Die Geburt des Leoparden

Dokumentarfilm | Deutschland/Lettland 2019 | 94 Minuten

Regie: Luigi Falorni

Der italienische Schriftsteller Giuseppe Tomasi di Lampedusa (1896-1957), Abkömmling eines alten Adelsgeschlechts, hat die Veröffentlichung seines einzigen Romans „Il Gattopardo“ („Der Leopard“) nicht mehr erlebt. Der informative Dokumentarfilm zeichnet seine Lebensgeschichte und vor allem die Ehe mit der Psychoanalytikerin Alexandra von Wolff-Stomersee nach, die aus einem baltischen Adelsgeschlecht stammte. Eine Vielzahl an familiären Anekdoten, Dramen und Episoden erschwert mitunter den Blick für die Zusammenhänge. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland/Lettland
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
Kick Film/Mistrus Media
Regie
Luigi Falorni
Buch
Thomas Keutner · Bernhard Pfletschinger
Kamera
Roland Wagner
Schnitt
Wolfgang Grimmeisen
Länge
94 Minuten
Kinostart
05.03.2020
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm

Dokumentarfilm über den italienischen Schriftsteller Giuseppe Tomasi di Lampedusa (1989-1957), der die Veröffentlichung seines einzigen, weltberühmten Romans „Il Gattopardo“ nicht mehr erlebte.

Diskussion

„Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, dann ist es nötig, dass sich alles verändert“, erklärt der junge Offizier Tancredi dem alternden Fürsten Salina. Diese Lebensphilosophie durchzieht den berühmten Roman „Il Gattopardo“ („Der Leopard“), mit dem der Schriftsteller Guiseppe Tomasi di Lampedusa den Schwanengesang des feudalen Italiens anstimmte, jener Epoche, die mit der nationalistischen Revolution Garibaldis, dem „Risorgimento“, Mitte des 19. Jahrhunderts ihr Ende fand.

1958 wurde der Roman veröffentlicht und sogleich mit dem wichtigsten italienischen Buchpreis „Premio Strega“ ausgezeichnet; vier Jahre später folgte die Verfilmung durch Luchino Visconti, mit Burt Lancaster, Alain Delon und Claudia Cardenale in den Hauptrollen; in Cannes wurde „Der Leopard“ 1963 mit der Goldenen Palme ausgezeichnet. Der Romanautor erlebte diese Erfolge nicht mehr; Giuseppe Tomasi di Lampedusa starb am 23. Juli 1957 an Lungenkrebs.

Ein Roman machte ihn berühmt

Der Dokumentarfilm „Die Geburt des Leoparden“ beginnt mit Wochenschauaufnahmen dieses späten Ruhms, dem „Premio Strega“, und mit Claudia Cardenale, die mit einem Leoparden an der Leine an der Croisette posiert. Danach geht es in die sizilianische Heimat des Autors, zum Stammschloss der Familie. Dort lacht der Adoptivsohn Gioacchino Lanza Tomasi: „Einer, der sein ganzes Leben nichts zustande gebracht hat, schreibt einen Roman und wird weltberühmt.“

Regisseur Luigi Falorni ergänzt sein umfangreiches und vielfältiges Archivmaterial durch Farbaufnahmen pittoresker Gebäude und Landschaften in Lettland und Sizilien. Die Interviewpartner, neben Tomasi auch der schottische Schriftsteller und Lampedusa-Biograf David Gilmour, werden durch Schauspieler ergänzt, die Figuren aus allen Abschnitten des Lebens von Lampedusa und seiner Frau nachstellen.

Erzählt wird ein freudianisches Drama zwischen Belle Époque und Nachkriegszeit. Bei Lampedusas Geburt am 23. Dezember 1896 starb seine dreijährige Schwester an Diphtherie. Die Mutter habe sich an Lampedusa geklammert, sein Vater eine „kastrierende Ausstrahlung“ gehabt, unterstreichen Gilmour und Tomasi.

Lampedusa wurde in eine der ältesten und einflussreichsten Familien der sizilianischen Aristokratie hineingeboren, in eine mondäne Welt voller Feste und Kostümbälle, Jagdgesellschaften und ähnlicher Vergnügungen. Der Film zeichnet aber auch den schleichenden Niedergang der Dynastie nach, den Verkauf von Palästen bis hin zu bitterer Armut, die auf die Zerstörung des Stammsitzes der Familie in Palermo durch alliierte Bomben folgt.

Der Autor und seine Ehefrau

Neben skurrilen Familiengeschichten, etwa den Mord an Lampedusas Tante Trigona oder den Streit um das Erbe des Urgroßvaters, geht es auch um seine Liebe zur literarischen Avantgarde jener Jahre. Das zentrale Thema ist allerdings die Beziehung des Schriftstellers zu seiner Ehefrau, der Psychoanalytikerin Alexandra von Wolff-Stomersee, auch „Licy“ genannt. Die Deutschbaltin und der Sizilianer lernten sich 1925 in London kennen; durch die Heirat ihrer Mutter mit dem italienischen Botschafter in London wurde Licy zur Stieftochter von Lampedusas Onkel.

Licy hatte zunächst einen älteren lettischen Kaufmann geehelicht. Doch der homosexuelle Banker war für die Ehe nicht geschaffen, die Beziehung ging auseinander. Licy und Lampedusa fanden zueinander, heirateten und lebten eine Weile glücklich in ihrem Schloss in Lettland, bis Lampedusas Mutter darauf bestand, dass das frischverheiratete Paar zu ihr in den Palast der Familie nach Palermo ziehe. Fortan stand Lampedusa zwischen Mutter und Ehefrau, bis Licy wieder auf ihr Schloss Stomersee nach Lettland zurückkehrt; erst der Hitler-Stalin-Pakt zwang sie zu einer neuerlichen Wanderung.

Eine Vielzahl an Anekdoten und Episoden

Durch die Vielzahl an familiären Anekdoten, Dramen und Episoden erschwert „Die Geburt des Leoparden“ mitunter den Blick auf die Zusammenhänge. Falorni erzählt von familiären Zwängen, von Zerstörung und Verarmung, aber auch von zwei sehr unterschiedlichen Charakteren, einer höchst aktiven Psychoanalytikerin und dem eher zögerlichen Lebemann, der erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs einen beeindruckenden Roman über das Ende einer Epoche schreibt:  „...ironisch, bitter, nicht ohne Bosheit, alle kommen schlecht dabei weg. Der Protagonist bin ich selbst.“ Einen Verleger hatte er zu Lebzeiten nicht mehr gefunden; „Il Gattopardo“ erscheint posthum im Verlag Feltrinelli.

„Die Geburt des Leoparden“ ist ein lehrreicher und unterhaltsamer Film. Konventionell erzählt und in seiner Überfülle an narrativem Material bisweilen sehr überladen, entfaltet er ironisch und leidenschaftlich das Leben eines Liebhabers der europäischen Literatur, der fast unbemerkt ein Meisterwerk schrieb: einen Roman, den jeder kennt, dessen Autor aber den meisten unbekannt ist.

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