Kash Kash - Ohne Federn können wir nicht leben

Dokumentarfilm | Deutschland/Katar 2022 | 90 (TV: 60) Minuten

Regie: Lea Najjar

In der libanesischen Hauptstadt Beirut findet täglich ein Spiel statt, bei dem die Mitwirkenden ihre Tauben über der Stadt kreisen lassen und versuchen, die Vögel von anderen einzufangen. Von den Dächern der Stadt, auf die sich die jungen Männer zurückziehen, blickt der Dokumentarfilm auf die Konflikte im Libanon, dessen Protestkultur und zahlreiche Einzelschicksale. Dabei spitzt sich der recht fahrig in die Breite inszenierte Film weder zum Porträt einer Subkultur noch zu einem politischen Porträt des Landes zusammen. Allzu viel steht nebeneinander, allzu wenig verdichtet sich zu thematischen Schwerpunkten. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
KASH KASH - WITHOUT FEATHERS WE CAN'T LIVE
Produktionsland
Deutschland/Katar
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
FFL Film-und Fernseh-Labor Ludwigsburg/SWR
Regie
Lea Najjar
Buch
Lea Najjar · Alia Haju
Kamera
Jonas Schneider
Musik
Farah Khaddour · Samah Boulmona
Schnitt
Tobias Wilhelmer
Länge
90 (TV: 60) Minuten
Kinostart
07.12.2023
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Doku über junge Libanesen, die auf den Dächern ihrer Häuser als „Kashashien“ die am Himmel fliegenden Tauben in ihren Schlag zu locken versuchen.

Diskussion

Orangen fliegen über die Dächer von Beirut. Junge Männer schleudern sie in den Himmel hinaus und lassen die Schleuder danach knallen wie ein Dompteur seine Peitsche. Sie jagen ihre Tauben in den Himmel über der Stadt. „Kash Hamam“ lautet der Name des Spiels, das besonders im Libanon, aber auch anderen Teilen der Levante verbreitet ist. Das Prinzip ist einfach: die Taubenzüchter versuchen die Vögel der anderen in den eigenen Taubenschlag zu locken.

Dazu werden die eigenen Vögel losgeschickt und mit dem Knallen der Schleuder und den ihnen um die Ohren fliegenden Orangen weiter über die Stadt hinausgetrieben, wo sie sich mit anderen Taubenschwärmen vermischen und, so zumindest erhofft es sich jeder der Kashashien genannten Spieler, die eine oder andere Taube mit dem eigenen Schwarm wieder nach Hause zu bringen. Man überfällt sich gegenseitig, hofft, dass die eigenen Tauben ausdauernder und vor allem treuer sind als die des Kontrahenten. Nebenbei saugt man an der Schischa, tauscht per Smartphone Frotzeleien mit den anderen aus und fängt mit etwas Glück die eine oder andere Taube.

„Kash Hamam“ gilt als Glückspiel

Es ist ein einsames Hobby. Die Kashashien bilden eine eingeschworene, von der Gesellschaft eher argwöhnisch betrachtete Gemeinschaft. Zwar werden die Tauben im Koran als Helfer des Propheten porträtiert und gelten auch in der arabischen Welt als Friedensvögel – der Film zeigt gleich mehrere der mitunter so unbeholfenen wie aufrichtigen Friedensgesten, an denen die Kashashien sich versuchen –, doch die Zucht sorgt für Dreck und Kash Hamam selbst gilt als Glücksspiel. So steht dem „Himmel voller Geschichten“, der romantisierten Version des Sports, die die Männer auf den Dächern Beiruts vortragen, immer auch die Tristesse entgegen: Beirut bietet mehr Beton als Himmel, und das Leben der jungen Männer des Libanon hat kaum Zukunftsperspektiven.

All dem widmet sich Regisseurin Lea Najjar mehr oder weniger. Ihr Dokumentarfilm „Kash Kash“ beginnt als Porträt der Männer, die am Spiel teilnehmen, sich als Barbiere, Fischer und eher schlecht bezahlte Jobber durchschlagen, um am Ende des Tages „aufs Dach“ gehen zu können. Wirklich nahe kommt der Film ihnen dabei nicht. Selbst das in den PR-Texten des Films überbetonte Narrativ um ein junges Mädchen, das eine Begeisterung für die männlich dominierte Taubenzucht entwickelt, wird vom Film so schnell wieder beendet, wie es aufkam: Der Vater macht ihr klar, dass Kash Haman ein Hobby für Männer ist und dass sie besser ihre Zeit in der Schule verbringen soll.

Beirut vor der Explosion im Sommer 2020

Das ist symptomatisch für „Kash Kash“, der vieles mitnimmt, aber nichts wirklich konsequent verfolgt. Die bevorstehende Hochzeit des einen, die Zukunftssorgen des anderen und das gemeinsame Lamento über die Verfehlungen der Regierung von Hassan Diab oder die seit Jahren immer weiter aufreißenden politischen Brüche im Land – alles wird gesammelt und ausgebreitet. Vertieft, in Konflikt gesetzt, gebündelt oder zugespitzt wird jedoch nichts. In der Summe ist„Kash Kash“ ein fahriges Porträt von Beirut, bei dem alles Platz findet, was während der Dreharbeiten gesammelt wurde.

Dass diese Zeitspanne für den Film eine enorme Bedeutung besitzt, deutet sich nicht nur in den beiläufig aus dem Radio plätschernden Protestmeldungen an, deren Duktus in zahlreichen Gesprächen widerhallt und mit Aufnahmen von Protestmärschen und Demonstrationen gegen die Korruption konkret wird. Denn obschon „Kash Kash“ nie wirklich daran interessiert scheint, ein politisches Porträt des Libanon zu zeichnen, bezeugt der Film die auf die Explosionskatastrophe von 2020 folgende Umwälzung, die das Kabinett Diab zum Rücktritt zwang und für die Einwohner der Hauptstadt über Generationen hinweg ein Trauma bleiben wird. Ein Wunde, die nicht nur hunderttausende Wohnungen zerstörte, sondern auch den Schutzraum der Kashashien hinwegfegte. Hunderte ihrer Tauben haben die Explosion nicht überlebt. Wie es weitergeht, weiß keiner von ihnen.

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