeigt die Busenblitzerin ebenfalls zu später Stunde. Ein Veteran sitzt lange Zeit schweigend an der Stirnseite der Bar, sinister an seinem Whiskyglas schlürfend. Seit seiner Entlassung aus der Armee interessiere sich niemand mehr für ihn; wenn er hier an der Bar sitze, sei er wenigstens nicht allein und gehöre dazu. Die Tränen laufen ihm still über das Gesicht. Da umarmt sie ihn herzlich und findet persönliche Worte, die zeigen, dass die beiden einander mindestens so gut kennen wie Familienmitglieder.

Genau das ist eine der Stärken dieses Films: Er lässt allen Gästen die Schrullen, beschönigt nichts an ihren verkrachten Existenzen, belächelt sie aber auch nicht. Sie mögen mit den titelgebenden blutigen Nasen und leeren Taschen aus dieser Bar hinausstolpern und vielleicht auch an einem gesellschaftlich anerkannten Leben vorbei, aber sie haben allesamt ein Lächeln im Gesicht, weil sie hier einen Ort gefunden haben, an dem sie für die Dauer eines Abends dazugehören und so akzeptiert und geschätzt werden, wie sie sind.

Ein wehmütiges Liebeslied

„Bloody Nose, Empty Pockets“ ist ein wehmütiges Liebeslied an alle Spelunken, Kneipen und Bars, die oft mehr sind als ein Sammelbecken für Trunkenbolde und Gescheiterte. Ein Kammerspiel, das die Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit dieser Zufluchtsorte beschwört.

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