Paracelsus - Ein Landschaftsessay

Filmessay | Schweiz 2021 | 108 Minuten

Regie: Erich Langjahr

Der Schweizer Dokumentarfilmer Erich Langjahr spürt dem Arzt und Naturphilosophen Theophrastus Bombast von Hohenheim (1493/94-1541), genannt Paracelsus, nach. Dabei sucht er Stätten und Orte auf, an denen die Erinnerungen an Paracelsus noch heute wach sind, und lässt den Historiker Pirmin Meier als eine Art „Reiseführer“ in Leben und Werk des Porträtierten einführen. Die Fülle an Informationen erschwert mitunter den Überblick, zumal sie sich an der puristischen Inszenierung reibt. Gleichwohl erweist sich der Film als reiche Erfahrung und der immer wieder erfolgende Einbruch der Gegenwart in die historische Abhandlung als dezent gesetzter Verweis auf die Entscheidungshoheit des Regisseurs. - Ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
PARACELSUS - EIN LANDSCHAFTSESSAY
Produktionsland
Schweiz
Produktionsjahr
2021
Produktionsfirma
Langjahr-Film
Regie
Erich Langjahr
Buch
Erich Langjahr
Kamera
Erich Langjahr
Musik
Fritz Hauser
Schnitt
Erich Langjahr
Länge
108 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Filmessay
Externe Links
IMDb

Eine dokumentarische Reise auf den Spuren des Renaissance-Arztes und Naturphilosophen Paracelsus, die von der Innerschweiz über den Süden Deutschlands nach Salzburg geht und in ein reichhaltiges Leben und schriftliches Werk einführt.

Diskussion

Wenn Filmemacher sich mit historischen Persönlichkeiten auseinandersetzten, drehen sie für gewöhnlich einen Kostümfilm oder erstellen anhand von historischen Fundstücken, Archivmaterialien und Expertenmeinungen ein (bisweilen mit Reenactment angereichertes) dokumentarisches Porträt. Anders Erich Langjahr. Der 1944 geborene Schweizer Dokumentarfilmer ist ein filmischer Purist. Er filmt Menschen, Dinge und Ereignisse fast immer exakt so, wie er sie vor Ort antrifft und beobachten kann. Konsequenterweise hat er als Ausgangspunkt für seinen Film über den in der Renaissance in Erscheinung getretenen Arzt und Alchemisten Theophrastus Bombast von Hohenheim (genannt Paracelsus) die Orte und Stätten – oder eben: Landschaften – gewählt, an denen Spuren noch heute auf die einstige Präsenz seines Protagonisten verweisen.

Trutzige Berge, bewaldete Hügel, nebelverhangene Täler

Seinen Anfang nimmt „Paracelsus - Ein Landschaftsessay“ mit Flugaufnahmen aus der Innerschweiz. Mit Bildern von trutzigen Bergen, bewaldeten Hügeln, nebelverhangenen Tälern. Von sprudelnden Bächen, ruhenden Seen, dem Himmel. Ein, zwei Mal tunkt sich die Landschaft in ein schimmerndes Morgen- oder Abendrot. Einmal steht über der nachtschattigen Krete rötlich leuchtend der Vollmond. Nach den Titeln zeigt das Bild die bei Egg (Einsiedeln) über die Sihl führende Teufelsbrücke: eine im 12. Jahrhundert erbaute Holzbrücke, über die mit großer Wahrscheinlichkeit vor über 500 Jahren auch Theophrast von Hohenheim geschritten ist. Ein einfacher Gedenkstein markiert auf der einen Brückenseite die Geburtsstätte eines der berühmtesten Bürger Einsiedelns, der Zeit seines Lebens vehement die Freiheit predigte, de facto aber bis zu seinem Ableben ein „Höriger“ (Leibeigener) des Benediktinerklosters von Einsiedeln blieb.

