Music for Black Pigeons

Dokumentarfilm | Dänemark 2022 | 92 Minuten

Regie: Andreas Koefoed

Bei der Aufnahme seines Jazzalbums „Balladeering“ im Jahr 2008 arbeitet der dänische Musiker Jakob Bro mit mehreren seiner US-amerikanischen Vorbilder zusammen. Der ersten Begegnung im New Yorker Studio folgen viele weitere, denen der Dokumentarfilm fast anderthalb Jahrzehnte lang über wechselnde Bandkonstellationen, Aufnahmen und Auftritte folgt. Da der phänomenale Film sich ganz auf die Beobachtung der Musiker einlässt, kommt es zu vielfältigen Impressionen und bereichernden Reflexionen über das Wesen der Improvisation. Aus den vielen Puzzleteilchen ergeben sich dabei immer wieder überraschende Verbindungen. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
MUSIC FOR BLACK PIGEONS
Produktionsland
Dänemark
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
Ánorâk Film Denmark
Regie
Andreas Koefoed
Buch
Andreas Koefoed · Jørgen Leth · Adam Nielsen
Kamera
Dan Holmberg · Adam Jandrup · Andreas Koefoed
Musik
Jakob Bro
Schnitt
Adam Nielsen
Länge
92 Minuten
Kinostart
21.09.2023
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm | Musikdokumentation
Externe Links
IMDb | TMDB

Doku über den dänischen Jazz-Gitarristen Jakob Bro und viele berühmte US-amerikanische Kollegen, die anderthalb Jahrzehnte lang immer wieder bei der Kunst der Improvisation beobachtet werden.

Diskussion

Musiker, die sich in einem Studio in New York, Kopenhagen oder Lugano treffen, um miteinander zu musizieren und aufzunehmen. Es gibt zwar ein paar kompositorische Vorgaben, aber diese sind eher skizzenhaft und lassen viel Raum für Improvisation und Atmosphärisches. Mal abwarten, was sich entwickelt, was eventuell passiert.

Die Künstler, die der Film „Music for Black Pigeons“ von Jørgen Leth und Andreas Koefoed über einen ziemlich langen Zeitraum von 14 Jahren begleitet, sind in der Welt der improvisierten Musik keine Unbekannten: Der Gitarrist Bill Frisell, die Saxophonisten Lee Konitz, Joe Lovano und Mark Turner, die Trompeter Palle Mikkelborg und Arve Henriksen, die Bassisten Thomas Morgan, Larry Grenadier und Anders Christensen, die Schlagzeuger Paul Motian, Joey Baron, Andrew Cyrille, Jon Christensen und Jorge Rossy. Als einzige Musikerin ist die japanische Perkussionistin und Performance-Artistin Midori Takada mit von der Partie.

Es handelt sich dabei um eine Versammlung unterschiedlichster Spielkulturen und Temperamente, alt und jung, keck-spontan und introvertiert, kindlich und weise, derb und versponnen. So prominent die Runde auch besetzt ist, so sehr fungiert der dänische Gitarrist Jakob Bro als stilles Zentrum des Ganzen, der in den vergangenen zwei Jahrzehnten ein außerordentliches Gespür für die Chemie der non-verbalen, musikalischen Interaktion bewiesen hat. „Music for Black Pigeons“ dokumentiert seine Projekte seit 2008, wenngleich nicht in chronologischer Reihenfolge.

Ein Katalog unterschiedlichster Impressionen

Eine filmische Langzeitbeobachtung, deren Produktion sich über 14 Jahre erstreckt, ist schwierig zu legitimieren, zumal wenn ihr Ergebnis am Ende ähnlich ergebnisoffen ausfällt wie zu Beginn. Nichtsdestotrotz ist den dänischen Filmemachern Jørgen Leth und Andreas Koefoed mit „Music for Black Pigeons“ ein kleines Meisterwerk gelungen. Die Musikdokumentation spürt dem Wesen der Improvisation nach, ohne einer bestimmten These zu folgen, wie das gedrehte Material zu ordnen wäre. „Music for Black Pigeons“ ist ein nicht-chronologischer Katalog von Impressionen und Begegnungen, die so unterschiedlich ausfallen wie die Persönlichkeiten, die sich hier vor der Kamera begegnen.

Die Geschichte beginnt 2008 in New York, als Jakob Bro sein erstes internationales Album einspielt. Bro, der auch als Gastmusiker in Bands von Tomasz Stanko und Paul Motian bekannt wurde, hat sich dafür eine prominent besetzte Band zusammengestellt. Mit dabei: die Saxophon-Legende Lee Konitz (Jahrgang 1927) und Bros Mentor Paul Motian (Jahrgang 1931). Auch mit dabei: das große Vorbild Bill Frisell. Da der Filmemacher Jørgen Leth, ein Konitz-Fan, zufällig auch gerade in New York ist, wird er ins Studio eingeladen.

Der stille, stets freundliche und zugewandte Jakob Bro genießt unter Kollegen den Ruf, bei der Arbeit eine Art von „Wohlfühlatmosphäre“ zu schaffen, die sich bestens zur Luftigkeit seiner Kompositionen fügt. Jørgen Leth und ab 2015 auch Andreas Koefoed verstehen diese Begegnung als Einladung. Sie folgen dem Gitarristen mehr als ein Jahrzehnt in Cinéma-Vérité-Manier durch wechselnde Bandkonstellationen, Aufnahmestudios und Konzerthallen zwischen New York, Kopenhagen, Lugano, Berlin und Sisimiut, der zweitgrößten Stadt auf Grönland.

