Der letzte Faust

Drama | Großbritannien 2019 | 98 Minuten

Regie: Philipp Humm

Eine filmische Adaption des klassischen „Faust“-Stoffs aus Goethes zweiteiligem Theaterstück als Teil eines auch aus Fotografien, Gemälden, Skulpturen sowie einer illustrierten Novelle bestehenden multimedialen Projekts. Der Film blickt aus einer apokalyptischen Zukunft auf das sich als Bühneninszenierung entfaltende Drama und lässt Dr. Faust als CEO einer KI-Technologiefirma alle Sünden der Gegenwart begehen und büßen. Das kühne Konzept krankt an mangelnder Integration der beiden Erzählebenen und am etwas hölzernen Spiel der Darsteller. Die Regietheater-Anteile sowie der ästhetische Synkretismus der Inszenierung sind sehr stark Geschmackssache. - Ab 14.

Filmdaten

Originaltitel
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
2019
Regie
Philipp Humm · Dominik Wieschermann
Buch
Ellen Elkin
Kamera
Dominik Wieschermann
Musik
Florian Siegmund
Schnitt
Dominik Wieschermann
Darsteller
Martin Hancock (Dr. Faust) · Glyn Dilley (Mephisto) · Steven Berkoff (Dr. Goodfellow) · Yvonne Mai (Gretchen) · Edwin de la Reina (Paris / Homunculus)
Länge
98 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama | Literaturverfilmung

Filmische Adaption der klassischen Goethe-Dramen über eine modernisierte Variante des Professor Faust, der als CEO bei einem sinistren KI-Technologieunternehmen alle Sünden der Gegenwart begeht und büßt.

Diskussion

Wer gilt wohl als der weltweit bedeutendste deutsche Dramatiker aller Zeiten? Vielen wird Goethe in den Sinn kommen, mit „Faust“ als dem deutschen Nationaldrama schlechthin (wenn man denn in solchen Kategorien noch denken möchte). Anderen vielleicht auch Richard Wagner, der später das Musiktheater revolutionierte und modernen Künstlergenerationen das Konzept des „Gesamtkunstwerks“ vererbte. So verwundert es nicht, dass in Philipp Humms (nicht ausschließlich) filmischer Adaption des Stoffes „Der letzte Faust“ Wagners Musik („Tannhäuser“, „Tristan und Isolde“, in der Bearbeitung von Florian Siegmund) hintergründig eine das gezeigte Geschehen diskret deutende Rolle spielt.

Groß denken und entwerfen, das war wohl Humms Mantra bei dieser Produktion, deren geistiger Urheber und Finanzier er gleichermaßen ist, und so zeigt sich dieses Projekt ebenfalls als ein Gesamtkunstwerk, denn rund um den Film lanciert Humm – der nach einer Karriere im internationalen Management nun freier Künstler ist – Gemälde, Fotografien, Skulpturen sowie eine illustrierte Novelle mit thematischem Bezug aus eigener Hand.

Der Menschheit die Weltherrschaft abringen

„Der letzte Faust“ ist bei Humm, der in England und mit englischsprachigen Darstellern drehte, kein reines Bühnendrama. Vielmehr sind die sehr texttreu und durchaus von geschulten Theaterstimmen dargebotenen Goethe-Passagen auf der abgefilmten Bühne wiederholt eingebettet in eine allerdings recht dünne Rahmenhandlung „offstage“, in der dargelegt wird, was das Neue an diesem „Faust“ ist – und warum es sich wohl um den „letzten“ handeln dürfte.

Im Jahre 2059 ist Dr. Goodfellow (Steven Berkoff) der Nachfolger von Dr. Faust (Martin Hancock) als CEO bei dem sinistren KI-Technologieunternehmen „Winestone Inc.“ (!), das mithilfe eines neuronalen Netzwerks und bionischer Zwischenwesen daran ist, den Menschen die Weltherrschaft abzuringen. Bei ihm ist der „Übermensch“ und Android Paris, die Version 2.0 von Dr. Fausts Kreatur Homunculus (Edwin De La Renta in einer Doppelrolle), der Dr. Goodfellows Erinnerungen und moralischen Bewertungen von Fausts Geschichte aufzeichnet und sichert. Am Ende des Films hört man Rotorengeräusch und viele herannahende Schritte – das Ende der Menschheit, wie wir sie kennen, steht unmittelbar bevor.

