Die Liebe frisst das Leben

Dokumentarfilm | Deutschland 2019 | 96 Minuten

Regie: Oliver Schwabe

In den 1980er- und 1990er-Jahren erregte der deutsche Sänger und Musiker Tobias Gruben mit existenzialistischen Liedern Aufmerksamkeit, ohne allerdings den großen Erfolg zu erzielen; 1996 starb er an einer Überdosis Heroin. Der Dokumentarfilm forscht der Wirkzeit Grubens nach, holt dessen Kunst aber in die Gegenwart, indem er ihre vielfältigen Einflüsse auf andere Musiker aufzeigt. Zugleich enthüllt er einen belastenden, aber auch kreativ genutzten Familienkonflikt zwischen einem sensiblen Sohn und seinem autoritären Vater. Ohne die Eigentümlichkeit von Tobias Gruben zu verleugnen, lädt der Film nachdrücklich zur Erinnerung an dessen Potenzial ein. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
Field Recordings/Interzone Pic.
Regie
Oliver Schwabe
Buch
Oliver Schwabe
Kamera
Nikolas Jürgens · Benjamin Wistorf · Henning Drechsler
Musik
Tobias Gruben
Schnitt
Christian Becker
Länge
96 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm

Dokumentarfilm in Erinnerung an den eigenwilligen Musiker Tobias Gruben (1963-1996) und seine dunklen, existenzialistisch angehauchten Lieder.

Diskussion

1997 erschien beim Hamburger Plattenlabel „What’s so funny about“ von Alfred Hilsberg die Doppel-CD „Tobias Gruben: Die Erde“. Es war eine postum veröffentlichte kleine Werkschau des Sängers Tobias Gruben, der in den 1980er- und 1990er-Jahren mit Bands wie „Cyan Revue“, „Die Erde“, „Sol“, „Heroina“ und „Erde II“ mal mehr, mal weniger reüssierte. Gruben, ein begnadeter Performer mit Ähnlichkeiten zu Nick Cave, sang in jenen Jahren auf Deutsch oder Englisch zu meist dunklen, lauten Klängen.

Das erschien immer etwas rat- und orientierungslos in der langen Zeit zwischen dem Ausverkauf der Neuen Deutschen Welle und der Einschulung in die Hamburger Schule, deutbar als schlecht gealterter Sound der späten 1980er-Jahre, ein humorlos-ironiefreier Rock-Existentialismus, dem Leben nur mit Mühe und Pathos abgerungen, angesiedelt irgendwo zwischen den „Einstürzenden Neubauten“ und der Gruft. In seinem vielleicht besten Song „Heroin“ lässt Gruben die Droge selbst sehr selbstbewusst zum Junkie sprechen: „Ist da noch Platz an deinem Arm, sonst gehe ich auch gerne in dein Bein rein.“ Gruben starb Anfang November 1996 ebenfalls an einer Überdosis Heroin.

Einfluss bis in die Gegenwart

Im Booklet der CD würdigte seinerzeit der ehemalige Gitarrist Tobias Levin das Schaffen seines Kollegen, indem er dessen einzelgängerisches und eigensinniges Selbstverständnis in den Jahren des dominanten Hamburger Diskurs-Pop à la „Blumfeld“ oder „Die Sterne“ profilierte. Hier setzt die filmische Recherche von Oliver Schwabe an. Sein Film „Die Liebe frisst das Leben“ vermeidet aber eine bloß nostalgische Perspektive und holt Grubens Kunst nachdrücklich in die Gegenwart. Der Film zeigt einerseits, dass Grubens Kunst für nachgeborene Musiker und Bands wie „Messer“, „Isolation Berlin“, Timm Völker, „Tellavision“, Paul Pötsch oder auch Tom Schilling eine wie auch immer geartete Inspiration darstellt. Zugleich aber lädt Schwabe Wegbegleiter und Kollegen von Gruben vor die Kamera, darunter auch dessen Schwester und (aus dem Off sprechend) Bruder.

Auf diese Weise enthüllt die Rekonstruktion auch eine ziemlich katastrophale Familiengeschichte. Gustav Peter Wöhler und Robert Stadlober lesen verstörende Passagen aus dem familiären Briefwechsel. Tobias Gruben, Sohn eines Bauforschers und Archäologen, wurde 1963 in Athen als jüngstes von vier Kindern geboren. Nach einer glücklichen Kindheit in Griechenland änderte sich das Familienklima nach der Rückkehr entscheidend, als der Vater in München eine Professur antrat. Er entwickelte sich zum Tyrannen, dessen bildungsbürgerlichen Ansprüchen die Kinder nie genügen konnten, obschon Tobias Gruben als außerordentlich belesen und literarisch begabt galt.

Ringen um die Anerkennung des Vaters

Insbesondere der „hedonistische Lebensstil“ des Sohnes Tobias, der in München mit Christoph Schlingensief in der Band „Die vier Kaiserlein“ spielte und später um der Musik willen nach Hamburg zog, war dem nach eigener Aussage „Pflichtmenschen“ zu leicht und spielerisch, zu unverbindlich. Hört man dann die alles andere als unverbindliche Musik von „Die Erde“ mit den grüblerischen Texten Grubens, dann scheint hier mehr als ein Missverständnis vorgelegen zu haben. Als der Vater in einem Akt „Schwarzer Pädagogik“ nicht nur den Geldhahn zudrehte, sondern sogar das Sozialamt in sein Erziehungskonzept einzubinden versuchte, hätte es eigentlich zum Bruch kommen müssen. Stattdessen aber rang der Sohn zwar mit harten Bandagen, aber durchaus auch selbstquälerisch um die Anerkennung durch den autoritären Vater. Auch, indem er aus dem Konflikt Kunst machte.

Als Tobias Gruben sich nach Jahren der relativen Erfolglosigkeit und der Neuorientierung als Musiker ohne Band schließlich in Richtung mehr Anerkennung und öffentlichem Erfolg zu bewegen schien, sprach das Heroin ein Machtwort. So blieb es bei „weltberühmt in Hamburg“; der von der Popkritik einst prophezeite Kultstatus ist auch postum ausgeblieben. Stattdessen wird immer mal wieder an das eigentümliche Potenzial des Musikers und Texters Tobias Gruben erinnert. Einst mit einer Doppel-CD, jetzt mit dem Film „Die Liebe frisst das Leben.“

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