Drama | Deutschland 2022 | 295 (fünf Folgen) Minuten

Regie: Isa Prahl

Frankfurt im Winter 1963. Eine junge Übersetzerin findet sich plötzlich inmitten der ersten Auschwitzprozesse wieder; durch ihre Beschäftigung mit zahlreichen Zeugenaussagen wird sie erstmals mit den grausamen Wahrheiten über den Holocaust konfrontiert. Das regt sie an, auch ihren Eltern unangenehme Frage über die Vergangenheit zu stellen, und die Familie wird in mehrfacher Hinsicht von der Vergangenheit eingeholt. Die sorgfältig inszenierte Miniserie nach dem Bestseller von Annette Hess entfaltet ein Miniaturbild der Nachkriegsgesellschaft und verhandelt vielschichtig Themen wie Erinnerungskultur, Schuld und Gerechtigkeit, Generationenkonflikte und Emanzipation. Vor allem aber erzählt sie über eine Gesellschaft im Wandel, die Verantwortung zu übernehmen beginnt. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
Gaumont
Regie
Isa Prahl · Randa Chahoud
Buch
Annette Hess
Darsteller
Katharina Stark (Eva Bruhns) · Anke Engelke (Frau Bruhns) · Hans-Jochen Wagner (Herr Bruhns) · Ricarda Seifried (Annegret Bruhns) · Ares Kloß (Stefan Bruhns)
Länge
295 (fünf Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama | Historienfilm | Literaturverfilmung | Serie

Die Geschichte einer jungen Dolmetscherin, die während ihrer Arbeit beim ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess 1963 mit der erschütternden Wahrheit des Holocaust konfrontiert wird: Eine Historienserie nach dem gleichnamigen Roman von Annette Hess.

Diskussion

Ein neuer Job für Eva Bruhns (Katharina Stark): Die junge Frau erhält das Angebot, als Dolmetscherin vor Gericht zu arbeiten. Aussagen aus dem Polnischen soll sie im Rahmen einer längeren Verhandlungsreihe übersetzen. Eva hat Interesse. Schließlich wäre es auch eine Chance, etwas unabhängiger von den Eltern zu werden, in deren Gastwirtschaft in Frankfurt am Main sie mithilft. Sie solle aber schon einmal das notwendige Vokabular lernen, bittet sie der aus den USA stammende junge Mann, der sie anheuert. „Was meinen Sie? Militärische Bezeichnungen?“, fragt Eva nach. Und der Mann erwidert sachlich: „Alle denkbaren Wörter dafür, wie man Menschen töten kann.“

Ein erster Blick in den Abgrund

Nach etwas mehr als 20 Minuten fällt dieser Satz in der ersten Episode der fünfteiligen Mini-Serie – und wirkt wie ein Schlag in die Magengrube, weil er mit einem Mal vor Augen führt, wie falsch die Fährten waren, die die Serie bis dahin ausgelegt hat. Beinahe heiter ist die Exposition, als Eva auf einen Besuch von ihrem Verlobten Jürgen (wartet, der zu Weihnachten im Jahr 1963 bei ihrem Vater endlich um ihre Hand anhalten soll. Mit ebensolcher Leichtigkeit und sehr naiv geht Eva auch ans Werk, als sie noch während der Weihnachtsfeier von ihrem Chef ins Büro gerufen wird, um die Aussage eines polnischen Zeugen zu übersetzen. Über geschmückte Fenster an einer „Herberge“ erzählt sie. Über 850 „Gäste“, die in den „Keller der Herberge“ geführt wurden, über verschlossene Türen, über „erleuchtete Gäste“ am nächsten Morgen. Die Anwälte runzeln die Stirn. Als Eva die Begriffe nachschlägt, wird das Bild deutlicher. Aus den „Gästen“ werden Häftlinge, aus der „Herberge“ ein Block, aus dem „erleuchtet sein“ ein „erstickt durch das Gas“.