KI, Corporate Evil & MeToo

Im Wesentlichen beruht Humms Adaption auf nur einem durchgeführten Kompositionsprinzip: der Suche nach der möglichst modernsten oder gar zukünftigen Entsprechung von Goethes Konstellationen und Konflikten. Das gerät mal hinlänglich überzeugend, mal allzu spekulativ. Dass Dr. Faust heutzutage nach Daten mint und dadurch glaubt, „zu wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält“, mag noch angehen, aber sehr schnell wird aus dem Wissenschaftler (im Original durchaus einer mit Skrupeln) der Wirtschaftsführer im schwarzen Rollkragenpullover à la Steve Jobs und alsbald der Wüstling. Denn die Gretchentragödie ist ganz im Geiste von „MeToo“ aufgefasst, und Dr. Faust und sein Partner in Crime Mephisto (Glyn Dilley) agieren darin als verschworene alternde weiße Männer, dieser hin und wieder mit einem komplizenhaften Augenzwinkern zum Publikum die vierte Wand des filmischen Bühnensettings lustvoll perforierend.

Ersichtlich ist es der Inszenierung zentral um den „neuen Lebenslauf“ zu tun, der Faust von Mephisto verheißen wird, und die Möglichkeiten, die sich dem stets Rastlosen daraus ergeben. Schnell wird Gretchens (Yvonne Mai) Kerker verlassen, und die beiden verhelfen „dem Kaiser“ durch inflationäre Währungstricks zu Gewinn auf dem Schlachtfeld – und im Staatssäckel. Dass die Männer in dieser Episode in stilisierten Nazi-Uniformen aufmarschieren, ist wenig innovativ – und durch die Experimente, die Faust parallel zu Menschen- und Übermenschenzucht (Homunculus) anstellt, auch nicht hinlänglich motiviert.

Imitatio dei, die ernsthafte oder gleichnishafte Nacheiferung Gottes, wird allenthalben offenbar, angefangen schon bei Mephisto, der in gleichberechtigtem Schachspiel mit Gott vorgestellt wird, über den Kaiser bis hin zu Faust, den auch bei seinem letzten Projekt, der Landgewinnung und -kultivierung im großen Stil, diese Leitidee beseelt. Hier misst der Film klug den motivischen Raum etwa des Meeres aus – Wiege allen Lebens und ungezähmt zerstörerische Kraft zugleich –, unterliegt jedoch auch final einem zwanghaften Modernisierungs- und Deutungsfuror, wenn im Zusammenhang von Fausts letztem Auftritt („auf freiem Grund mit freiem Volke stehen“) Karl Marx’ Totenmaske quasi als segnender Christus auf die Szene herabschaut.

Goethe-Bilderbogen

Deutlich kritischer als die inhaltlichen Anpassungen an ein modernes „Faust“-Konzept sind die Bühnenästhetik sowie die Integration der beiden Handlungsebenen zu beurteilen. Durch die extrem häufigen Perspektivwechsel geraten die genuinen Goethe-Passagen viel zu kurz und beinahe zu einem bloßen Bilderbogen oder Daumenkino, während die Story um Dr. Goodfellow nicht hinreichend ausgearbeitet ist, um die zahlreichen Schwenks dramaturgisch zu rechtfertigen. Die Aufnahme von Elementen des modernen Regie- und Tanztheaters (insbesondere in den „dämonischen“ Szenen mit Hexe und Teufel) ist reine Geschmackssache und entzieht sich also objektiver Beurteilung. Wenn jedoch Faust und Mephisto in Fantasieuniformen und an Schnüren gezogen zum Brocken schweben, ist man entweder vorzeitig im Karneval oder die Ausstattung und ästhetische Anmutung des „Fliegenden Klassenzimmers“ feiern fröhliche Auferstehung! Hier wird’s peinlich oder unfreiwillig komisch.

Die Tatsache, dass der Film von 2019 mit solcher Verzögerung und ausschließlich im Heimkino in Deutschland erscheint, mag viele Gründe haben; das ambitionierte, ästhetisch und als Gesamtkunstwerk jedoch als gescheitert zu betrachtende Projekt von Philipp Humm und seiner Crew findet hier und heute allerdings auch nicht die besten Aufnahmebedingungen vor – zu verwöhnt ist insbesondere junges Publikum von CGI und Superheldengenre, um noch dem Lebenslauf des ollen Dr. Faust zu folgen, und zu entwöhnt sind wohl viele von den Sehgewohnheiten des traditionellen Guckkastentheaters, auf die man sich hier wieder freiwillig einlassen müsste. Vielleicht überlebt Humms Homunculus im Deutschunterricht – wo er allerdings den Vergleich mit einem wirklichen Meilenstein gefilmten Theaters (Gründgens!) sehr zu fürchten hätte!

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