Abenteuer | USA 2023 | 101 Minuten

Regie: Nick Bruno

Als ein Ritter in eine Intrige gerät und beschuldigt wird, die Königin ermordet zu haben, erhält er Unterstützung von einer ebenso vorlauten wie forschen Teenagerin, die ihre Gestalt verändern kann. Bald geraten die beide ins Visier eines mächtigen Instituts, das das Leben im Königreich steuert. Die Adaption eines Independent-Comics als wilder Animationsfilm, der die Handlung der Vorlage klug entschlackt und zu einer spannenden Geschichte um Freundschaft, Solidarität und Verrat verdichtet. Dabei bleibt die Adaption sowohl stilistisch als auch als außergewöhnliche Mischung aus Fantasy und Science-Fiction der Vorlage verpflichtet und nimmt trotz humorvoller Punchlines und slapstickhaft zugespitzter Szenen die Figuren und ihre Konflikte ernst. - Sehenswert ab 12.
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Filmdaten

Originaltitel
NIMONA
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Annapurna Animation/Annapurna Pict./DAMN! Show Prod./DNEG/Sony Pictures Animation/Toei Animation/Vertigo Ent.
Regie
Nick Bruno · Troy Quane
Buch
Robert L. Baird · Lloyd Taylor
Musik
Christophe Beck
Schnitt
Erin Crackel · Randy Trager
Länge
101 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 12.
Genre
Abenteuer | Action | Animation | Comicverfilmung | Fantasy
Externe Links
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Animationsfilm um eine gestaltwandlerische Teenagerin, die einem angeklagten Ritter helfen muss, seine Unschuld zu beweisen.

Diskussion

„Hier ist dein neuer Sidekick. Jeder Schurke braucht einen Sidekick!“ Ballister Boldheart weiß zunächst nicht, wie er auf die Teenagerin mit den pinken Haaren und dem punkigen Haarschnitt reagieren soll, die plötzlich in seinem Versteck steht. Nimona ist forsch, frech und vorlaut. Sie ist unangepasst und wild, hat einen eigenen Humor und manchmal ziemlich blutrünstige Fantasien. Ballister hingegen versteht sich gar nicht als Schurke. Er wäre viel lieber auf der Seite der Helden, doch leider gilt er im Königreich als Oberbösewicht, seitdem man ihn beschuldigt, die Königin nach seinem Ritterschlag hinterlistig ermordet zu haben. Als er gefangengenommen wird und Nimona ihn wenig später aus dem Gefängnis befreit, verbündet er sich doch mit ihr – und lernt dabei noch eine andere Eigenschaft von ihr kennen: Sie ist eine Gestaltwandlerin.

Alles ist fluide

Nichts ist, wie es zunächst scheint. Das war schon eine Prämisse des Comics von ND Stevenson, der dem Animationsfilm „Nimona“ zugrunde liegt, und wurde nun auch für diesen übernommen. Aus einem Helden wird ein Schurke, aus einem Schurken ein Held, aus einem Teenager werden wahlweise rosafarbene Wale, Haie, Gorillas oder Drachen, Monster verhalten sich wie Menschen und Menschen wie Monster.

Auch das Setting ist nicht eindeutig. Was zunächst den Anschein einer mittelalterlichen Welt erweckt, wird bald durch Science-Fiction-Elemente aufgebrochen. High-Tech-Armprothesen existieren neben Schwertern, Magie neben Technologie, großflächige digitale Werbetafeln in der riesigen Stadt neben alten Schriftrollen – und all dies funktioniert erstaunlich gut, weil darum kein großes Aufheben gemacht wird und das Versatzspiel mit Genremustern viel weniger als im Comic als Steilvorlage für Gags verwendet wird. Im Film lautet die Devise vielmehr: So ist das eben.

Freundschaft, Solidarität und Verrat

Wie die Vorlage, die von Stevenson 2012 als Webcomic mit kurzen Episoden begonnen wurde, bestimmt ein selbstironischer Tonfall den Anfang des Films. Nimona wirkt zunächst wie eine Karikatur, ein modernes Riot Grrrl, das auch äußerlich in jeder Hinsicht ein Fremdkörper ist in dieser Welt. Ihr gehören viele Punchlines, die slapstickhaft zugespitzte Szenen beenden, und aberwitzige Verwandlungen – etwa in ein marodierendes rosa Rhinozeros oder einen sprechenden Hai – tun ihr Übriges. Nach und nach jedoch rücken andere Themen in den Vordergrund.

Die Direktorin des Instituts für Eliteritter, das an der Spitze das Königreichs steht, beauftragt den Ritter Ambrosius Goldenloin, die vermeintlichen Verräter Ballister und Nimona zu jagen. Doch Ambrosius ist zugleich der Geliebte von Ballister, der seinem Partner nicht schaden will und ohnehin schon große Schuld auf sich geladen hat. Das Verhältnis zwischen Ballister und Nimona wiederum wird auf eine Probe gestellt, als Ballister erfährt, dass Nimona möglicherweise nicht diejenige ist, die sie zu sein vorgibt.

Um Freundschaft, Solidarität und Verrat geht es fortan, ein wenig verknüpft mit der Aufdeckung einer Intrige. Während dieser Spannungsbogen für die Adaption gut eingedampft und an entscheidenden Szenen aus bestehendem Material auch klug neu zusammengesetzt wurde, behält der Film nebenbei ein zentrales Thema des Comics bei, der entweder als Coming-of-Age- oder LGBTQIA+-Stoff gelesen werden kann. Nimona ist das Sinnbild einer Figur, die mit ihrer Identität hadert und sich oft versteckt. Sie lässt sich nicht einfach einer vorgefertigten Kategorie zuordnen, ihr Erscheinungsbild ist fluide. Vor dem Hintergrund, dass Stevenson seine Geschichte noch mit dem Vornamen Noelle geschrieben hat und nun als Transmann lebt, wirkt Nimonas Auseinandersetzung mit sich selbst umso brisanter.

Der Animationsfilm bleibt dem Geist des Independent-Comics treu

Dass Nimona als Monster angesehen wird, bringt unterdessen eine gesellschaftliche Perspektive ins Spiel, die noch einmal durch die kurzen Ausblicke auf die Welt von „Nimona“ verstärkt wird. Eine hohe Mauer umgibt die Stadt, man hat sich abgeriegelt vor dem Unbekannten, vor der Welt da draußen – und kennt im Umkehrschluss nur seine eigene Blase. Zum Ende hin strickt der Film aus diesen Elementen ein fulminantes Finale, dass nicht durch überbordende Actionszenen beeindruckt, sondern durch zwar hochdramatische, aber dann doch überraschend stille Gesten.

Mit einer klaren Bildsprache, die Licht und Schatten zur Charakterisierung verwendet und auch das Konzept, erst aus der Nähe eine Figur differenzierter sehen zu können, in grafische Gestaltung umsetzt, ist dem Regieduo Nick Bruno und Troy Quane ein außergewöhnlicher Animationsfilm gelungen, der dem Independent-Comic treu bleibt und ihn nicht zum formelhaften Hollywoodepos umgewandelt hat. Noch immer hat der Film, der sich in seinem Look an die flächigen Illustrationen von Stevenson anlehnt, etwas angenehm Raues und Ruppiges – und eine Menge zu erzählen.

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