Animation | Frankreich/Spanien/Belgien 2020 | 80 Minuten

Regie: Aurel

Der katalanische Maler und Zeichenkünstler Josep Bartolí (1910-1995) kämpfte im Spanischen Bürgerkrieg gegen die Faschisten und war mehrere Jahre in französischen Internierungslagern eingesperrt, bevor er nach Mexiko floh. Das animierte Filmporträt nutzt die visuelle Kraft des Zeichentricks, um mit aufs Wesentliche reduzierten Bildern die Härten des Lagerlebens, aber auch die Momente von Zusammenhalt und Solidarität wiederzugeben. Durch eine fiktive Erzählerfigur wird elegant die Unvollständigkeit der Erinnerung eingeflochten, zudem hebt die Anbindung an die Gegenwart Parallelen im Umgang mit Flüchtlingen und der Tatenlosigkeit gegenüber aufkeimendem Faschismus hervor. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
JOSEP
Produktionsland
Frankreich/Spanien/Belgien
Produktionsjahr
2020
Produktionsfirma
Les Films d'Ici Méditerranée/Imagic Telecom/Les Films du Poisson Rouge/Lunanime/Promenons-Nous Dans Les Bois/Tchack/Les Fées Spéciales/In Efecto/Upside Films
Regie
Aurel
Buch
Jean-Louis Milesi
Musik
Sílvia Pérez Cruz
Schnitt
Thomas Belair
Länge
80 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Animation | Biopic
Externe Links
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Zeichentrickfilm über das bewegte Leben des spanischen Zeichners Josep Bartolí (1910-1995), der auf Flucht vor Franco von den Franzosen interniert und schikaniert wurde und schlie8lich nach Mexiko emigrierte.

Diskussion

Googelt man den Namen Josep Bartolí, stößt man – neben Social-Media-Profilen und Kunstauktionsseiten – lediglich auf zwei kurze Wikipedia-Einträge in Französisch und Spanisch sowie einen längeren auf Katalanisch. Von Englisch oder gar Deutsch fehlt hingegen jede Spur.

In jenen Teilen des Internets, die zur germanischen Sprachfamilie gehören, taucht der 1910 in Barcelona geborene Künstler kaum auf. Was angesichts seines bewegten Lebens überrascht. Denn Bartolí kämpfte im spanischen Bürgerkrieg, lebte in mehreren französischen Internierungslagern, sollte nach Dachau deportiert werden, floh nach Mexiko und arbeitete dort künstlerisch mit Frida Kahlo zusammen. Der erste Langspielfilm von Aurélien Forment, besser bekannt als „Le Monde“-Cartoonist Aurel, könnte diese Biografie nun auch außerhalb Spaniens und Frankreichs bekannter machen.

Kein typisches Biopic

Der Film heißt schlicht „Josep“, und er entfernt sich so weit wie möglich von konventionellen Biopics. Kein zweistündiger Querschnitt entlang des kompletten Lebensweges, kein Schauspieler von Weltruhm oder mit „Oscar“-Ambitionen, der den Porträtierten mimt, kein Vortäuschen von Authentizität und Realismus. Stattdessen ist „Josep“ darum bemüht, das künstlerische Wirken von Bartolí auch formal-ästhetisch einzufangen – und setzt deshalb auf handgezeichnete Bilder.

Mit denen steigt der Film im Jahre 1939 ein, an der Nordgrenze Spaniens. Josep Bartolí, der zuvor gegen die Faschisten Francos kämpfte, ist mit zwei Kameraden auf dem Weg nach Frankreich. Dort landen sie, wie eine halbe Million weitere Flüchtende, in einem von mehreren Internierungslagern, die in den deutschen Untertiteln unglücklich mit „Konzentrationslager“ übersetzt werden.

Die dortige Menschenverachtung sorgt für prekäre Lebensumstände: Hunger, mangelnde medizinische Versorgung, schlechte Hygiene, ständige Drangsalierung und Herabwürdigung durch das Wachpersonal.

