Drama | Frankreich 2022 | 99 Minuten

Regie: Olivier Peyon

Ein Schriftsteller kehrt nach 35 Jahren in seine Heimat zurück und wird dabei mit seiner prägenden ersten Liebe zu einem Mitschüler konfrontiert. Während die Beziehung in Rückblenden an der Enge der konservativen Provinz scheitert, lernt er in der Gegenwart den Sohn seines ehemaligen Geliebten kennen, der sich von seinem Vater ähnlich verlassen fühlt. Eine tragikomische Geschichte über die Zwänge der Provinz, die Unentrinnbarkeit der Vergangenheit und das schmerzhafte Ringen mit persönlichem Verlust. Der Film ist grandios gespielt und emotional dicht inszeniert, verirrt sich mitunter aber in sentimentale Überwältigung. - Ab 16.
Zur Filmkritik Im Kino sehen

Filmdaten

Originaltitel
ARRÊTE AVEC TES MENSONGES
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
TS Productions
Regie
Olivier Peyon
Buch
Olivier Peyon
Kamera
Martin Rit
Musik
Bravinsan · Thylacine
Schnitt
Damien Maestraggi
Darsteller
Guillaume De Tonquédec (Stéphane Belcourt) · Victor Belmondo (Lucas Andrieu) · Guilaine Londez (Gaëlle Flamand) · Jérémy Gillet (junger Stéphane) · Julien De Saint Jean (Thomas Andrieu)
Länge
99 Minuten
Kinostart
16.11.2023
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Liebesfilm | Literaturverfilmung
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Verleih DVD
Splendid
DVD kaufen

Tragikomödie über einen französischen Schriftsteller, der nach 35 Jahren in seine Heimat in der Provinz zurückkehrt und mit seiner ersten Liebe zu einem Mitschüler konfrontiert wird.

Diskussion

Als der Schriftsteller Stéphane (Guillaume de Tonquédec) nachdenklich aus dem Autofenster blickt, sieht man den jungen Thomas (Julien De Saint Jean) auf seinem Motorrad. Dass zwischen diesen beiden Momenten 35 Jahre liegen, weiß man erst einige Minuten später durch eine Einblendung. Der Schnitt, der nahelegt, dass man den erwachsenen Autor und seinen früheren Mitschüler zur gleichen Zeit sehe, passt jedoch gut zur Unentrinnbarkeit der Vergangenheit, von der der Film erzählt. Die leidenschaftliche und sonnendurchflutete Jugend bleibt in der grauen Gegenwart von „Hör auf zu lügen“ stets präsent.

Stéphane kehrt nach langer Zeit in seine Heimatstadt Cognac zurück, um anlässlich des 200. Geburtstags einer lokalen Spirituosen-Marke eine Rede zu halten. Solange noch unklar bleibt, warum er in die verhasste Kleinstadt zurückgekehrt ist, funktioniert die Adaption des autobiografischen Romans von Philippe Besson als leichtfüßige Provinzkomödie. Während die dauerquasselnde Gaëlle (Guilaine Londez) den Autor von einem Pressetermin zum nächsten schleift, kommt es zu lustig-angespannten Momenten zwischen den piefigen, aber enthusiastischen Bewohnern und dem widerwilligen Gast.

Heile Welt mit starken Zwängen

Stéphane ist geistig woanders. Noch immer hängt er der innigen Liebe zu dem Bauernsohn Thomas nach, von der der Film nach und nach in Rückblenden erzählt. Statt ganz in die Beziehung einzutauchen, beschränkt sich Regisseur Olivier Peyon auf einzelne Schlaglichter: Zettel, die heimlich in der Schule ausgetauscht werden, Nacktbaden an einem verlassenen See, gelöster Sex in der sturmfreien Bude. Auf den ersten Blick ist es eine heile Welt, in der nur die beiden existieren. Indirekt machen sich jedoch äußere Zwänge bemerkbar. Thomas versucht panisch zu verhindern, dass die Beziehung bekannt wird. Zu groß ist seine Scham, schwul zu sein, zu aussichtslos eine Zukunft in Freiheit, weil er als Einzelkind an den Hof der Eltern gekettet ist.

Wie ein Doppelgänger dieser früheren Liebe taucht in der Gegenwart Lucas (Victor Belmondo) auf, der sich als Sohn des mittlerweile verstorbenen Thomas vorstellt. Für Stéphane, der gerade unter einer Schaffenskrise leidet, hat diese Begegnung eine belebende Wirkung. Die Literatur war für den Autor immer eine Art der Verarbeitung. Seine literarische Karriere basiert gewissermaßen auf seinem gebrochenen Herzen. Nun lässt Lucas die Vergangenheit wieder spürbar werden. Der sonst eher zugeknöpfte Stéphane schleicht sich plötzlich wie ein ungezogener Junge von seinen Pflichtterminen fort, um Zeit mit ihm zu verbringen. Die gemeinsamen Treffen sind dabei von einer Spannung des Unausgesprochen geprägt. So wie Stéphane die Karten zunächst nicht auf den Tisch legt, bleibt auch bei Lucas unklar, ob er wirklich nur so wenig von seinem Vater weiß, wie er vorgibt.

Kaum etwas ist erfunden

Der Filmtitel bezieht sich auf einen Ausspruch von Stéphanes Mutter, weil ihr Sohn sich ständig Geschichten ausgedacht hat. Tatsächlich zeichnet sich mit dem Fortschreiten der Handlung immer mehr ab, dass in seinen Büchern kaum etwas erfunden ist. Ebenso verweist der Titel auf Thomas’ hartnäckige Selbstverleugnung. Auch Stéphane musste als junger Mensch erfahren, dass die Provinz grausam zu jenen sein kann, die anders sind. Als der erwachsene Autor sich bei einem Treffen mit US-Touristen zu einer anzüglichen Geschichte hinreißen lässt und darauf peinlich berührte Blicke erntet, macht er es wie einst als Teenager: Er tritt umgehend die Flucht an.

„Hör auf zu lügen“ erzählt vom mühsamen Ringen mit quälenden Erfahrungen, aber auch von der lindernden Erkenntnis, mit seinem Schmerz nicht allein zu sein. Stéphane und Lucas werden bald zu Verbündeten, die verschiedene Seiten von Thomas kannten und sich auf jeweils unterschiedliche Weise von ihm verlassen fühlen. Für den entschieden emotionalen Zugang wählt die Inszenierung nur gelegentlich einen zu bequemen Weg. Die Art von sentimentaler Überwältigung, auf die der teilweise sehr expressive Soundtrack und die Naturaufnahmen in romantischer Abendsonne abzielen, hätte der Film nicht nötig gehabt. Dafür ist „Hör auf zu lügen“ zu gut interpretiert, sein Spiel mit Geheimnissen und Offenbarungen zu spannend und seine gefühlvollen Konfrontationen zu dicht inszeniert.

Kommentar verfassen

Kommentieren