Drama | USA 2023 | 409 (8 Folgen) Minuten

Regie: Scott Z. Burns

In naher Zukunft angesiedelte Science-Fiction-Miniserie über die verheerenden Auswirkungen des Klimawandels aufs tägliche Leben: In acht lose miteinander verbundenen Episoden, angesiedelt zwischen den Jahren 2037 und 2070, wird anhand verschiedener Szenarien und Protagonist:innen erkundet, welche Herausforderungen sich angesichts der drastischen ökologischen und sozialen Veränderungen stellen, wobei es nicht nur um existenzielle, sondern vor allem auch um moralisch-philosophische Fragen geht. Dabei wird das dystopische Szenario nicht im Stil eines Katastrophenspektakels ausgemalt, sondern meist in eher kammerspielartiger Form verdichtet; ihren Reiz zieht die Serie nach einem schwachen, ausufernden Anfang aus der Kombination pointierter Drehbücher mit charismatischen Darstellern, die die jeweiligen Dilemmata spannungsvoll ausfechten. - Ab 14.

Filmdaten

Originaltitel
EXTRAPOLATIONS
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2023
Regie
Scott Z. Burns
Buch
Scott Z. Burns · Dorothy Fortenberry · Sarah Nolen · Rajiv Joseph · Bess Wohl
Kamera
Zack Galler · Eigil Bryld
Schnitt
Greg O'Bryant · Tim Streeto · Steph Zenee Perez · Hye Mee Na
Darsteller
Yara Shahidi (Carmen Jalilo) · Kit Harington (Nick Bilton) · Daveed Diggs (Marshall Zucker) · Matthew Rhys (Junior) · Heather Graham (Hannah)
Länge
409 (8 Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama | Science-Fiction

In naher Zukunft angesiedelte dystopische SciFi-Miniserie über die verheerenden Auswirkungen des Klimawandels aufs tägliche Leben.

Diskussion

Die Fantasie braucht Serienschöpfer Scott Z. Burns für seinen Zukunftsentwurf nicht groß zu bemühen. Die acht Folgen von „Extrapolations“, angesiedelt zwischen den Jahr 2037 und 2070, halten sich in dem, was sie über die Welt von morgen erzählen, an die Prognosen der Klimaforscher:innen. Die Folgen der menschengemachten Erderwärmung nehmen darin Ausmaße an, die stetig in Richtung Unbewohnbarkeit des Planeten wachsen. Da sind die Dürren, die die Wasser- und Nahrungsmittelversorgung unterbrechen und verheerende Waldbrände nach sich ziehen, was die CO2-Konzentration in der Atmosphäre weiter steigert. Der ansteigende Meeresspiegel, der küstennahe Landstriche verschluckt. Stürme und Sturmfluten. Das Artenstreben. Gesundheitliche Probleme, die Hitze und Smog bei den Menschen auslösen. Und die Massenmigration jener, die in Gegenden flüchten, wo ein Überleben noch möglich ist.

Die Miniserie reißt all das an, wenn auch meist nur verbal und nicht in der Spektakelhaftigkeit eines Katastrophenfilms. Und verhebt sich beim Auftakt damit zunächst gründlich. Allzu kurzatmig wird eine Fülle von Charakteren eingeführt, an deren Schicksalen verschiedene Facetten des Klimawandels erläutert werden sollen, von der engagierten Artenschützerin (Sienna Miller), die hochschwanger aus einem Brandgebiet flieht, bis zum „Corporate Evil“ in Gestalt von Kit Harrington als pseudomessianischer Digitalkonzernchef, der im Katastrophenszenario vor allem Gewinnchancen sieht. Es entsteht der Eindruck, dass sich Scott Z. Burns allzu sehr auf die Wucht der Hochrechnungen verlässt und nicht viel mehr zustande bringt als die holprige Dramatisierung einer Greta-Thunberg-Rede.

Steckt Gott hinter der Klimakrise?

Dass es sich trotzdem lohnt, der Serie etwas mehr Zeit zu lassen, ahnt man am Ende von Folge 1, wenn der etwas betulich-zeigefingerartige Ton vom schwarzhumorigen Kurzauftritt eines kämpferischen Walrosses konterkariert wird. Richtig interessant wird es ab Folge 3, wenn der Erzählatem ruhiger wird, die Figurenzeichnung und die Konfliktlinien an Schwarzweißhaftigkeit verlieren und es zunehmend mehr um die ethisch-moralischen oder philosophischen Dilemmata geht, die mit den veränderten Lebensbedingungen einhergehen.

