Dokumentarfilm | Österreich 2023 | 102 Minuten

Regie: Katharina Mückstein

Feminismus führt die gesellschaftliche Ordnung in die Krise, fordert bestehende Machtverhältnisse heraus und bringt scheinbar starre Kategorien ins Wanken. Deshalb ist er bis heute in Teilen der Gesellschaft ein Reizwort. In Gesprächen mit Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft und mit queeren Tanzperformances schlüsselt der aktivistische Dokumentarfilm auf, welche große Themenvielfalt aktuell unter dem Begriff Feminismus verhandelt wird. Der Film verfolgt ein eigensinniges ästhetisches Konzept und zeigt auf, warum Feminismus eine Notwendigkeit ist. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
FEMINISM WTF
Produktionsland
Österreich
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
La Banda Film/Nikolaus Geyrhalter Filmprod.
Regie
Katharina Mückstein
Buch
Katharina Mückstein
Kamera
Michael Schindegger
Schnitt
Natalie Schwager
Länge
102 Minuten
Kinostart
07.09.2023
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Aktivistischer Dokumentarfilm über die thematische Vielfalt aktueller feministischer Erscheinungsformen.

Diskussion

„Was wird der Feminismus in hundert Jahren erreicht haben? Wie wird man auf uns heute zurückschauen? Und was wünschst du dir?“, fragt die Regisseurin Katharina Mückstein ihre Protagonist:innen – Experten aus verschiedenen Wissenschaftsbereichen – gegen Ende des Films. Die Antworten reichen von verhaltenem Optimismus und Zuversicht hinsichtlich radikaler Neuentwürfe (etwa Auflösung der Geschlechterbinarität oder „caring democracy“) bis zu einer gewissen Skepsis, die sich in aktuellen Rückschlägen begründet sieht. Wie auch immer man sich im Jahr 3023 die Geschlechterverhältnisse von 2023 vergegenwärtigen wird: die Momentaufnahme „Feminism WTF“ könnte sich dann immer noch als produktives Anschauungsobjekt erweisen.

Angriffe aufs Überkommene

Maisha Auma, Persson Perry Baumgartinger, Astrid Biele Mefebue, Nikita Dhawan, Christoph May, Franziska Schutzbach, Sigrid Schmitz, Rona Torenz, Paula Villa Braslavsky, Laura Wiesböck und Emilene Wopana Mudimu sprechen in dem Film aus queerfeministischer oder intersektionaler Perspektive über eine Vielfalt an Themen, die unter dem Begriff Feminismus verhandelt werden: von der frühkindlichen Prägung von Geschlechterrollen und dem Zusammenwirken von Geschlechterdichotomie, Kapitalismus, Kolonialismus und patriarchaler Strukturen über Ungleichheit in Arbeitsverhältnissen oder ungleiche Arbeitsteilung bis hin zu sexuellen Übergriffen und Gewalt sowie die Widerstände, die Feminismus bei restaurativen Kräften bis heute auslöst. „Dem Feminismus wird immer wieder vorgeworfen, dass er die gesellschaftliche Ordnung in die Krise stürzt. Das stimmt ja auch. Das wollen wir so!“, beantwortet die Politikwissenschaftlerin Nikita Dhawan die Eingangsfrage der Regisseurin, warum Feminismus so ein Reizthema sei. Die patriarchalen Ängste überführt der Film sogleich in ein comichaft überzeichnetes Bild. Bewaffnet mit Gummihämmern, Ketten und Boxhandschuhen nähert sich eine wütend grimassierende Gruppe von Performer:innen in Gefängniskleidung (eine Anspielung auf die Serie „Orange is the New Black“) einem als männlichem Torso gestalteten Box-Dummy.

Katharina Mückstein, die vor ihrem Regiestudium Genderstudies und Philosophie studierte, gilt in manchen Teilen der österreichischen Filmszene vermutlich selbst als eine Art Reizfigur. 2022 initiierte sie mit einem Instagram-Posting über eigene Übergriffserfahrungen die #MeToo-Welle in der heimischen Branche – mit großer Wirkung. Tatsächlich haben sich im vergangenen Jahr die Meldungen bei der Anlaufstelle für Filmschaffende #we_do! zu Machtmissbrauch und Belästigung nahezu vervierfacht. Auch Mücksteins Film versteht sich als aufklärerisch; seine didaktischen Absichten sind eindeutig und werden auch gar nicht versteckt.

Eine eigensinnige Ästhetik

Die Befragten – fast alle unterrichten und forschen an namhaften Universitäten – kommen aus den Bereichen Gender Studies, Politikwissenschaft, Politische Theorie- und Ideengeschichte, Soziologie, Biologie, Technikwissenschaft, Angewandte Sprachwissenschaft, Trans Studies und Diversity Studies. Mückstein platziert sie in monochrom gehaltene, hochstilisierte Settings zwischen Büro-Loft, Seminarraum, Lounge und Deko-Abteilung; jeder Sprecherin, jedem Sprecher wird eine Farbe zugeordnet, die sich vor allem durch die Abweichung von den Primärfarben auszeichnet (Zwischentöne wie etwa Flieder, Pastellgrün, Kobaltblau oder Amber). Sie bestimmt sowohl die Kleidung als auch das Raumdesign.

„Jedes Wissen ist verkörpertes Wissen. Jedes Wissen ist aus einem Körper entstanden. Wenn bestimmte Körper fehlen, fehlt das Wissen, das mit diesem Körper zusammenhängt“, erklärt Maisha Auma, Professorin für Kindheit und Differenz. Aumas Statement ist für „Feminism WTF“ gewissermaßen Voraussetzung. Schließlich geht es nicht nur darum, Feminismus in Form von Theorie zu „besprechen“, sondern gleichsam zu verkörperlichen. Etwa indem queere Tanzperformances, szenische Tableaux und stilisierte Versuchsanordnungen in die von bildfüllenden Textinserts flankierten Interviews gemischt werden.

Dass der Feminismus im Singular nicht existiert, sondern eine Vielfalt unterschiedlicher Feminismen inkludiert (Dhawan zählt auf: marxistischer Feminismus, anarchistischer Feminismus, poststrukturalistischer, radikaler, posthumanistischer Feminismus, Öko- und Cyberfeminismus, Schwarzer Feminismus …), wird in „Feminism WTF“ mehrfach betont. Die verschiedenen Farben sollen die so vehement proklamierte Diversität offensichtlich in ein prägnantes Bild übersetzen (und die politischen Inhalte natürlich auch ein bisschen attraktiv verpacken); Mückstein vermeidet dabei die in öffentlichen Diskursen allgegenwärtigen Polarisierungen, wenn sie etwa „feministische“ Stimmen ausschließt, die Vielgeschlechtlichkeit in Frage stellen. Gleichwohl funktioniert das ästhetische Konzept fast wie eine Art Branding, das alle Differenz zu einem vielstimmigen, aber doch konfliktfreien Wir homogenisiert.

The Future ist Feminist

In Zeiten, in denen der Ton in Debatten schnell auch mal schrill wird, lässt sich der Verzicht auf Dialektik, Widerspruch und Ambivalenz vielleicht auch strategisch verstehen. „Feminism WTF“ will Bewusstsein schaffen und aktivieren – „the future is feminist“.

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