Diese Sendung ist kein Spiel - Die unheimliche Welt des Eduard Zimmermann

Dokumentarfilm | Deutschland 2023 | 90 Minuten

Regie: Regina Schilling

In über 300 Sendungen des ZDF-Magazins „Aktenzeichen XY … ungelöst“ informierte der Moderator Eduard Zimmermann von Oktober 1967 bis 1997 drei Jahrzehnte lang über ungeklärte Kriminalfälle und forderte das Publikum zur aktiven Mithilfe bei der Klärung auf. In der monatlich ausgestrahlten Sendung ging es um Betrug, Raub, Mord und Sexualdelikte, vordergründig zielte das Magazin auf Aufklärung und Prävention. Aus dem zeitgeschichtlichen Abstand einer dokumentarischen Analyse aber tritt die konservativ-drohende Haltung der Sendung deutlicher vor Augen. Die Regisseurin arbeitet schlüssig heraus, wie das Magazin durch Furcht und die Inszenierung mancher Opfer ein normatives Bild der gesellschaftlichen Ordnung bestärkte und implizit restaurative Wertvorstellungen verfolgte. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Zero One Film
Regie
Regina Schilling
Buch
Regina Schilling
Musik
Ulrike Haage
Schnitt
Stefan Oliveira-Pita · Natali Barrey
Länge
90 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
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Mediengeschichtliche Doku über das „Aktenzeichen XY … ungelöst“-Magazin von Eduard Zimmermann, mit dem das ZDF ab 1967 das Publikum zur Mithilfe bei ungeklärten Kriminalfällen aufforderte.

Diskussion

„Haben wir noch was zum Anstoßen? - Jo, ne Flasche Eierlikör müsste noch da sein.“ So brav-bieder und natürlich in schwarz-weiß sahen die 1960er-Jahre im deutschen Fernsehen aus. Doch im Oktober 1967 wurde es ungemütlich. Da strahlte das damals noch junge Zweite Deutsche Fernsehen zum ersten Mal Eduard Zimmermanns „Aktenzeichen XY … ungelöst" aus.

Die Dokumentaristin Regina Schilling steigt in ihrem Film „Diese Sendung ist kein Spiel“ hinter die Kulissen dieses ersten „True Crime“-Formats der deutschen Fernsehgeschichte und Eduard Zimmermann aufs Dach. Wie schon in ihrer Doku „Kulenkampffs Schuhe“ fragt sie nach den gesellschaftspolitischen Zusammenhängen und der Intention des Machers.

Dieser Macher war Eduard Zimmermann. Mit seiner Sendung „Vorsicht Falle“, deren Untertitel „Nepper, Schlepper, Bauernfänger“ in den deutschen Sprachschatz eingegangen ist, hatte sich der damalige Mittdreißiger schon als Großwarner in die deutsche Kleinkriminalität eingearbeitet. Mit dem Fahndungsformat „Aktenzeichen XY…ungelöst“ folgte die erste interaktive Sendung im deutschen Fernsehen, bei der die Zuschauerinnen und Zuschauer selbst zu Ermittlern wurden. Und manchmal auch zu Denunzianten.

Fernsehzuschauer als Hilfspolizei

„Den Bildschirm zur Verbrechensbekämpfung einzusetzen ist der Sinn unserer Sendung“, sagte Zimmermann bei der ersten Ausgabe am 20. Oktober 1967. „Und Angst einzuflößen“, ergänzt Regina Schilling mehr als 50 Jahre danach. Denn das tat „XY“, auch bei Prominenten wie Johannes B. Kerner, wie der Zimmermann bei einem von dessen seltenen Talkshow-Auftritte bekannte. „Das Verbrechen wächst fünfmal so schnell wie die Bevölkerung. Polizei und Gerichte sind kaum noch Herr der Lage“, sagte Zimmermann auch gleich in der ersten „XY“-Sendung.

Doch Zimmermann war sich seiner Sache sicher, auch wenn sowohl beim ZDF als auch bei der Polizei zunächst Skepsis herrschte. „XY“, analysiert Schilling messerscharf, war „Adenauer-Fernsehen“: patriarchalisch-restaurativ, bieder-bürgerlich und ein bisschen obrigkeitshörig. Also genau das Programm, dass man sich auch vom ZDF erhofft hatte, als es noch eben dieses regierungsnahe Adenauer-Fernsehen werden sollte. Doch das hatte das Bundesverfassungsgericht mit seinem ersten Fernsehurteil verhindert; Adenauer war 1967 gerade verstorben, und der Zeitgeist begann sich zu wandeln.

