Drama | Deutschland/Österreich/Schweiz 2023 | 121 Minuten

Regie: Kilian Riedhof

Die Geschichte der deutschen Jüdin Stella Goldschlag, die als „Greiferin“ für die Gestapo arbeitete und Jüdinnen und Juden verriet. Der als opulentes Drama und Lehrstück inszenierte Film schildert in der ersten Hälfte durchaus überzeugend den Alltag einer jungen jüdischen Sängerin in Berlin, die sich mit ihrem Schicksal nicht abfinden will. Doch statt den Sprung an den Broadway zu schaffen, muss sie mit den Nazis kollaborieren. Der Film findet für diese Tragik allerdings nicht den richtigen Ton, sondern verliert sich im Bemühen, ja nichts falsch zu machen, in Vereinfachungen und Ungeschicklichkeiten. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
STELLA. EIN LEBEN.
Produktionsland
Deutschland/Österreich/Schweiz
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Letterbox Filmprod./SevenPictures Film/Amalia Film/Real Film Berlin/Dor Film Prod./Lago Film/Gretchenfilm/DCM Pic./Contrast Film/Blue Ent.
Regie
Kilian Riedhof
Buch
Marc Blöbaum · Jan Braren · Kilian Riedhof
Kamera
Benedict Neuenfels
Musik
Peter Hinderthür
Schnitt
Andrea Mertens
Darsteller
Paula Beer (Stella Goldschlag) · Jannis Niewöhner (Rolf Isaaksohn) · Katja Riemann (Toni Goldschlag) · Lukas Miko (Gerhard Goldschlag) · Bekim Latifi (Aaron Salomon)
Länge
121 Minuten
Kinostart
25.01.2024
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Kriegsfilm
Externe Links
IMDb | TMDB

Drama um die Berliner Jüdin Stella Goldschlag, die in den 1940er-Jahren mit der Gestapo kollaborierte, um ihr Leben und das ihrer Familie zu retten.

Diskussion

In einer entfesselten Swing-Band ragt die blonde Stella (Paula Beer) heraus, die im Jahr 1940 in Berlin vom Broadway träumt. Doch Stella ist eine deutsche Jüdin. Als der Trompeter, der wie alle anderen Bandmitglieder ebenfalls Jude ist, bei einer Probe zusammenbricht, weil seine Eltern von der Gestapo verschleppt wurden, reagiert Stella Goldschlag unsensibel: „Wir sind doch nicht aus Zucker.“ Sie hofft immer noch auf ein rettendes Visum für die USA. Schnell wird deutlich, dass Stella sich nur für sich selbst interessiert. Sie verdrängt die bedrohliche politische Lage und ist knallhart, wenn andere leiden.

Nach diesem Prolog, den Regisseur Kilian Riedhof opulent und bildgewaltig fast wie einen Musikclip inszeniert, folgt ein Zeitsprung ins Jahr 1943. Die Farben sind düster und blaustichig. Stella, ihre Eltern und ihr Ehemann arbeiten als Zwangsarbeiter in einer Munitionsfabrik. Juden müssen den gelben Stern tragen und dürfen nach einem harten Arbeitstag in den öffentlichen Verkehrsmitteln nur stehen. Stella will sich mit diesem Alltag nicht abfinden und auch die Ausgangssperre nicht akzeptieren. Sie ist hübsch, blond und betont immer wieder, dass sie eigentlich nicht wie eine Jüdin aussehe. Sie sucht den Kick, will bewundert werden. Sie geht mit einem Wehrmachtsoldaten aus und behauptet, Schauspielerin zu sein.

Sehnsucht nach Leben

Es gehört zu den Stärken von „Stella. Ein Leben“, dass er zeigt, wie groß auch bei jungen Jüdinnen und Juden der Wunsch nach Normalität und Feiern war. Auch in einer so brutalen Diktatur wie dem deutschen Faschismus will man den Alltag verdrängen, den Krieg oder die Verfolgung nicht wahrhaben. Es dauert auch fast eine Stunde, bevor der Film sein eigentliches Thema anpackt: den Verrat. Denn Stella lernt Rolf Isaaksohn (Jannis Niewöhner) kennen, der sich selbst als „Vierteljude“ bezeichnet. Er ist zunächst nur ein skrupelloser Kleingauner, der als Fälscher Juden mit nachgemachten Papieren versorgt und sie dafür finanziell ausnimmt. Nach einer Razzia, bei der Stella von einer Bekannten verpfiffen wird, wird sie von der Gestapo verhaftet, gefoltert und soll zur Zusammenarbeit erpresst werden.

