Dokumentarisches Porträt | USA 2023 | 98 Minuten

Regie: Davina Pardo

Die 1938 geborene US-amerikanische Kinder- und Jugendbuchautorin Judy Blume hat schon Generationen von Lesern begeistert und berührt. In einem facettenreichen dokumentarischen Porträt verknüpfen sich Erinnerungen und Selbstauskünfte der Protagonistin, Ausschnitte aus TV-Talkshows und Aussagen von Angehörigen und Weggefährten mit Familienfotos, Auszügen aus Briefwechseln und farbenfrohen Animationssequenzen zu einem Mosaik, das streckenweise zu kleinteilig gerät. Anschaulich werden aber der große Einfluss der freizügigen literarischen Darstellungen etwa zur Pubertät und Sexualität herausgearbeitet, wie auch die Anfeindungen, die Blume aus konservativen Kreisen deswegen widerfuhr. - Ab 12.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
JUDY BLUME FOREVER
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Imagine Documentaries
Regie
Davina Pardo · Leah Wolchok
Buch
Davina Pardo · Leah Wolchok
Kamera
Jenni Morello · Emily Topper
Musik
Lauren Culjak
Schnitt
Tal Ben-David
Länge
98 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12
Pädagogische Empfehlung
- Ab 12.
Genre
Dokumentarisches Porträt | Künstlerporträt
Externe Links
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Facettenreiches dokumentarisches Porträt der US-Kinder- und Jugendbuchautorin Judy Blume, die mit ihren offenherzigen Romanen seit Jahrzehnten eine treue Leserschaft fasziniert, aber auch auf viele Widerstände und Anfeindungen stößt.

Diskussion

Generationen junger Leserinnen und Leser sind mit Büchern der US-Kinder- und Jugendbuchautorin Judy Blume groß geworden, die 1938 in Elizabeth im Bundesstaat New Jersey geboren wurde. Viele von ihnen waren fasziniert von der Offenherzigkeit und Ehrlichkeit, mit der Blume die Probleme von Kindern und Jugendlichen darstellte. Doch gerade der Mut und die Freizügigkeit, mit der die Autorin über Sexualität und Pubertät schrieb, brachten ihr in konservativen Kreisen auch viele Widerstände und Anfeindungen ein. Mit späteren Romanen positionierte sich Blume auch als Vorkämpferin der Emanzipation und Frauenbewegung. Das Magazin „Time“ führte sie in diesem Jahr in der Liste der 100 einflussreichsten Persönlichkeiten der Welt auf.

Nun widmen die jungen US-Filmemacherinnen Davina Pardo und Leah Wolchok Blume ein Doku-Porträt, in dem die heute 85-jährige Schriftstellerin auf Leben und Werk zurückblickt. Das Regieduo kombiniert diese Erinnerungssequenzen mit älteren Ausschnitten aus Talkshow-Auftritten Blumes, Aussagen von Familienmitgliedern und Jugendfreundinnen sowie Familienfotos. Dazu kommen Statements von Kolleginnen und Kollegen, treuen Leserinnen und Lesern, Verlegern und anderen Weggefährten, Auszüge aus Briefwechseln und verspielte, farbenfrohe Animationssequenzen, so dass ein ebenso abwechslungs- wie wortreiches dokumentarisches Mosaik entsteht.

Abenteuer suchen und Risiken eingehen

Blume hat seit ihrem Debüt „The One in the Middle is the Green Kangaroo“ (1969) 25 Kinder- und Jugendromane sowie mehrere Erwachsenenbücher veröffentlicht, die in 32 Sprachen übersetzt und von denen rund 82 Millionen Exemplare verkauft wurden. Im Lauf ihrer Karriere erhielt sie mehr als 90 Literaturpreise, darunter drei Auszeichnungen für ihr Lebenswerk in den USA. Der Durchbruch gelang ihre 1970 mit dem Buch „Are You There God? It’s Me, Margaret“. Blume zählt zu den ersten Jugendbuchautoren, die in ihren Romanen tabuisierte und kontroverse Themen wie Masturbation, Menstruation, Sex zwischen Minderjährigen, Geburtskontrolle und Tod behandelten.

