Der größte Waschsalon der Welt - Berwyn, USA

Dokumentarfilm | Frankreich 2022 | 91 Minuten

Regie: Auberi Edler

In der US-amerikanischen Stadt Berwyn in der Nähe von Chicago steht der nach eigenen Angaben größte Waschsalon der Welt. Auf 1300 Quadratmetern wird hier rund um die Uhr gewaschen. Die Einrichtung in einer von Latinos und Schwarzen bewohnten, sozial eher benachteiligten Gegend fungiert auch als Begegnungsort. Der Dokumentarfilm begleitet den Chef des Waschsalons, der sich gern als Wohltäter gibt, vor allem aber ein findiger Geschäftsmann ist, sowie die zumeist weiblichen Angestellten, für die sich der amerikanische Traum nicht erfüllt hat. So unaufgeregt wie pointiert arbeitet der Film die zahlreichen Widersprüche der US-Gesellschaft heraus, ohne den Aussagen der Beteiligten ins Wort zu fallen. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
LE PLUS GRAND LAVOMATIC DU MONDE - BERWYN, USA
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
Les Films d'Ici Méditerranée/Les Films d'Ici
Regie
Auberi Edler
Buch
Auberi Edler
Kamera
Auberi Edler
Musik
Alex Tran
Schnitt
Barbara Bascou
Länge
91 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Doku über einen riesigen Waschsalon nahe Chicago, der dessen Betreiber, seine Mitarbeiterinnen sowie Nutzer begleitet und einen Einblick in die Ungleichheit der US-Gesellschaft gibt.

Diskussion

In den Vereinigten Staaten ist alles etwas größer. Umfasst ein durchschnittlicher Waschsalon hierzulande ein paar Dutzend Waschmaschinen, sind es in Berwyn, Illinois, gefühlt oder sogar real ein paar Hundert. 1300 Quadratmeter misst der Laden, Hunderte Kunden waschen dort täglich ihre Wäsche oder lassen ihre Kleidung reinigen. Angestellte mit blauen T-Shirts, auf denen das Logo des Waschsalons prangt, heißen sie willkommen und kümmern sich um ihre Anliegen. Der Chef der Einrichtung, ein weißhaariger Mann namens Tom Benson, geht persönlich durch die Gänge und grüßt die Menschen, einige sogar mit Namen. Die meisten der Stammkunden gehören der im Viertel lebenden Gemeinschaft der Latinos an. Es sind keine wohlhabenden Menschen, und der Waschsalon fungiert zuweilen auch ein wenig wie ein Gemeindezentrum. Mittwochabends wird Pizza verteilt, ein Clown bespaßt die Kinder, moderiert ein Tauziehen, und manchmal steigt auch eine Tombola.

Interview im Hinterzimmer

Ein kleines Hinterzimmer, das mit einem Konferenztisch, Computern und Schränken reichlich zugestellt ist, entpuppt sich als die Kommandozentrale des Unternehmens. Hier interviewt der Regisseur Auberi Edler den Betreiber Benson. Dieser betont, dass auch er aus einer Arbeiterfamilie stamme und deshalb viel Verständnis für seine Kunden aufbringe. Sein Umgang mit seinen Mitmenschen wirkt offen, unverstellt und humorvoll. Einen begabten Teenager aus der Nachbarschaft unterstützt Benson mit einem Stipendium, später wird der Chef des Waschsalons einen humanitären Preis als Förderer und geschätzter Bürger der Stadt erhalten. Doch die Fassade des Altruisten bröckelt im Laufe des Films, der gekonnt die Perspektiven wechselt und immer mehr auf die Beschäftigten des Waschsalons – meist mexikanische Einwanderinnen – eingeht.

Der Film ist klug genug, nie anzuklagen, keinen Aktivismus zu betreiben und die Beteiligten immer für sich selbst sprechen zu lassen. Wie beim Zusammensetzen eines Puzzles entsteht dabei ein immer differenzierteres Bild der Einrichtung. Es schaut vor und hinter die Kulissen und beleuchtet mit viel Empathie die privaten Schicksale der angestellten Frauen. So entsteht auch eine Bestandsaufnahme des Landes, seiner Mechanismen und der Mentalität der vielfältigen Einwohner – jenseits klischeehafter Erfolgsgeschichten.

