Mein Vater, der Fürst

Dokumentarfilm | Österreich 2021 | 80 Minuten

Regie: Lukas Sturm

Der 1937 geborene tschechische Politiker und Unternehmer Karel Schwarzenberg entstammt einer alten Adelsfamilie, engagierte sich gegen den Kommunismus in seiner Heimat und seit dem Fall des Eisernen Vorhangs für die europäische Idee. Das Verhältnis zu seiner Tochter Lila war jedoch zeitlebens schwierig, wie die Filmemacherin in einem Doku-Porträt enthüllt. Aus gemeinsamen Gesprächen, die sich über fünf Jahre erstrecken, entwickelt sich ein atmosphärisch starker Dialog vor dem Hintergrund einer hochinteressanten Familiengeschichte. Diese rückt in dem ungewöhnlich vielschichtigen Film zusehends in den Vordergrund, worin sich spiegelt, wie sich die Tochter eine neue Stellung im Leben des Vaters erkämpft. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
MEIN VATER, DER FÜRST
Produktionsland
Österreich
Produktionsjahr
2021
Produktionsfirma
Sabotage Films/Neuland Film
Regie
Lukas Sturm · Lila Schwarzenberg
Buch
Lila Schwarzenberg · Lukas Sturm
Kamera
Christoph Beck · Duli Diemannsberger · Mike Fried · Stefan Haselgruber · Nino Leitner
Musik
Walter Werzowa
Schnitt
Thomas Vondrak · Monika Willi · Michael Ingram
Länge
80 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Vielschichtiger Dokumentarfilm über den tschechischen Politiker Karel Schwarzenberg, der im Dialog mit seiner Tochter ihr schwieriges Verhältnis aufarbeitet.

Diskussion

Zu Beginn steht, typisch für eine klassische Biografie, der Blick auf den Protagonisten: Karl von Schwarzenberg 2014 bei einem Vortrag über die russische Annexion der Krim. Ein alter Herr, der mit leicht österreichischem Akzent und teils brüchiger Stimme, aber doch energisch über die möglichen – und inzwischen tatsächlich eingetretenen – Folgen der Besetzung spricht. Eine Filmklappe wird geschlagen, das nächste Bild zeigt ein leergeräumtes Schloss, wo die Ecke eines Ballsaals für Dreharbeiten hergerichtet wurde: abgehängte schwarze Molton-Tücher, ein paar Scheinwerfer, zwei Stühle ... eine schmale, dunkelhaarige Frau mittleren Alters tritt ein, Lila Schwarzenberg. Sie spricht kurz über das problematische Verhältnis zu ihrem Vater. Dann folgt der Vorspann, und in lockerer chronologischer Folge beginnt die Reise durch das Leben eines Politikers, Revolutionärs, Adligen und Weltbürgers.

Alte Fotos zeigen einen nachdenklichen Jungen, der mit großen dunklen Augen auf die Welt schaut. Dabei ähneln sich die Kinderfotos von Vater und Tochter in verblüffender Weise. Der kleine Karl war sehr schüchtern, er wuchs in Böhmen auf, in einem der zahlreichen Schlösser der Adelsfamilie Schwarzenberg. Er liebte die Natur und war sehr wissbegierig – eine Leseratte. Obwohl die Familie klar Position gegen die Nazis und gegen die Annexion des tschechoslowakischen Staatsgebietes bezogen hatte, musste sie nach Kriegsende flüchten und verlor alle Besitztümer in der Heimat. Karl machte seine Matura – das österreichische Äquivalent zum Abitur – in Wien. Am liebsten wäre er Journalist geworden, doch stattdessen wurde er durch Adoption seines Onkels zum Erben der Familie Schwarzenberg und damit zum reichen Mann und zum Oberhaupt des weltweit vernetzten europäischen Adelsgeschlechts. Er unterstützte die „Samtene Revolution“ in der CSSR und stand aktiv Václav Havel bei, der ihn später zum Außenminister machte.

Immer mehr geht es um Schwarzenberg als Vater

Doch je weiter der Film voranschreitet, desto weniger geht es um seine Vergangenheit und um seine Verdienste im internationalen Kontext, sondern immer mehr um Karl Schwarzenbergs Rolle als Vater. Parallel zu seinem Leben entwickelt das Regieduo Lila Schwarzenberg und Lukas Sturm anhand von Gesprächen und unterstützt von Fotos und Archivmaterial sowie von einem leicht dahingezupften, manchmal beinahe übermütig wirkenden Soundtrack in schöner Beiläufigkeit eine zweite spannende Geschichte, in der das Verhältnis zwischen Vater und Tochter im Mittelpunkt steht.

