The Changeling (2023)

Drama | USA 2023 | (acht Folgen) Minuten

Regie: Jonathan van Tulleken

Für ein junges Paar in New York scheint sich mit der Geburt ihres Sohnes das Glück zu vervollkommnen. Doch dann schrecken bedrohliche Ereignisse die Frau auf und wecken Zweifel am Wesen des Babys, die in eine unheilvolle Tat münden. Die zwischen Grusel-Mysterydrama und Familientragödie wechselnde Serie arbeitet virtuos mit unterschiedlichen inszenatorischen Tonarten, Traumsequenzen, Rückblenden und blankem Horror. Manche Wendung scheint dabei etwas überambitioniert ins Nichts zu führen. Dennoch beeindruckt die Vielschichtigkeit der angeschnittenen individualpsychologischen und kulturellen Themen. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
THE CHANGELING
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Annapurna Television/Apple Studios/De La Revolución Films/FX Prod.
Regie
Jonathan van Tulleken · Dana Gonzales · Melina Matsoukas · Michael Francis Williams
Buch
Kelly Marcel
Kamera
Steve Cosens · Christopher Norr · Marcell Rév
Musik
Dan Deacon
Schnitt
Geoff Ashenhurst · Jonathan Eagan · Hye Mee Na
Darsteller
Lakeith Stanfield (Apollo) · Clark Backo (Emma Valentine) · Adina Porter (Lillian Kagwa) · Alexis Louder (junge Lillian) · Samuel T. Herring (William Wheeler)
Länge
(acht Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Fantasy | Serie
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IMDb | TMDB

Eine Grusel-Mystery-Serie um ein New Yorker Paar, bei dem das Glück ihrer Elternschaft bald Ängsten, Zweifeln und schockierenden Taten Platz macht.

Diskussion

„Não corte-o! – Schneid’ es nicht durch!“ Die Worte der alten Frau mit den unheimlichen Augen hallen durch Emmas Kopf, als Apollo in einem New Yorker Café sein Taschenmesser zückt und den roten Faden an ihrem Handgelenk durchtrennt. „Mit mir werden alle deine Wünsche in Erfüllung gehen. Denn ich bin der Gott Apollo!“, bekommt Emma von ihrem Gegenüber versichert, irgendwo zwischen Romantik und selbstbewusster Übergriffigkeit.

Apollo ist der Mann, den die freigeistige Emma vor einigen Monaten in ihrer Heimatstadt New York zurückließ, um eine lange geplante Brasilienreise anzutreten. Drei Knoten, drei Wünsche, das versprach die Hexe vor der Lagune, die Emma während ihres Dschungelausflugs entgegen allen eindringlichen Warnungen ansteuerte.

Ein liebevoller Ehemann, ein gesundes Kind – zwei von Emmas Wünschen werden sich mit Apollo, der eine ebenso traumatische Kindheit erlitt wie sie selbst, im Großstadtdschungel New York in kürzester Zeit erfüllen. Der dritte Wunsch bleibt ein Geheimnis, selbst als sich ihr Glück ins Gegenteil verkehrt. Das Kind, das sie Brian nennen, schreit unentwegt und verwehrt den Eltern den Schlaf. Apollos Vater bildet eine beunruhigende Leerstelle und hat ihm ein schauriges Buch über Feen und Menschenbabys hinterlassen, das er auch im Erwachsenenalter immer wieder zückt. Emma hingegen, die schnell wieder in ihrem Job als Bibliothekarin arbeitet, erhält zunehmend ominöse Bilder von Kind und Mann aufs Handy geschickt. Die Motive sind stets aus einiger Entfernung aufgenommen und löschen sich einige Sekunden später wie von selbst. Emma beginnt sich zu verändern. Die Beziehung bekommt Risse – bis eines Nachts schreckliche Dinge geschehen.

Magischer Realismus der dunkelsten Art

Es ist das ohne Emmas Zustimmung vollführte Zerschneiden des Armbands in der ersten Folge, das sich in der Serienadaption von Kelly Marcel zunehmend als richtungsweisend entpuppt. Ein bevormundender Übergriff, der sich nicht nur auf die Frau an Apollos Seite, sondern auch auf das Kind als Nachkommen erstreckt.