Sonia und Lulu sind Mexikanerinnen, die seit Jahrzehnten in den USA leben und einst ihr Leben riskierten, um illegal die Grenze zu dem – in ihren Augen – gelobten Land zu überqueren. Hier hofften sie auf ein besseres Leben, da ihnen in Mexiko mangels ausreichender Bildung der soziale Aufstieg verwehrt blieb.

Voller Einsatz wird erwartet

Sonia wäre gerne Flugbegleiterin geworden, doch sie hatte keine Chance. In ihren jeweiligen Communitys finden die Arbeiterinnen Halt: sei es bei der afroamerikanischen Kirche oder der Familie, aber auch bei Freunden. In der Mittagspause tauschen die Angestellten sich aus, tratschen ein wenig. Etwa über den Chef, der nie zufrieden ist, ihnen zwar Überstunden bezahlt, aber immer betont, dass es noch mehr sein könnten. Er erwartet vollen Einsatz von seinen Angestellten, die im Dreischicht-Modus arbeiten, damit der Waschsalon immer geöffnet ist. Wer sich – etwa wegen Sprachschwierigkeiten – nicht durchsetzen kann, bekommt die Sonntagsschichten aufgebrummt.

Um Urlaub muss man kämpfen. Das sorgt für Unmut. Denn die Arbeiterinnen erhalten nur den Mindestlohn und die Überstunden bezahlt. Krankenversicherung bietet Benson nicht an. Die Arbeiterinnen können es sich deshalb nicht leisten, ihren Job an den Nagel zu hängen. Schon ein Arztbesuch kostet ein kleines Vermögen und muss sofort bezahlt werden. Doch Vermögen kann man so nicht aufbauen.

Dass sich hinter dem jovialen Chef mit dem sozialen Gewissen ein knallharter Geschäftsmann verbirgt, wird im Laufe des Films immer deutlicher. In seinem Büro bewachen er und ein als ausführender Chef fungierender Mitarbeiter über Videomonitore den Laden. Manchmal müssen wegen randalierender Kunden Polizei, Feuerwehr oder Krankenwagen gerufen werden. Im Büro wird regelmäßig Bilanz gezogen, es werden Geschäftsprognosen eruiert und Strategien erarbeitet. So gibt Benson freimütig zu, dass Anlässe wie das kostenlose Pizzaangebot am Mittwoch eigentlich nur der Kundengewinnung für den Waschsalon dienen. Diese Strategie ist aufgegangen.

Für die Angestellten bleibt kaum etwas übrig

Doch während Benson große Gewinne macht, bleibt für seine Angestellten am Ende des Monats kaum etwas übrig. Sie besitzen nichts; für sie hat sich der amerikanische Traum nicht bewahrheitet.

Auch von der Gewalt im Viertel erfährt man nur beiläufig aus den Schilderungen der Arbeiterinnen, die große Schicksalsschläge erlitten haben. Während der Pandemie müssen sie ihre physisch anstrengende Arbeit – putzen, fegen, wischen, legen und wiegen – mit Masken verrichten. Nach einer Covid-Erkrankung sind Sonias Lungen geschädigt: Sie braucht zu Hause ein Sauerstoffgerät. Wie sie es finanziert, bleibt offen.

Ein Stilmittel des Films ist der Einsatz von Standbildern, die sich als sorgfältig fotografierte Aufnahmen erweisen. Sie illustrieren das bewegte Eigenleben des Waschsalons: Kunden warten, vertreiben sich die Zeit mit dem Handy, schlafen erschöpft ein, telefonieren, essen in eigens dafür eingerichteten dinerartigen Sitzecken oder unterhalten sich; Kinder machen Hausaufgaben. Auch die Arbeiterinnen werden regelmäßig als Motive für die Standbilder eingeblendet. Zwischendurch flimmert der damalige US-Präsident Trump über die Fernsehschirme und schwadroniert über Fake News. Damit und mit der Pandemie verankert Regisseur Edler den Film in einer konkreten Zeit. Gleichzeitig arbeitet er so unaufgeregt wie pointiert die zahlreichen Widersprüche einer Gesellschaft heraus, in der man eben nicht ohne weiteres den Aufstieg von der Waschsalonmitarbeiterin zur Millionärin schaffen kann.

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