Euch zu lieben ist mein Leben

Drama | Frankreich 2017 | 93 Minuten

Regie: Claire Burger

Ein Mann aus einer ostfranzösischen Kleinstadt muss sein Leben neu ausrichten, als seine Frau die Familie verlässt, um sich selbst zu finden. Seine beiden jugendlichen Töchter machen ihm dabei mit ihren Ansprüchen und ihrem Freiheitsdrang ebenso zu schaffen wie zunehmend verzweifelte Versuche, wieder Kontakt zu seiner Frau herzustellen. Ein einfühlsames, detailgenaues Drama über einen Vater, der sich bemüht, inmitten einer Krise das Richtige zu tun, und über die schwierige emotionale Befindlichkeit seiner Töchter. Mit außerordentlicher Sensibilität erforscht der Film den Schmerz und kurze Glücksmomente der Figuren, die sich insbesondere im subtilen Mienenspiel der Darsteller abzeichnen. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
C'EST ÇA L'AMOUR
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2017
Produktionsfirma
Dharamsala/Arte France Cinéma/Mars Films/Scope Pic.
Regie
Claire Burger
Buch
Claire Burger
Kamera
Julien Poupard
Schnitt
Claire Burger · Laurent Sénéchal
Darsteller
Bouli Lanners (Mario) · Justine Lacroix (Frida) · Sarah Henochsberg (Niki) · Cécile Rémy-Boutang (Armelle) · Antonia Buresi (Antonia)
Länge
93 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama | Familienfilm
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IMDb | TMDB

Familiendrama um einen Mann aus einer ostfranzösischen Kleinstadt, der mit seiner Rolle als Vater zweier Teen-Töchter kämpft, nachdem seine Frau ihn verlassen hat.

Diskussion

Die Wege sind kurz in Forbach. Trotzdem scheinen in der kleinen französischen Stadt nahe der Grenze zum Saarland die Menschen freiwillig auf Distanz zu bleiben und den Abstand lieber zu vergrößern als zu verringern. Wenn im Theater von Forbach deshalb ein Bühnenstück mit Einwohnern der Stadt erarbeitet wird, lässt sich das als Angebot verstehen, aus der Anonymität herauszutreten und sich untereinander kennenzulernen. Auch der Verwaltungsbeamte Mario nennt den Wunsch nach mehr Kontakten als Grund dafür, dass er sich für das Projekt angemeldet hat, in Wahrheit aber geht es ihm nur um die Nähe zu einem einzigen Menschen: Seine Frau Armelle, die in dem Theater als Beleuchterin arbeitet. Armelle hat vor kurzem beschlossen, dass sie endlich einmal an ihre eigenen Wünsche denken will, und Mario sowie die beiden gemeinsamen Töchter Niki und Frida verlassen; seitdem sieht die Familie sie nur noch gelegentlich und durch Zufall, Marios Nachrichten auf ihrer Mailbox bleiben unbeantwortet. Zusehends aus der Fassung gebracht, taucht der Mann auch tagsüber immer wieder beim Theater auf und schleicht sich abends in die Vorstellungen; Armelle aber bleibt in der Ferne und unerreichbar, für Familienprobleme hat sie bei ihrem Projekt „Selbstfindung“ keinen Raum frei gelassen.

Ein Vater im Kampf gegen familiäre Fliehkräfte

Dabei besteht auf diesem Gebiet einiges an Handlungsbedarf, wie Claire Burgers Film „Euch zu lieben ist mein Leben“ zeigt. „Ich wurde nicht dafür ausgebildet, Krisen zu managen“, schleudert Mario einmal in einem hitzigen Gespräch seiner Vorgesetzten bei der Stadtverwaltung entgegen, nachdem sich dort einige Besucher in die Haare geraten sind – ein Ausbruch, in dem sich vor allem auch der zunehmende Frust mit der Situation bei sich zu Hause artikuliert. Seit Armelle ausgezogen ist, hält Mario es in ihrem vormals gemeinsamen Schlafzimmer nicht mehr aus und legt sich nachts bei laufendem Fernseher auf das Sofa; tagsüber versucht er, ein aufmerksamer Vater für zwei Töchter zu sein, die längst in der Abnabelungsphase sind: Die ältere Niki ist fast volljährig und ohnehin nur selten zu Hause, die pubertierende Frida hingegen empfindet bereits Marios Nähe als störend, umso mehr als sie Dinge ausprobiert, bei denen Ärger mit dem Vater vorprogrammiert ist – vom heimlichen Rauchen und Drogennehmen bis zu Küssen mit einer Klassenkameradin, in die sie sich verliebt hat. Marios Bemühen, aufgeschlossen und verständnisvoll zu sein, ohne seine Autorität zu verlieren, stößt immer wieder an Grenzen. Kein Wunder, dass er bei den Proben des Theaterstücks nicht auf den einen Satz kommt, mit dem er als Teilnehmer sein Leben auf den Punkt bringen soll.

Die französische Regisseurin Claire Burger erzählt in ihrem zweiten Spielfilm von Menschen, die ihren Platz in der Welt suchen und teilweise dabei einander ins Gehege kommen. Vor allem Marios Unsicherheit, wie er sich als guter Vater erweisen soll, und seine oft unbeholfenen Versuche, das Band zu seinen Töchtern zu erhalten, zeichnet sie mit viel Sympathie und Aufmerksamkeit, was das anrührend-verletzliche Spiel des belgischen Darstellers Bouli Lanners trefflich unterstützt.

Ein starkes Ensemble aus Charakterdarstellern und Laien

Lanners ist der einzige bekannte Name im Ensemble des Films, den Burger ansonsten mit Laien aus Forbach besetzt hat, wo sie selbst aufgewachsen ist und all ihre kurzen und langen Filme ansiedelt. Ihre fast dokumentarische Herangehensweise, die mitunter an die Filme der Dardenne-Brüder erinnert, rückt auch die triste Stadt – wie viele in der Region vom Niedergang der Stahl- und Kohleindustrie hart getroffen – ausführlich ins Licht. Doch gehört die Hauptaufmerksamkeit der Regisseurin den Figuren, die sie oft in Großaufnahmen erfasst. Damit unterstreicht sie nicht nur die reale wie auch gefühlte Enge ihrer Lebenswelten, sie fängt auch das subtile Mienenspiel der Darsteller ein, wobei neben Bouli Lanners auch Sarah Henochsberg und Justine Lacroix in den Rollen von Niki und Frida herausragen. Neben den Situationen von Streit und Schmerz fängt die Kamera von Julien Poupard dabei auch immer wieder Momente des Glücks ein, denn die Familie zerfällt keinesfalls unumstößlich, auch wenn Marios Hoffnung auf die Rückkehr seiner Frau eine Illusion bleiben wird.

Über allem schwebt die Notwendigkeit der Neuorientierung als entscheidender Impuls, wobei Claire Burger die Krisen ihrer Figuren mit Detailgenauigkeit und Präzision erfasst. Das Gefühl, fehl am Platz zu sein, stößt dabei auf die Furcht, sich nicht entfalten zu können, und auf mitunter rabiate Methoden, wenn unterschiedliche Ansprüche aufeinanderprallen. Trotz allem ist „Euch zu lieben ist mein Leben“ aber von einem sanften Ton und einem klaren Optimismus bestimmt, der sich insbesondere in der unbeirrten Suche der Figuren nach Liebe und Geborgenheit äußert. So, wie die Regisseurin dies zu zeigen versteht, ohne sentimentale oder seichte Mittel einzusetzen, ist das feinster sozialer Realismus, der Fortschritte ausdrücklich für möglich hält.

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