Schnitt in die Gegenwart: Im Paris der Jetztzeit besucht der jugendliche Valentin seinen im Sterben liegenden Großvater Serge, der ihm von den weiteren Vorkommnissen in den Lagern erzählt. Er selbst war damals als französischer Gendarm vor Ort, ein Neuling, der von den dienstälteren Wachen gegängelt und bedroht wurde, wenn er den Insassen nicht mit größter Verachtung begegnete. Doch Serge kann seine Natur nicht verleugnen, und als er dem ambitionierten Künstler Josep einen Zeichenblock und einen Stift zusteckt, schließen beide trotz der Sprachbarriere eine innige Freundschaft, die Jahre überdauert und Ländergrenzen überwindet.

Wider das Vergessen

Die fiktive Figur des Serge dient von da an als erzählerische Instanz, als Off-Sprecher und -Kommentator, andererseits aber auch als Metapher für beziehungsweise wider das Vergessen der damaligen Schreckenstaten durch die französische Seite. Die Gräuel innerhalb der Internierungslager werden mal explizit gezeigt – Folter, Misshandlung, teilweise bis zum Tode –, mal nur angedeutet, etwa die Vergewaltigung einer Frau durch zwei Gendarmen mitten zwischen den Baracken. Doch der soziale Zusammenhalt der Flüchtenden bricht nicht; sie eint der Widerstand gegen Franco und gegen den Faschismus. Als bei einer Essenslieferung zu wenige Brote verteilt werden mit der Absicht, dass sich die Internierten aus Hunger gegenseitig an die Kehle gehen, werden tatsächlich Messer gezückt, aber nur, um die Laibe zu teilen.

Es sind solche Momente von großer symbolischer Wirkung, die in den rund 70 Minuten Laufzeit immer wieder hervorstechen und dabei vom optischen Stil profitieren, der keinen Realismus anstrebt, sondern auf die essenziellen Formen und Elemente reduziert ist und dadurch dem Inhalt mehr Bedeutung beimisst als seiner visuellen Repräsentation.

Man sieht „Josep“ an, dass er aus der Feder eines (europäischen) Cartoonisten stammt: flatter- und bleistifthafte Linienführung, diffuse Schatten, aufs Wesentliche reduzierte Gesichtszüge, wie man sie etwa aus den „Tim und Struppi“-Filmen kennt. Keine voll animierten Bewegungen, stattdessen immer wieder Standbilder, denen die flackernden Formen und Linien zwar Leben einhauchen, die aber dennoch abstrakt, distanzierend, verfremdend bleiben.

Frida Kahlo schwimmt in Frankreich

Damit zollt „Josep“ einerseits dem Stil von Bartolí Respekt, spiegelt andererseits aber auch die Erzählsituation wider. Serges Erinnerungen sind – seinem Alter geschuldet – unvollständig und lückenhaft, teils auch widersprüchlich. So taucht Frida Kahlo in diesem Film nicht erst in Mexiko, sondern – entgegen jeder historischen Korrektheit – bereits in Frankreich auf; sie steigt aus den Wellen und bittet um Feuer für ihre Zigarette.

Geschichte durch den Filter des menschlichen Gedächtnisses erzählt, birgt nun mal Potential für Fehler, zugleich aber auch die Chance einer nachträglichen Einordnung, Bewertung und Bedeutungszuschreibung im Angesicht zeitgenössischer Phänomene. Egal ob es sich dabei, wie bei Serge, um verbal oder, wie bei Josep Bartolí und Aurel, um visuell vermittelte Geschichten aus der Geschichte handelt.

„Josep“ macht sich diese Tatsache zunutze, um über einen reinen Historienfilm hinauszuwachsen und etwa die Parallelen zwischen der damaligen französischen und der aktuellen gesamteuropäischen Flüchtlingspolitik aufzuzeigen. Ebenso wie die Tatenlosigkeit der Bevölkerung angesichts des aufkeimenden Faschismus – damals wie heute.

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