Wie schützt man Kinder vor Menschen, die ihnen eigentlich am nächsten sein sollten? Welche Ängste und welches Unheil stehen ins Haus, wenn Menschen ein Kind in eine Welt setzen, obwohl die größte Bedrohung von dem Partner oder gar von einem selbst ausgeht? Die Menschen werden sich selbst „un-heimelig“, „un-heimlich“ in einem magischen Realismus der dunkelsten Art.

„The Changeling“ ist nicht von ungefähr das englische Wort für „Wechselbalg“, jenes Kind von Teufeln, Hexen oder Feen, das nach volkstümlichem Aberglauben den frisch entbundenen Frauen untergeschoben wurde, um ihre Menschenkinder zu stehlen. „Das ist nicht mein Baby! Das ist überhaupt kein Baby!“, schleudert Emma ihrem zunehmend entsetzten Ehemann mehr als einmal entgegen. Aberglaube, postnatale Depression, Wahnsinn oder gar Realität? Das hängt daran, was die Inszenierung sehen und glauben machen will. Es passiert etwas Schreckliches, das als erzählerisches Tabu nicht nur die Beziehung, sondern auch Apollos Wahrnehmung eines unheilvoll vor sich hinwabernden Melting Pots namens New York aus den Fugen hebt.

Getragen wird diese Geschichte von einem mit Lakeith Stanfield und Clark Backo perfekt besetzten Paar. Stanfield und Backo wissen für ihre Figuren einzunehmen – in guten wie in schlechten Zeiten. Doch ab dem Moment, an dem ihre traute Zweierbeziehung aufbricht, scheint keiner dem anderen mehr zu vertrauen. Zumal sich die Social-Media-Netzwerke als unzuverlässig und in ihrer Funktion der Dauerüberwachung als zunehmend beunruhigend erweisen.

Elternschaft, Verlust und Wahnsinn

Virtuos werden Traumsequenzen, Rückblenden, Insel-Mystery à la „Lost“, Cyberjagd, Kammerspiel und klassische Besessenheitssequenzen in einem „Märchen für Erwachsene“ miteinander verwoben. Wobei innerhalb der Staffel nicht nur die Tonart der Inszenierung wechselt, sondern auch der erzählerische Fokus, der sich jeweils einer anderen Figur widmet und unterschiedliche Perspektiven auf Elternschaft, Verlust und Wahnsinn eröffnet. Väter und Mütter sind hier immer auch Töchter und Söhne ihrer eigenen, traumatischen Familiengeschichte, die in die Historie von New York eingebettet ist – einer Stadt, die insbesondere für die Black Community von Migration und Mythos geprägt ist.

Es gelingt „The Changeling“ im Strom der Rückblenden nicht, alle Fäden der Handlung zufriedenstellend zu verweben. Manche Idee wirkt im Wortsinn zu ausufernd und konfus, um sie auch durch weitere Staffeln wieder einzufangen. Durch die (auch räumliche) Ausweitung der Szenerie vom intensiven Kleinfamilien-Drama hin zu gleich mehreren verschworenen Gemeinschaften verliert „The Changeling“ überdies an Spannung. Andererseits spricht es gerade für die albtraumhafte Qualität der Serie, dass mancher Exkurs nur wie ein Fieberwahn kurz aufscheint und die Zuschauerin angesichts der psychologischen wie kulturellen Vielschichtigkeit staunend zurücklässt.

Anziehend beunruhigend

Victor LaValle, Autor des zugrundeliegenden Fantasy-Horrorromans, fungiert dabei als Off-Erzähler und somit als düsterer Märchenonkel. Auch die Erzählungen der Gebrüder Grimm waren ja wesentlich morbider angelegt, als es der Unterhaltungsmarkt in Disney-hafter „Happily ever after“-Attitüde zu verkaufen versucht. Genau das macht die Serie so anziehend beunruhigend: „The Changeling“ ist selbst der „unheimelig“ anmutende Wechselbalg, den sich Apple+ frisch in die Wiege gelegt hat.

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