Die Folterszene ist jedoch viel zu lang und reißerisch inszeniert. Sie ist symptomatisch für die dramaturgischen Schwächen und Vereinfachungen des Films. Man will den Zuschauer an die Hand nehmen, ihn schockieren und immer wieder die Frage stellen, wie man sich selbst in einer Diktatur verhalten würde. Wozu wäre man bereit, um das eigene Leben oder das seiner Angehörigen zu retten? Stella wird zur Verräterin, weil sie sich und ihre Eltern vor der Deportation nach Auschwitz bewahren will.

Das schönste Mädchen der Schule

Paula Beer trägt den Film durch eine beeindruckende schauspielerische Leistung. Doch ihre Interpretation wird der Figur nicht gerecht. Beer verkörpert Stella nur als eine junge Frau voller Theatralik, die selbst dann übertreibt, wenn sie leidet oder verletzlich ist. Stellas Charme, ihre Anmut und Koketterie lassen sich auf diese Weise nicht nachempfinden, weil man in ihr immer nur die „Schauspielerin“ sieht. Wer sich mit der realen Stella Goldschlag (1922-1994) beschäftigt, beispielsweise durch das Buch ihres ehemaligen Schulkameraden Peter Wyden, wird manche Facetten ihrer Persönlichkeit vermissen. Sie galt als das schönste Mädchen der Schule, in die alle Jungs verliebt waren. Nur weil sie so strahlen konnte, gelang es ihr später als berüchtigter „Greiferin“, so viele Berliner Juden zu verraten und in den oft sicheren Tod zu schicken.

„Stella. Ein Leben“ wird so zu einem Film, bei dem man die Angst der Macher spürt, etwas falsch zu machen und angreifbar zu werden. Penibel achtet der Film darauf, Stella immer als Täterin und Opfer darzustellen, die eben nicht anders konnte. Dabei agiert die Inszenierung mit großer Vorsicht; der Selbsthass, keine Jüdin sein zu wollen, ihr Machtrausch und ihre Selbsttäuschung werden nur gestreift. Wie manipulativ Goldschlag war, die es offensichtlich auch genossen hat, knallhart ehemalige Bekannte der Gestapo auszuliefern, hätte man plausibler und nachvollziehbarer aufzeigen müssen.

Bedauerlich ist auch, dass Nebenfiguren wie Rolf Isaaksohn, den Jannis Niewöhner rotzig und großspurig spielt, plötzlich einfach verschwinden. Der Film bricht 1944 zunächst ab. Stellas Verschwinden, ihr Versuch, sich als Opfer des Faschismus zu gerieren, ihre Verhaftung und Verurteilung durch sowjetische Behörden fehlen oder werden nur durch Dialoge und Texttafeln aufgegriffen. Es gibt allerdings zwei Epiloge, die 1957 und 1984 spielen. Dabei gelingt es Kilian Riedhof durchaus, die westdeutsche Justiz zu kritisieren. Allerdings setzt er als Regisseur in zwei Schlüsselszenen auf überdeutliche Dialogszenen anstatt auf filmische Lösungen.

Eine schillernde Kollaborateurin

„Stella. Ein Leben“ ist ein Hybrid aus gelungenen, packend-erschütternden Momenten und dramaturgischen Vereinfachungen und Auslassungen. Der Film wirft anschaulich interessante Fragen auf und konfrontiert mit einem tragischen, kaum beachteten Kapitel der NS-Zeit. Spürbar bleibt dabei aber, dass sich die Filmemacher zu sehr absichern und erzählerisch-künstlerisch zu wenig wagen, weil es um einen Graubereich geht, eine zwiespältige Anti-Heldin, die in diesem Fall ganz schlicht eine schillernde jüdische Kollaborateurin ist.

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