Für Eva ist das, was der Zeuge über das Konzentrationslager Auschwitz berichtet, ein erster Blick in den Abgrund. Das Erzählte geht ihr sichtlich nach, und als sie ihren Eltern davon berichtet, wird an deren Blicken schon deutlich, dass sie mehr wussten, als sie zugeben wollten. Und jetzt will Eva mehr wissen. Stellvertretend steht sie für die Nachkriegsgeneration, die plötzlich beginnt, ihren Eltern unangenehme Fragen zu stellen. Es ist der Winter, in dem die ersten Auschwitzprozesse in Frankfurt beginnen und Männer mit ganz normalen Berufen, manchmal auch aus angesehenen Positionen, sich plötzlich auf der Anklagebank wiederfinden, Hausmeister und Landwirte, Ingenieure und Ärzte.

Ein kaleidoskopartiger Blick auf die Nachkriegszeit

Die Serie nach dem Bestseller von Annette Hess, die auch das Drehbuch geschrieben hat, wechselt stetig zwischen Alltagsgeschichten und Gerichtsverfahren und setzt die Chancen des horizontalen Erzählens geschickt ein. Obgleich Eva Bruhns die zentrale Figur ist, nimmt sich die Serie auch die Zeit für formale Brüche und Abschweifungen, stellt mal eine jüdische Zeugin in den Mittelpunkt, die nach Frankfurt reist und kaum fassen kann, wie dicht und schwer der Mantel des Schweigens dort ist, mal die Tochter des Angeklagten Wilhelm Boger, die plötzlich begreift, wer ihr Vater wirklich ist und was er getan hat. Durch all ihre vielfältigen, unterschiedlichen Figuren wirft die Serie einen kaleidoskopartigen Blick auf die Nachkriegszeit. Sie beleuchtet die Rolle der Kinder, die gegen die Eltern aufbegehren und sich nicht mehr mit einfachen Antworten abspeisen lassen, der Opfer, die für Gerechtigkeit kämpfen, der Mitläufer, die aus Angst oder Bequemlichkeit nicht widersprochen haben, der einstigen Verfolgten, die nicht mehr zurück ins Leben gefunden haben, der Überlebenden, die sich schuldig fühlen, der einstigen Täter, die um ihren Ruf bangen und von ihrer Vergangenheit nichts mehr wissen wollen.

Das Szenenbild atmet in nahezu jeder Einstellung den Muff jener Zeit. Schwer, fast erdrückend sehen die Innenräume mit ihrem dunklen Mobiliar und den dunklen Tapeten aus. Erdrückend ist auch die Inszenierung der Gerichtsszenen, die den Aussagen der Opfer und der Schilderung der Taten viel Raum gewährt. Minutenlang fokussiert die Kamera die Lippen des Staatsanwalts, der in einem schier nicht enden wollenden Monolog detailliert vorträgt, welche grausamen Taten den Angeklagten vorgeworfen werden. Der Griff zum Wasserglas, die Hand, die die Seiten umblättert, das Schlucken, die brüchige Stimme, eine größere Ablenkung erlaubt sich die Inszenierung nicht. Immer wieder gelingen so Momente, die über das Erwartbare hinausgehen und ins Mark treffen, gerade weil sie nicht auf grausame Bilder zurückgreifen. Die Sachlichkeit und Reduzierung und der Blick auf das Beiläufige lassen die Szenen umso intensiver wirken.

Vom Ende des Schweigens

Gerade im Hinblick auf die Geschichte von Eva Bruhns, die zunehmend mit ihren Eltern in Konflikt gerät – und zwar nicht nur aufgrund unterschiedlicher Ansichten, sondern tatsächlicher Verstrickungen und Entscheidungen – wird die Handlung bisweilen ein wenig überkonstruiert. Trotzdem hat sie viel über Erinnerungskultur zu erzählen, über die Auseinandersetzung mit Schuld, über das Lügen, um zu verdrängen, und das Verschweigen, um sich aus der Verantwortung zu ziehen. Nicht zuletzt aber verbirgt sich in „Deutsches Haus“ auch eine Emanzipationsgeschichte, die nicht nur auf die Abnabelung vom Elternhaus beschränkt ist. Immer wieder versucht der reiche Kaufhauserbe Jürgen, seine Verlobte Eva zu kontrollieren. Er untersagt ihr zu arbeiten, er setzt sie unter Druck. Doch Eva wehrt sich. Nicht laut, aber sehr selbstbewusst. Sie ist in jeder Hinsicht einer jener jungen Menschen, die eine neue Zeit einläuten.

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