Ab Folge 2 folgt die Serie einer Anthologie-Dramaturgie. Nach den vielen Handlungssträngen in Folge 1 fokussieren die Episoden, die nach den Jahren, in denen sie spielen, also etwa „2046“, „2059“ oder „2068“, benannt sind, auf wenige Figuren, deren Schicksale lose mit dem Gesamtkonstrukt der Serie verbunden sind. Die Schauplätze sind international, bis auf eine in Indien spielende Folge allerdings auf westliche Protagonisten konzentriert. So kämpft Daveed Diggs als Rabbi einer jüdischen Gemeinde in Miami in Folge 3 um den Erhalt seiner von der Flut bedrohten Synagoge. Dabei gerät er in eine moralische Zwickmühle, als ihm ein Gemeindemitglied mit fragwürdigen Bestechungsmethoden unter die Arme greifen will, während er zugleich mit einer aufsässigen Bat-Mitzwa-Kandidatin ringt, die nach der Rolle Gottes beim Klimawandel fragt. Lässt Gott ihn zu, und wenn ja, warum? Oder hat er ihn gar selbst als Strafgericht wie über Sodom und Gomorra verhängt?

Geo-Engineering & Posthumanismus

Edward Norton spielt in Folge 4 einen US-Wissenschaftler, dessen erwachsener Sohn und seine Ex-Frau (Indira Varma), eine erfolgreiche Geo-Ingenieurin, mit einem terroristischen Akt die Durchsetzung einer umstrittenen Klimarettungsmaßnahme erzwingen wollen. Die Frau glaubt, nach dem Vorbild von Vulkanausbrüchen, die einst die Kleine Eiszeit auslösten, durch künstlich in die Atmosphäre gebrachte reflektierende Partikel eine Abkühlung des Weltklimas erreichen zu können. Was sie und ihr Helfer für die einzige Chance halten, um das Schlimmste zu verhindern, erscheint ihrem Ex-Mann nur als eine weitere Manifestation menschlicher Hybris im Umgang mit der Natur.

In der vielleicht amüsantesten Episode 7 geraten sich Forest Whitaker und Marion Cotillard als Ehepaar in San Francisco während einer Silvester-Dinnerparty vor den Augen eines anderen Paares à la "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" in die Haare, weil der Mann angesichts des maroden Zustands des Planeten die Chance wahrnehmen möchte, sein Bewusstsein digitalisieren zu lassen. Im virtuellen Nirwana will er die Chance abwarten, zu einem späteren Zeitpunkt in einen synthetischen Körper zurückzukehren – ohne seine Frau, der diese Option nicht offensteht. Eine Tragikomödie ums Überleben oder Sterben der Liebe in einer Zeit, in der mit den materiellen Lebensgrundlagen auch die der Gefühlswelten knapp werden.

Inszeniert ist diese Folge – wie auch die meisten anderen – eher kammerspielartig; ihr Reiz entsteht aus der Kombination pointierter Drehbücher mit charismatischen Darsteller:innen, die die jeweiligen moralischen Dilemmata spannungsvoll ausfechten. Dass der Großteil der Figuren aus den westlichen Industrienationen und der Upper Class kommt oder zumindest in Verhältnissen lebt, bei denen die Brutalität der klimabedingten Veränderungen noch nicht voll durchgeschlagen hat – niemand ist auf der Flucht, niemand am Verhungern –, nimmt der Serie manches von ihrer Dringlichkeit. Es hätte „Extrapolations“ nicht geschadet, die privilegierte Perspektive durch andere Blickwinkel zu ergänzen.

Dies bleibt der spannenden Episode 5 überlassen, in der sich ein junger Lasterfahrer aus Mumbai auf einen gefährlichen Auftrag einlässt und sich die kammerspielartige Dramaturgie zum Road-Movie-Thriller mit Buddy-Vibes weitet. Im Auftrag einer dubiosen „Madame“ soll der Fahrer und sein Kollege eine geheimnisvolle Fracht nach Amritsar bringen, die sich als wertvolles Saatgut entpuppt, hinter dem auch andere her sind. Die Reise führt dabei durch ein Land, das bei Tage so gut wie ausgestorben daliegt, weil die Hitze im Freien tödlich ist, und wird zum verzweifelten Überlebenskampf um Hoffnung in einer Welt, in der eigentlich nur noch Resignation und Zynismus bleiben.

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