Von der Magie der Kreativität

Weil „Music for Black Pigeons“ nichts Besonderes erzählen will und keine Werbung für ein Produkt oder einen Anlass machen soll, handelt der Film – man könnte sagen: einfach – vom Fluss des Lebens, vom Prozess und von der Magie der Kreativität. Und von bekannten Musikern, die selbst staunen müssen, wenn sie erzählen, dass sie ihr ganzes Leben lang wenig mehr und doch kaum weniger als „nur“ Musik gemacht haben.

Eine besondere Rolle kommt dabei dem hochbetagten Saxophonisten Lee Konitz zu, der schon etwas mühsam seinen Alltag in New York bestreitet und auch nicht bei bester Gesundheit ist. Im Studio aber blüht er auf und geht mal kauzig, mal empathisch auf seine Mitmenschen zu. Alles in allem, so Konitz, habe er ein großartiges, selbstbestimmtes Leben geführt. Konitz ist im April 2020 an den Folgen einer Corona-Infektion gestorben. Der Film ist auch eine Hommage an ihn.

Es entsteht der Eindruck einer Community, die sich innerhalb einer Tradition bewegt. Man kennt sich – oder man lernt sich kennen. Man empfiehlt einander und wird empfohlen. Verluste sind zu beklagen, aber es gibt auch Nachwuchs, der dazustößt. Nebenbei beantworten sich Fragen: Wie begrüßen Musiker einander im Studio, wenn sie sich längere Zeit nicht begegnet sind? Oder sich noch nie persönlich über den Weg gelaufen sind? Wie klingt ihr Smalltalk? Wie schreibt sich das Gefühl kollektiven Gelingens in die Gesichter der Beteiligten ein, wenn der letzte Ton verklungen ist? Wiederholt sich dieser Moment beim gemeinsamen Abhören der Aufnahme?

Ein Film, der Stille aushält

Wo aktuelle Musikdokumentationen häufig atem- und gedankenlos Bilder, Worte und Töne in Clip-Manier montieren, setzt „Music for Black Pigeons“ auf Pausen; der Film hält Stille aus. Und weil es Musiker sind, die nicht darin geübt sind, auf die immer selben Fragen professionell mit vorfabrizierten Sätzen zu antworten, kann man hier Menschen beim Nachdenken beobachten. Das hängt auch mit der Qualität der Fragen zusammen. Was wird der Saxophonist Mark Turner wohl auf eine Frage wie „Wonach suchen Sie?“ antworten? Ist künstlerischer Fortschritt linear oder kreisförmig zu beschreiben? Kreisförmig mit Bewegungen nach außen oder ins Zentrum sich verdichtend? Fragt man den höchst introvertierten Bassisten Thomas Morgan, wie er sich fühle, wenn er spielt, muss man schon reichlich Geduld aufbringen, bis er eine Antwort versucht. Ein echter Buster-Keaton-Moment.

Da passt es dann, wenn der Musikproduzent Manfred Eicher, der hier wie immer im Hintergrund agiert und Beziehungen herstellt, einmal darüber sinniert, was eine Pause ist. Eine Pause sei ein Hinweis, wohin man wolle und woher man komme; es sei aber etwas sehr Subjektives, weil man sie mache. In mehrfacher Hinsicht wird die Stille in diesem Film zu einem integralen Moment der Musik.

Obwohl „Music for Black Pigeons“ nicht auf ein stimmiges, geschlossenes Gesamtbild abzielt, sondern die Offenheit des Prozesses spiegelt und dabei durchaus ein Gespür für Humor besitzt, fügen sich die einzelne Puzzleteilchen überraschend gut zusammen, etwa wenn es beispielsweise um den „spirituellen Fluss“ in der Musik geht. Für die japanische Perkussionistin Midori Takada, die an ein Leben nach dem Tod glaubt, ist Musik ein Gespräch mit dem Publikum, der Natur und den Verstorbenen im Sinne eines universellen Bewusstseins.

Das klingt verschieden, aber durchaus verwandt mit der Vorstellung des Saxophonisten Joe Lovano, der davon ausgeht, dass man im Gespräch mit den Meistern auch diejenigen mithört, mit denen diese Meister gespielt haben. Und schließlich ist es Manfred Eicher, den eine musikalische Hommage von Jakob Bro an den verstorbenen polnischen Trompeter Tomasz Stanko emotional derart berührt, weil er Stanko in der Musik von Bro spüre und erkenne.

Alles findet seinen Ort

Der etwas mysteriöse Filmtitel geht auf Lee Konitz zurück, der noch aus der Generation von Charlie Parker und Lennie Tristano stammte und ein Virtuose des Cool Jazz war. Ihm war die Einfachheit der Kompositionen von Jakob Bro lange suspekt. Einfache Rhythmik, einfache Melodien, in seinen Ohren fast schon Folk. Er habe diese Musik nicht verstanden. Einmal aber habe er sie zuhause gehört, als sich eine schwarze Taube vor seinem Fenster niederließ. Und erst wieder davonflog, als die Musik vorbei war. Also handle es sich offenkundig um Musik für schwarze Tauben. Jakob Bro hat das so gut gefallen, dass er diesen Titel auch für eine seiner Kompositionen auf dem Album „Uma Elmo“ wählte. Alles findet seinen Ort.

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