Über Paracelsus’ frühe Jahre weiß man wenig. Philippus Theophrastus Aureolus Bombast von Hohenheim, wie er mit vollem Namen hieß, wurde 1493 oder 1494 in der Nähe von Einsiedeln geboren. Sein Vater, Wilhelm Bombast von Hohenheim (1457-1534), war der uneheliche Sohn eines schwäbischen Adeligen und von Beruf Arzt. Seine Mutter war eine Hörige des Klosters Einsiedeln. Sie verstarb, als Paracelsus noch ein Kind war. Spätestens 1502 verließ Wilhelm von Hohenheim Einsiedeln und zog mit dem einzigen ihm nachgewiesenen Kind ins kärntische Villach, wo er fortan eine Arztpraxis betrieb.

Paracelsus hat in Kärnten die Schule besucht. Er hat an verschiedenen Universitäten studiert und um 1515 an der Universität Ferrara als Doktor der Medizin promoviert. Er zog danach einige Jahre als Feldarzt über Europas Schlachtfelder, versuchte sich 1524 in Salzburg niederzulassen, war alsbald aber doch wieder unterwegs anzutreffen. Zu den weiteren Stationen seines Lebens zählen, unter vielen anderen, Baden-Baden, Straßburg, Basel, Colmar, Nürnberg, Pfäfers, Augsburg, Sankt Gallen. Gestorben ist Theophrastus von Hohenheim am 24. September 1541 in Salzburg, wo er auf dem Friedhof zu St. Sebastian bestattet wurde. 1752 wurden seine Gebeine und die ursprüngliche Grabplatte in ein Grabdenkmal in der Vorhalle der Kirche umgebettet.

Lebensweg und umfangreiches schriftliches Werk

„Paracelsus - Ein Landschaftsessay“ folgt weitgehend chronologisch den Stationen von Theophrastus von Hohenheims Lebensweg. Zugleich taucht der Film ein in das umfangreiche schriftliche Werk seines umtriebigen Protagonisten: Aufzeichnungen und Abhandlungen zur Medizin und Alchemie, zur Astrologie, Philosophie und Theologie. Nicht alles, was sich darin findet, ist zu Ende gedacht und fertig geschrieben. Auch finden sich zwischen den wissenschaftlichen Erörterungen Verweise auf die eigene Befindlichkeit des Verfassers sowie Episoden aus seinem Leben.

„Bi minen Eltern war es still und friedsam“, soll er in einer Erinnerung über seine frühe Kindheit festgehalten haben. Zu erfahren bekommt man solches in Langjahrs Film aus dem Mund des mit dem Regisseur seit Jahren befreundeten Historikers und Autors Pirmin Meier. Der frühere Gymnasiallehrer hat unter anderem zwei überaus lesenswerte Bücher geschrieben, die Langjahr zu seinem „Landschaftsessay“ inspirierten: „Paracelsus. Arzt und Prophet. Annäherungen an Theophrastus von Hohenheim“ (Amman, Zürich 1993) und „Landschaft der Pilger. Geheimnisvolle Orte im Herzen der Schweiz“ (Comenius, Luzern 2005).

Die Spuren des Wirkens noch sichtbar

„Paracelsus - Ein Landschaftsessay“ bewegt sich im geografisch weiten Bogen mäandrierend von Einsiedeln über die urwüchsigen Landschaften der Innerschweiz über Basel in den Süddeutschen Raum und bis nach Salzburg. Er macht Station an Orten und Stätten, an denen Paracelsus sich dereinst aufhielt, wo die Spuren seines Wirkens noch heute sichtbar sind oder die Erinnerung an ihn wachgehalten wird. In meist der Muttergottes Maria gewidmeten Kapellen. In Klöstern, Kirchen, Rittershäusern und Burgen. Aber auch: Vor dem Pestdenkmal im Luzernischen Wohlhusen. In der Stiftsbibliothek zu Beromünster und im ebenda stehenden Haus zum Dolder, wo bis 1976 die in der Schweiz letzte Paracelsus-Praxis betrieben wurde; heute ist das ehemalige Arzthaus ein Museum.

