Drama | USA 2020 | 91 Minuten

Regie: Alan Yang

Ein Mann, der einst Taiwan und seine Liebste für ein Leben in den USA hinter sich ließ, blickt zurück auf ein Leben, das zwar in materieller Hinsicht seinen „American Dream“ erfüllt, ihn aber die wichtigsten zwischenmenschlichen Beziehungen gekostet hat. Ein sich über mehrere Jahrzehnte erstreckendes, melancholisches Einwanderer-Drama über einen emotional entwurzelten Mann, der von früher Kindheit an gelernt hat, Gefühle zu unterdrücken und der Ratio zu opfern. Dabei gelingen der Sprung zwischen den verschiedenen Zeitebenen und die Raffung der Geschichte zwar nicht immer elegant, Inszenierung und Darsteller sorgen aber für intensive Szenen, die die Figuren und ihre Entwicklungen einfühlsam konturieren. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
TIGERTAIL
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2020
Produktionsfirma
MACRO/Netflix
Regie
Alan Yang
Buch
Alan Yang
Kamera
Nigel Bluck
Musik
Michael Brook
Schnitt
Daniel Haworth
Darsteller
Tzi Ma (Pin-Jui (als alter Mann)) · Lee Hong-Chi (Pin-Jui (als junger Mann)) · Yang Zhi-Hao (Pin-Jui (als Kind)) · Fang Yo-Hsing (Yuan (als junge Frau)) · Fiona Fu (Zhenzhen (als alte Frau))
Länge
91 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama
Externe Links
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Ein Mann in Amerika erinnert sich an seine Jugend in Taiwan. Fehlentscheidungen und Enttäuschungen lässt er seine Tochter spüren. Alan Yang inszeniert ein bedächtiges Drama über falsche Hoffnungen und eine notwendige Versöhnung mit der Vergangenheit.

Diskussion

Pin-Jui (Lee Hong-Chi) und seine Freundin Yuan (Fang Yo-Hsing) schaukeln sich zu einer taiwanesischen Schlagermelodie im Arm. „Wo hast du so gut Tanzen gelernt?“, fragt sie ihn. „Aus amerikanischen Filmen“, antwortet er. Amerika – das ist ein fernes, faszinierendes Traumland für Pin-Jui. Ohne Vater und Mutter ist er während der Einparteienherrschaft der chinesischen Kuomintang in den 1950er-, 1960er-Jahren bei seinen Großeltern auf dem Land in Taiwan aufgewachsen: Ein kleiner, einsamer Junge, der durch Reisfelder rannte und unter der Trennung von seiner Mutter litt, die in der Stadt nach Arbeit suchte. „Weinen löst nie Probleme. Sei stark!“, impft ihm seine Großmutter ein. Ein Motto, das ihm zum Verhängnis wird.

Last Dance in Taiwan

Als Pin-Jui später seine Mutter trifft, mit ihr zusammenzieht und als junger Mann mit ihr in einer Fabrik arbeitet, verliebt er sich in Yuan. Zusammen verbringt das Pärchen Nächte beim Tanzen oder Essen, ohne die Rechnung zahlen zu können. Eng schmiegen sich die Körper im nächtlichen Neonlicht in Bars, im Regen, irgendwann zuhause aneinander. „Nimmst du mich mit nach Amerika?“ – „Klar, mit wem sollte ich sonst dort tanzen? Mit Faye Dunaway?“

Schließlich aber ist es ein anderes Mädchen, das mit Pin-Jui in die USA emigriert – die Tochter des Fabrikbesitzers, eine arrangierte Ehe, die Pin-Jui seinen Auswanderungs-Traum finanziell ermöglicht. Jahre später als amerikanischer Staatsbürger, als geschiedener Ehemann und Vater blickt Pin-Jui (Tzi Ma) mit Bedauern auf seine Entscheidung zurück.

Harte Eltern, undankbare Kinder

Das von Alan Yang geschriebene und inszenierte Drama entfaltet seine emotionale Kraft erst nach und nach, wenn Rückblende um Rückblende zeigen, wie die Träume des Protagonisten in New York dahinschwinden und er in der Gegenwart jeden Tag mit seinen Enttäuschungen zu kämpfen hat – zwar hat es offensichtlich durch zähe, harte Arbeit tatsächlich irgendwann mit dem „American Dream“ des sozialen Aufstiegs geklappt, doch der menschliche Preis dafür ist so hoch, das er kein Glück mit sich bringt. Abweisend, wortkarg und kühl wirkt Pin-Jui, aber auch verletzlich, wenn er Tee und Essen ganz alleine zubereitet und zu sich nimmt. Seiner erwachsenen Tochter Angela (Christine Ko) empfiehlt er in Sachen Partnerwahl, eher auf die finanzielle Zukunft als auf eine verständnisvolle Beziehung zu achten. Da zieht sie gerade mit ihrem Freund zusammen. Den Vater hasst sie für solche Ratschläge.

„Tigertail“ kreist, ähnlich wie der gefeierte Culture-Clash-Film „The Farewell“ von Lulu Wang, auch um einen Konflikt zwischen der ersten und zweiten asiatischen Einwanderergeneration: Die Eltern opfern viel, um sich und ihren Kindern eine bessere Zukunft zu sichern, doch diese wachsen mit anderen Werten, anderen Prioritäten auf – unverständlich, verständnis- und sprachlos stehen sie sich zwischen Tradition und Assimilierung gegenüber.

Die Einsamkeit des Fremdseins

Viel Zeit verwendet der Film darauf, wie Pin-Jui und seine Frau, zu der er nie wirklich eine Verbindung findet, im zugemüllten New York der 1970er-Jahre ankommen und mit der Einsamkeit des Fremdseins konfrontiert sind. Er arbeitet den ganzen Tag in einem Lebensmittelgeschäft, sie langweilt sich zuhause und kann mit niemanden reden. Erst nach Monaten des Schweigens unterhält sie sich mit einer anderen Taiwanesin im Waschsalon. Ihre eigenen Ambitionen, zu studieren und Lehrerin zu werden, lehnt Pin-Jui strikt ab. Schließlich trennt sich das unfreiwillige Ehepaar auf Initiative der Frau, aber erst Jahrzehnte später, nachdem die Kinder ausgezogen sind. Ratschläge in Liebesdingen kann der Vater Angela also nicht geben, als ihr Freund sie verlässt – ist es doch vor allem seine Prägung, Emotionen zu unterdrücken, an der die kleine Familie zerbrochen ist und an der Angela auch als Erwachsene noch schwer trägt.

So wandelt sich die Einwanderergeschichte zu einem Vater-Tochter-Drama, in dem Angela ihren Vater und seine Vergangenheit näher kennenlernen und der Vater wiederum seine emotionalen Verhärtungen überwinden muss. Zusammen reisen sie schließlich nach Taiwan. Eine traurige Melodie, manchmal von einer Geige, manchmal vom Klavier interpretiert, begleitet das Publikum und die Figuren durch den Film. Am Ende bleibt nur das Rauschen der Blätter. Es erinnert an die Reisefelder zu Beginn, durch die ein Junge tobte, der seinen Platz in der Welt erst spät findet.

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