Doch davon bekamen „XY“ und Zimmermanns „Deutsche Kriminalfachredaktion“, die das Format produzierte, offenbar nichts mit. Fahndungserfolge gleich in der ersten Sendung ließen die Kritiker bei der Polizei verstummen, außerdem konnten sich jetzt echte Kriminaler im Fernsehen präsentieren und ihre Fälle vorstellen. Für die nachgestellten Tathergänge sorgte der Film-Noir-begeisterte Kurzfilmregisseur Kurt Grimm, der bis 1998 für „XY“ tätig war, hier und da als Statist selbst mitspielte und mit seinen Suspense-geladenen, atmosphärisch düsteren Clips ganzen Generationen Angst machte.

Die Täter haben kein Gesicht

Was Regina Schilling an Beispielen für frauenfeindliche Geschlechterrollen, Homophobie und billige Schwarz-Weiß-Malerei aus mehreren hundert „XY“-Ausgaben herausdestilliert, ist aus heutiger Sicht erschreckend. „Die Täter haben kein Gesicht, sie sind das Böse und das Böse lauert überall“, heißt es treffend im Off-Kommentar. Doch auch die Opfer waren nicht immer gut gelitten. Im Mordfall mit einem schwulen Opfer etwa beklagte der ermittelnde Kommissar, „dass die persönlichen Beziehungen nicht so durchsichtig sind wie bei anderen Menschen in geordneten bürgerlichen Bahnen“. Prostitution ist oft Thema, doch der Begriff wird schamhaft vermieden. Dafür heißt es: „Jetzt beginnt sie wieder ihr altes Leben, von dem sie nicht loskommt: Nachtlokale, Alkohol, kurze Männerbekanntschaften“. Der Film präsentiert diese Materialfülle gekonnt in akustischen Überblendungen, unterlegt von Musik von Ulrike Haage. Der von Maria Schrader gesprochene Off-Kommentar ordnet ein und bekennt sich zu klarer Haltung.

Das ist auch nötig, denn spätestens Anfang der 1970er Jahre geraten „XY“ und Zimmermann mit dem Zeitgeist in Konflikt. APO, Emanzipation und die erste bundesrepublikanische Regierung ohne die CDU bedeuteten auch für das ZDF eine neue Zeit. Zu den wohl spektakulärsten Wiederentdeckungen von „Diese Sendung ist kein Spiel“ gehört, wie sehr sich damals die „linke“ ARD an Zimmermann abgearbeitet hat. Eine ganze Stunde lang wurde dem „Jagdfieber“ des anfangs stets im Dreiteiler moderierenden Biedermanns in der Sendung „Zeichen der Zeit“ des damaligen Südwestfernsehens der Prozess gemacht. Das Denunziantentum, dass anfangs auch viele im ZDF gegen das „XY“-Konzept sein ließ, kam genauso zur Sprache wie ungerechtfertigte Verdächtigungen, bei denen Unschuldige in schiefes Licht gerieten. Zimmermann selbst trat in der ARD-Sendung an, mochte aber nur zuvor abgesprochene Fragen beantworten und keinesfalls diskutieren. Heute wäre ein solcher Schlagabtausch innerhalb des öffentlich-rechtlichen Systems undenkbar.

Grüne und Atom-Gegner blieben verdächtig

Regina Schilling verurteilt Zimmermann nicht, aber zeigt auf, dass der bis 1974 in schwarz-weiß sendende Moderator auch dann noch schwarz-weiß dachte, als „XY“ schon farbig war. Anfang der 1980er-Jahre, die Grünen waren gegründet und im Bonner Hofgarten wurde gegen die atomare Aufrüstung demonstriert, ordnete Zimmermann zwei politische Morde in Deutschland und Österreich so ein: „Solche Fälle scheinen zu bestätigen, dass sich unter dem Deckmantel der grünen Bewegung, der man als fortschrittsgeplagter Mensch ja durchaus Sympathien entgegenbringt, eine neue Szene der Gewalt und der Intoleranz bildet.“ Doch es war nicht der von Zimmermann verdächtigte „Hass militanter Atomkraftgegner“, sondern palästinensische Terroristen in dem einen Fall; der andere ist bis heute nicht aufgeklärt.

Zimmermann sah sich stets als Warner, als besorgter Familienvater, der auch anderen Töchtern das Trampen madig machte. Für ihn besaß „Angst eine pädagogische Wirkung“, wie er bei seinem Auftritt bei „Kerner“ sagte. Ob Angst aber wirklich ein probates pädagogisches Mittel ist, hat sich Eduard Zimmermann wohl nie gefragt.

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