Der Film schildert Blumes Lebensweg weitgehend chronologisch. Aufschlussreich ist vor allem die Schilderung der Einflüsse der jüdischen Eltern auf die junge Judy. Während das Verhältnis zur lesefreudigen, aber verschlossenen Mutter offenbar von einem dauerhaften Schweigen über persönliche Dinge geprägt war, erzählt Blume, dass sie ihren fürsorglichen Vater „abgöttisch“ geliebt habe und er sie zu einem selbstbestimmten Leben motiviert habe. „Er versuchte, mich zu einem abenteuerlichen Leben zu ermutigen, Abenteuer zu suchen und Risiken einzugehen.“ Da jedoch viele Verwandte der väterlichen Familienlinie schon vor dem 60. Geburtstag starben und auch ihr Vater nur 54 Jahre alt wurde, setzte sich die Autorin selbst unter Druck, in schneller Taktfolge möglichst viele Bücher zu schreiben, ehe es zu spät wäre.

Blume spricht offen auch über eigene Fehlentscheidungen

Breiten Raum nimmt die schrittweise Selbstbefreiung Blumes aus einem eher langweiligen Dasein als Hausfrau und Mutter zweier Kinder ein, in dem sie sich mit ihren Büchern erst gewisse kreative Freiräume schuf, ehe sie sich mit 37 Jahren 1975 von ihrem ersten Ehemann trennte. Besonders sympathisch ist, wie offenherzig die Schriftstellerin im Film über eigene Fehlentscheidungen spricht. Etwa als sie sich kurz nach der Scheidung in die nächste Ehe mit einem Wissenschaftler stürzte und ihre Kinder zu ihm nach London mitnahm. Im Rückblick spricht sie von einem „Riesenfehler“ und bekennt: „Es gehörte zu meinem Erwachsenwerden.“

Zu den emotional stärksten Passagen des Films gehören jene, in denen erwachsene Frauen, die als Kinder erstmals Briefe an Blume schickten, berichten, wie daraus intensive Brieffreundschaften entstanden und wie die Autorin ihre Lebensläufe nachhaltig beeinflusst hat. Karen Chilstrom, die mit zwölf Jahren erstmals Kontakt aufnahm, nachdem sie von ihrem Bruder jahrelang vergewaltigt worden war und sich mit Suizid-Gedanken trug, bekennt, dass Blumes aufrichtige Anteilnahme ihr das Leben gerettet habe.

Blumes Engagement ist immer noch aktuell

Vor allem in der zweiten Hälfte wirkt das filmische Kaleidoskop mit der raschen Abfolge von Talking Heads streckenweise kleinteilig bis kurzatmig, zumal die Statements von Zeitzeugen zu kurz sind, um inhaltlich in die Tiefe gehen zu können. Merkwürdig mutet an, dass das so sonst erhellende Biopic die Adaptionen der Blume-Bücher für Fernsehen und Kino praktisch ausblendet.

Wie aktuell das jahrzehntelange Engagement der Autorin für Aufklärung, Frauenrechte und Selbstbestimmung noch immer ist, wird im Finale sichtbar, wenn wir Blume in Key West in Florida sehen, wo sie sich mit ihrem dritten Ehemann niedergelassen hat. Dort hat sie vor fünf Jahren einen Buchladen übernommen, in dem der auffällige Aufkleber „Ich verkaufe verbotene Bücher“ nicht zu übersehen ist. Zudem schlägt der Film einen Bogen zu Zensurmaßnahmen in republikanisch regierten Bundesstaaten wie Texas, wo Bücher aus der LGBTQUIA+-Bewegung an der Spitze der Liste verbotener Bücher stehen.

„Ein Buch zu verbieten, ändert nichts.“

Für Blume, die sich bis heute in der amerikanischen Anti-Zensur-Bewegung engagiert, wirken die aktuellen Kampagnen reaktionärer Pressure Groups in den USA gegen liberale, progressive Autorinnen und Autoren wie ein böses Déjà-vu: Als Ronald Reagan 1980 die Präsidentschaft antrat, schwenkte das geistige Klima sofort um und die sogenannte Moral Majority begann mit Zensurmaßnahmen gegen emanzipatorische Literatur. Blume hielt das schon damals für „beängstigend“ und „deprimierend“, betont aber: „Ein Buch zu verbieten, ändert nichts.“

Am Ende des Films unterstreicht die agile Autorin, die vor einigen Jahren das Bücherschreiben eingestellt hat, aber immer noch viele neue Leserinnen und Leser gewinnt: „Ich fühle mich nicht alt.“ Insofern erübrigt sich eigentlich die Frage, ob ihre Romane heute zeitgemäß und lesenswert sind. Der US-Schriftsteller Jason Reynolds, der im Film als „verbotener Autor“ vorgestellt wird, bringt das auf den Punkt: „Sie wollte nie zeitgemäß schreiben. Ihre Bücher waren so zeitgemäß, dass sie zeitlos wurden.“

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