In Basel besucht man das „Haus zum Sessel“ im Totengässlein, wo sich Anfang des 16. Jahrhunderts die Wege des Buchdruckers Johannes Froben, Erasmus von Rotterdams und Theophrastus von Hohenheim gekreuzt haben beziehungsweise haben könnten. In Deutschland hält man inne beim Malteserschloss von Heitersheim, der Alten Friedhofskirche von Nusplingen und der Pfarrkirche St. Sebastian von Schlatt.  

Pirmin Meier hat Langjahr bei den Dreharbeiten begleitet. Langjahr setzt beziehungsweise stellt ihn sozusagen als „Reiseführer“ immer wieder mitten ins Bild und lässt ihn erzählen. Am „Guldin Thor“ (Goldenen Tor), einem kleinen Teich unweit des Flughafens Kloten, erzählt Meier von der mystischen Begegnung einer Nymphe mit einem Hirtenknaben. In der Wallfahrtskirche Hergiswald erläutert er bei der Betrachtung des prächtigen Bilderhimmels die Symbole und verschiedenen Stufen von Paracelsus’ Alchemie. Beim Besuch des Ritterhauses von Bubikon führt er am Beispiel einiger Pflanzen in Paracelsus’ Kräuterkunde ein und beim Besuch des Heilbads von Pfäfers beschreibt er die heilende Wirkung des Thermalwassers.

Fülle von Namen, Daten und Informationen

„Paracelsus - Ein Landschaftsessay“ ist, wie alle Langjahr-Filme, im Erzählrhythmus gemächlich, in der Fülle des (verbal) Vermittelten aber überaus dicht. Das liegt zum einen an Pirmin Meier, der als begnadeter Erzähler und leidenschaftlicher Historiker über einen reichen Fundus persönlich memorierter Anekdoten und Geschichten verfügt – und im Film in kürzester Zeit so viele Namen, Daten und Informationen von sich gibt, dass man sich als Zuschauer unmöglich alles merken kann.

Es liegt zum anderen an Langjahrs puristischer Art und Weise, Filme zu drehen. Diese sich ganz auf die Gegenwart des Drehmoments konzentrierende, unverstellte Art filmischen Erzählens hat sich in Filmen Langjahrs wie „Männer im Ring“ (1991), „Sennen-Ballade“ (1996) und „Hirtenreise ins dritte Jahrtausend“ (2002) als durchaus probat erwiesen. In „Paracelsus - Ein Landschaftsessay“ aber überlagert die erzählte Vergangenheit die Gegenwart des im Bild Gezeigten immer wieder, was dazu führt, dass der Zuschauer gleichzeitig oft sehr unterschiedliche Informationen erhält. Und weil Langjahr seine Drehorte grundsätzlich nicht absperrt, schiebt sich in seinem Film das Geschehen der Gegenwart nicht selten wie ein Vorhang zwischen Gezeigtes und Kamera.

So wird, ausgehend von einer Szene, die eine Menschengruppe in einem Bach beim Goldwaschen zeigt, auf das von Paracelsus zu Heilzwecken verwendete „Trinkgold“ verwiesen. Wenn Langjahr eine in einer winzigen Kapelle stattfindende Laienmesse zeigt, schiebt sich in einer externen Aufnahme der Abendverkehr wie ein Riegel zwischen die Kapelle und die auf der gegenüberliegenden Straßenseite platzierte Kamera. Und während bei einem Besuch des Rheinfalls die Rede auf den Klangraum kommt, als den man diesen zu Paracelsus’ Zeit bestaunte, zeigt Langjahr nicht nur Touristenboote im trudelnden Kampf mit der Strömung, sondern auch achtlos weggeworfene Flaschen, die auf dem Wasser tanzen.

Vorwitzig bricht die Gegenwart herein

Als Zuschauer kann man sich an der dadurch immer wieder vorwitzig in die historische Abhandlung einbrechenden Gegenwart stören, oder sie wahrnehmen als das, was sie auch ist: Ein von Langjahr dezent gesetzter Verweis auf das, was uns beim Betrachten von Filmen oft viel zu wenig bewusst ist: Dass auch sogenannte Dokumentarfilme immer inszeniert und die Wirklichkeit verfälschend beschönigt sind.

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