Kleine schmutzige Briefe

Komödie | Großbritannien/Frankreich 2023 | 101 Minuten

Regie: Thea Sharrock

In einem beschaulichen englischen Küstenstädtchen wird in den 1920er-Jahren eine gottesfürchtige Frau mit obszönen Briefen bombardiert. Der Verdacht fällt unmittelbar auf die Außenseiterin in der Gemeinde, die sich bald auf der Anklagebank im Gericht wiederfindet. Erst als eine emanzipierte Polizistin auf eigene Faust ermittelt, kommt die ganze Scheinheiligkeit der sich ehrbar gebenden Gesellschaft zum Vorschein. Basierend auf einem historischen Fall erzählt die Komödie ein frühes Kapitel der Kommunikationsmediengeschichte. Dabei setzt sie allerdings auf naheliegende Witze und auch billige Pointen und vernachlässigt die gesellschaftlichen Aspekte, die hinter den Schmähbriefen liegen. - Ab 16.
Zur Filmkritik Im Kino sehen

Filmdaten

Originaltitel
WICKED LITTLE LETTERS
Produktionsland
Großbritannien/Frankreich
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Blueprint Pictures/Soth of the River Pictures/StudioCanal
Regie
Thea Sharrock
Buch
Jonny Sweet
Kamera
Ben Davis
Musik
Isobel Waller-Bridge
Schnitt
Melanie Oliver
Darsteller
Olivia Colman (Edith Swan) · Jessie Buckley (Rose Gooding) · Timothy Spall (Edward Swan) · Anjana Vasan (Gladys Moss) · Malachi Kirby (Bill)
Länge
101 Minuten
Kinostart
28.03.2024
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Komödie | Krimi
Externe Links
IMDb | TMDB

Komödie um obszöne Briefe, die in den 1920er-Jahren an rechtschaffene Bürger:innen eines englischen Küstenörtchens geschickt werden, wofür alsbald die Außenseiterin des Ortes verantwortlich gemacht wird.

Diskussion

„Was für ein Mensch tut so etwas?“ Edith Swan (Olivia Colman), eine ehrbare Frau, die noch mit ihren Eltern zusammenlebt, hat gerade wieder einen dieser „Giftbriefe“ erhalten. Die Welt der 1920er-Jahre weiß noch nichts von den Begriffen, die den heutigen Diskurs der sozialen Medien bestimmt. Aber das, was sich seit einigen Wochen in dem Küstenstädtchen Littlehampton im Süden Englands abspielt, ist nichts anderes als das Vorglühen eines Shitstorms. Alle paar Tage flattern an Edith Swan adressierte Schmähbriefe in das gottesfürchtige Haus: „Fuchsige Arschhure“, „Verfickte Zwiebel“, „Ihr verdammten, flammenden, pissenden Landhuren“. Obszöne Schimpfwörter reihen sich in beachtlicher Sprachdichte aneinander, um sich zu exzentrischen Wortkaskaden zu verbinden: „Es ist euer Abfluss, der stinkt, nicht unsere Fischkiste. Ihr verdammten Drecksäcke. Ihr seid genauso schlimm wie eure Hure Nachbar.“

Eine landesweite Skandalgeschichte als Farce

Unter dem Titel „Kleine schmutzige Briefe“ hat sich die Regisseurin Thea Sharrock eines historischen Falls angenommen, der seinerzeit gar nicht mal so klein war. Das Geheimnis der Briefe wuchs sich zu einer landesweiten Skandalgeschichte aus, es soll vier Prozesse gegeben haben, die von einigem Medienecho begleitet waren. Nicht nur die schiere Anzahl der Briefe – bald waren auch andere Einwohner:innen von Littlehampton betroffen – und die Obsession, mit der sie geschrieben wurden, rücken den Fall in die Nähe der Groteske. Und auch seine Aufklärung – die Täterin wurde durch den Einsatz von unsichtbarer Tinte überführt – hat etwas von Klamotte und Kinderkrimi. Dass die Regisseurin ihn also als Komödie, als Farce erzählt, erscheint auf den ersten Blick naheliegend. Doch der Humor bleibt in diesem trutschig daherkommenden Film mit Starbesetzung weit hinter der Originalität der Briefe zurück.

Der Verdacht fällt unmittelbar auf die aus Irland zugewanderte Nachbarin Rose Gooding (Jessie Buckley). Weniger, weil sie von Herzen gerne flucht, sondern weil die meisten im Ort sie ohnehin loswerden wollen. Rose ist Mutter einer vermutlich unehelichen Tochter und lebt mit einem Schwarzen zusammen. Wenn sie Sex hat, wackelt das Kreuz an der Wand der Nachbarwohnung, auch nimmt sie es mit der Ordnung nicht so genau. Dabei war sie mit Edith sogar einmal eng befreundet – bis deren Vater ihr die Fürsorge auf den Hals hetzte.

Mangelnde Hygiene als Running Gag

Sharrock zeichnet Karikaturen. Edith, eine von ihrem Vater (Timothy Spall) unterdrückte alte Jungfer, blüht als sittsame Hauptfigur einer schmutzigen Geschichte regelrecht auf, die Presse berichtet über sie, im Ort ist sie eine kleine Berühmtheit. Auch die beiden Polizeibeamten, die Rose ohne Beweise als die Täterin ausmachen, sind Witzfiguren. Ihre junge Kollegin (Anjana Vasan), die schon früh an Roses Schuld zweifelt, beginnt auf eigene Faust zu ermitteln und findet in drei anderen Bewohnerinnen Verbündete – die besonders Derbe unter ihnen hat die undankbare Rolle eines Spezialeffekts. Eine beleibte Frau, deren mangelnde Hygiene zum Running Gag wird.

Man muss nicht darauf warten, bis Edith des Nachts Feder und Tinte aus ihrem Geheimfach hervorkramt, um in ihr die Autorin der Briefe zu erkennen. „Was für ein Mensch tut so etwas?“ Der Film findet seine Antwort in Swans familiären Umfeld: der schlimme Vater, die ebenfalls unterdrückte Mutter, die Doppelmoral, die Bigotterie. Und überhöht am Ende die Briefe zur selbstermächtigenden Geste, wenn Edith bei ihrer Verhaftung eine triumphierend ausartende Schmähtirade gegen den Vater richtet. Das ist so modisch wie bequem. Der Wahnsinn, der dahintersteht, das Triste daran, mithin das Gesellschaftliche, soll nicht die Laune verderben.

Das Potential der Sprache als Waffe

Tatsächlich steckt hinter der Littlehampton-Geschichte einiges, das es wert gewesen wäre, differenziert erzählt zu werden: etwa die Ambivalenz zwischen den sprachlichen Zwängen, denen Frauen zu der Zeit ausgesetzt waren, und den Potentialen der Sprache, ihrem Gebrauch als Waffe. Nachdem Edith Swan 1923 wegen Verleumdung verurteilt wurde, ergoss sich ein Schwall an Spekulationen und hämischen Beschuldigungen über sie, in dem eine tiefe Frauenverachtung zum Ausdruck kam. Ihre Gewalt war von ganz anderer Qualität als das Konzentrat an Unflätigkeit in den Briefen.

Kommentar verfassen

Kommentieren