Sie sind sich ähnlicher, als sie es beide vielleicht wahrhaben möchten, nicht nur äußerlich: der 1937 geborene Karl, eigentlich Karel Schwarzenberg, Chef des gleichnamigen Adelsgeschlechts mit riesigen Vermögenswerten in mehreren Ländern, und seine Tochter Anna Carolina, genannt Lila, Jahrgang 1968, die im Luxus aufwuchs und einfach nur weg wollte von allem: vom Schloss mit den vielen Angestellten und den endlosen, gruseligen Gängen voller Trophäen, Porträts und Gewehre. Sie wünschte sich ein normales Familienleben, so wie ihre Freundinnen und Freunde eines hatten. Mit gemeinsamen Mahlzeiten, Reisen und Unternehmungen. Doch ihr Vater war selten präsent. Wenn sie an ihn denkt, sagt sie, dann sieht sie ihn im Auto wegfahren oder ankommen ... „aber nie da sein“, ergänzt er. Oft weiß er, was sie sagen möchte, und nimmt es vorweg, vielleicht auch aus Ungeduld. Sie ist etwas vorsichtiger, insgesamt ein wenig bemühter, aber sie hat dasselbe Gespür für seine Reaktionen wie er für ihre.

Wenig, das sie miteinander teilen können

Wenn Vater und Tochter miteinander sprechen, dann beiderseits mit Respekt und Rücksicht, wobei schon zu Beginn spürbar wird, dass sie wenig haben, das sie miteinander teilen können oder wollen. Es gibt kaum gemeinsame Erinnerungen an Lilas Kinderzeit. Die beiden lachen nicht miteinander, vielleicht haben sie es noch nie getan. Doch Lila beklagt sich nicht, sie stellt nur fest, dass es wenig Nähe zwischen ihnen gibt. Dann ähnelt sie in ihrer ruhigen und selbstbewussten Besonnenheit dem Vater besonders stark. Er ist ein Verstandesmensch, der sich wenig von Emotionen lenken lässt oder lassen möchte. Bis heute hat er, der sich selbst als scheue Person sieht, Probleme damit, seine Gefühle zu zeigen – und Lila geht es ähnlich, wobei sie mit ihrem herben Charme und dem eindeutigen wienerischen Tonfall ebenso authentisch wirkt wie ihr Vater, der mit der Gelassenheit des Alters über die Vergangenheit spricht.

Parallel zu den Erzählungen des Vaters über seine Jugend und seinen Werdegang spricht die Tochter über ihn und ihre Beziehung zueinander. Ohne dass Schwarzenbergs Leistungen geschmälert werden, rückt ihre eigene Biografie immer mehr in den Vordergrund: das kleine Mädchen, das gern Fußball spielte und lieber ein Junge sein wollte, die Rebellion gegen die Familie, die spätere Drogensucht und die unerwartete Hilfe durch den Vater, der sie in die Entzugsklinik fuhr, ohne jeden Vorwurf, obwohl er allen Anlass dazu gehabt hätte: Um ihre Sucht zu finanzieren, hatte sie unter anderem Familienerbstücke entwendet und verkauft. Als Kind hatte sie große Angst vor ihm, weil er so streng war. Bis heute, sagt sie, sei es für sie anstrengend, mit ihm zusammen zu sein, auch wenn die Angst verschwunden ist. Es gibt keine Selbstverständlichkeit für sie im Umgang mit ihm, keine Vertrautheit. Von außen würden sie beide sehr umeinander bemüht wirken, wirft der Kollege Lukas Sturm ein.

Vom schlichten Biopic zum facettenreichen Dialog

Die Dreharbeiten selbst werden ebenfalls gelegentlich thematisiert, was dem Film über das eingebaute „Making of“ eine gewisse dramaturgische Leichtigkeit gibt. Während Karl Schwarzenberg als Politiker viel Erfolg hat, wachsen die innerfamiliären Schwierigkeiten: die Konflikte um Lilas jüngeren Bruder, der nicht Karls leiblicher Sohn ist, die Ehekrise zwischen Lilas Eltern und die folgende Scheidung, der furchtbare Skiunfall der Mutter und ihre langsame Rückkehr ins aktive Leben, die Wiederheirat der Eltern. Immer interessanter und komplizierter wird die Familiengeschichte und umso spannender wird dieser Film in seiner Entwicklung vom schlichten Biopic zum facettenreichen Dialog zwischen Vater und Tochter. Sparsame Inserts begleiten den Film, in dem Lila Schwarzenberg selbst – ganz im Gegensatz zu der ihr aufgezwungenen Rolle als „unwichtiges Familienmitglied“ – den Ton angibt, und offensichtlich gefällt es ihr, dass der Vater sie in ihrer Arbeit ernst nimmt.

Die große Frage am Ende des Films lautet: Wie hat sich das Verhältnis von Vater und Tochter durch den Film verändert? Und ganz gleich, was Lila und ihr Vater dazu sagen: Es hat sich einiges getan. Und wenn sie vorher kaum etwas hatten, was sie miteinander teilen konnten – jetzt haben sie etwas: diesen Film.

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